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Das Mädchen, das den IS besiegte (eBook)

Faridas Geschichte
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
240 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7325-2359-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Mädchen, das den IS besiegte -  Farida Khalaf,  Andrea C. Hoffmann
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Farida Abbas ist 18 Jahre alt, als der IS im August 2014 ihr Dorf im irakischen Sinjar-Gebirge überfällt. Die Terroristen treiben die Männer und Jungen des Dorfes zusammen und töten sie. Die Mädchen und Frauen nehmen sie mit. Vier Monate lebt Farida in der Hölle auf Erden: Sie wird als Sklavin von Mann zu Mann verkauft, vergewaltigt, fast totgeschlagen. Doch sie überlebt und entwickelt in der Folge den ungeheuren Mut, sich ihren Peinigern zu widersetzen. Zusammen mit sechs anderen Mädchen, die sie anführt, gelingt ihr eine abenteuerliche Flucht durch die Wüste.



Farida Khalaf ist zwanzig Jahre alt. Als Angehörige der Jesiden, einer religiösen Minderheit, ist sie im Norden des Iraks geboren und aufgewachsen. Im August 2014 muss sie erleben, wie Soldaten des "Islamischen Staates" ihr Dorf überfallen und ein Massaker verüben. Nach monatelanger Gefangenschaft kann Farida den IS-Kämpfern entkommen. Heute lebt sie in Deutschland. Ihre Co-Autorin Andrea C. Hoffmann ist politische Redakteurin und Nahost-Expertin beim Nachrichtenmagazin Focus. Sie bereist die Gegend seit mehr als fünfzehn Jahren.

Farida Khalaf ist zwanzig Jahre alt. Als Angehörige der Jesiden, einer religiösen Minderheit, ist sie im Norden des Iraks geboren und aufgewachsen. Im August 2014 muss sie erleben, wie Soldaten des "Islamischen Staates" ihr Dorf überfallen und ein Massaker verüben. Nach monatelanger Gefangenschaft kann Farida den IS-Kämpfern entkommen. Heute lebt sie in Deutschland. Ihre Co-Autorin Andrea C. Hoffmann ist politische Redakteurin und Nahost-Expertin beim Nachrichtenmagazin Focus. Sie bereist die Gegend seit mehr als fünfzehn Jahren.

Kapitel 1

Unsere Welt, wie sie einst war


Wir wohnten damals in Kocho, einem Dorf, das in der Ebene südlich des nordirakischen Sindschar-Gebirges liegt. Es hatte 1700 Einwohner. Im Frühling erstrahlt die Landschaft dort in allen nur erdenklichen Farben des Regenbogens: Rings um das Dorf erblühen dann die zahlreichen Bäume, Blumen und Gräser, durch die die Hirten ihre Ziegenherden trieben. Im Sommer lässt die Hitze dann alles wieder vertrocknen, sodass die Pflanzen verdorren. Deshalb hatten die Dorfbewohner rund um Kocho einige Teiche angelegt. Mit ihnen bewässerten wir unsere Felder. Und auch unseren Garten, der von einer hohen Mauer umschlossen wurde, mussten wir täglich gießen. Das zählte zu meinen Aufgaben: Morgens und abends nahm ich den großen Schlauch, drehte den Hahn auf unserer Terrasse auf und bespritzte alle Pflanzen mit Wasser.

Wir hatten einen sehr schönen Garten, in dem Maulbeer-, Mandel- und Aprikosenbäume wuchsen. Und in ihrem Schatten gedieh auch das Gemüse, das meine Mutter anpflanzte: Zucchini, Lauch, Auberginen, Kartoffeln, Zwiebeln, Salat- und Kohlköpfe. Rund um die Terrasse unseres Hauses blühten verschiedene Rosensorten, die besonders abends einen betörenden Duft verströmten. In der warmen Jahreszeit hielten meine Mutter, meine jüngeren Brüder Serhad, Shivan, Keniwar und ich uns fast ständig in diesem kleinen Paradies auf. Aber auch mein Vater und mein älterer Bruder Delan genossen die Ruhe und die Frische hier, wenn sie nicht gerade arbeiteten.

Das Haus selbst war einstöckig und zählte fünf Räume: eine Küche, ein Wohnzimmer, das Schlafzimmer meiner Eltern, das meiner vier Brüder – und meines. Als einzige Tochter der Familie hatte ich das Recht auf mein eigenes kleines Reich. Trotzdem bedauerte ich es oft, keine Schwester zu haben, ich hätte das Zimmer sehr gern mit ihr geteilt. Immerhin durfte ich, so oft ich wollte, meine Freundinnen zu mir nach Hause einladen. Meine Freundin Evin und meine Cousine Nura kamen häufig zu Besuch. Nura und ich gingen in dieselbe Klasse. Evin hingegen war einige Jahre älter als wir und hatte die Schule bereits beendet. Wir beneideten sie um die viele Freizeit, während wir selbst oft Nachmittage lang über unseren Hausaufgaben brüteten. Mit ihrem ruhigen, ausgeglichenen Gemüt war Evin wie eine ältere Schwester für uns.

Von meinen Brüdern mochte ich Delan, den ältesten, am liebsten. Wir hingen fast immer zusammen und teilten viele Interessen. Zwischen den Bäumen im Garten spielten wir nachmittags gerne Fußball. Mein großer Bruder lehrte mich auch das Autofahren, heimlich in den Bergen. Denn leider hatte es mein Vater nur ihm und unserem jüngeren Bruder Serhad beigebracht. Er glaubte nicht, dass Mädchen das können mussten. Fahrstunden zu nehmen oder einen Führerschein zu machen, war bei uns im Dorf ohnehin nicht üblich.

Eigentlich hätte unser Haus ursprünglich zwei Stockwerke haben sollen. So hatte es unser Vater jedenfalls geplant, als er es vor Jahren mit meinem Onkel zusammen baute. Doch schon bald ging das Geld, das er dafür vorgesehen hatte, zur Neige. Mit dem Sold eines Grenzers und etwas Landwirtschaft als Zubrot hatte er nicht allzu viel Spielraum. Zudem legte mein Vater Wert darauf, dass alle seine Kinder zur Schule gingen. Kurz: Es gab immer Wichtigeres zu finanzieren als ein weiteres Stockwerk. Und mit der Zeit gewöhnten wir uns an die Eisenstangen und Drähte, die oben aus dem Dach ragten. Viele Häuser in Kocho sahen so aus: Die Stangen signalisierten, dass man jederzeit ein weiteres Stockwerk auf dem Gebäude errichten konnte. Und im Sommer, wenn es im Haus zu heiß zum Schlafen wurde, zogen wir mit unseren Matten aufs Dach, um die frische Nachtluft dort oben zu genießen.

Meine Mutter ging das Thema sowieso ganz pragmatisch an, spannte irgendwann Leinen zwischen den Stangen und begann, dort ihre Wäsche aufzuhängen. Eine Maßnahme, die Delan und ich natürlich gut fanden. Hatten wir doch des Öfteren ein ordentliches Donnerwetter kassiert, wenn unser schmutziger Fußball mal wieder statt im Tor in den sauberen Laken gelandet war, als die Wäsche noch im Garten getrocknet wurde.

Nun aber lagerten seit geraumer Zeit eine Betonmischmaschine und Zementsäcke zwischen den Stangen, die Delan von seinem Lohn als Bauarbeiter gekauft hatte. Der Grund: Mein großer Bruder wollte heiraten. Dazu brauchte er natürlich eine Wohnung, in die er mit seiner zukünftigen Frau einziehen könnte.

Eine Frau brauchte er allerdings auch noch. Auf einer unserer Spritztouren in die Berge hatte er mir gestanden, dass das Mädchen, in das er ursprünglich verliebt gewesen war, ihm einen Korb hatte geben müssen. Ihre Eltern hatten sie leider bereits einem anderen Mann versprochen, und daran war nichts mehr zu ändern. Nun bemühte sich Delan um Zevin, eine Cousine von uns, die ich sehr gut leiden konnte.

»Ich werde dafür beten, dass ihre Eltern dich akzeptieren«, versprach ich ihm feierlich. Die Ehe unter Vettern und Cousinen gilt bei uns als besonders erstrebenswerte Verbindung, da man davon ausgeht, dass das Zusammenleben mit Verwandten harmonisch verläuft.

In unseren Nachbardörfern wohnten meist muslimische Araber. Sie unterschieden sich in jeder Hinsicht von uns, nicht nur was ihre Religion betraf. Sie hatten auch andere Gepflogenheiten, andere Traditionen und Gebräuche. Wir sprachen Kurdisch, sie Arabisch. Und da wir Jesiden nur innerhalb unserer eigenen Religionsgruppe Ehen schließen, hatten wir auch keinerlei verwandtschaftliche Beziehungen in diese Ortschaften. Wir pflegten aber freundschaftliche und vor allem geschäftliche Kontakte zu den Muslimen. Ich erinnere mich, dass immer wieder muslimische Händler nach Kocho kamen, um Obst oder Süßigkeiten feilzubieten. Diese Kaufleute waren uns Kindern natürlich sehr willkommen, und über ihre Waren freuten sich auch die Erwachsenen.

Jeder Junge im Dorf hatte zudem einen muslimischen »Paten«: Das ist der Mann, der das Kleinkind in den Armen hält, wenn bei ihm die Beschneidungszeremonie durchgeführt wird. Bei diesem festlichen Akt kommt in der Regel das ganze Dorf zusammen und schaut zu. Als zum Beispiel mein jüngster Bruder Keniwar beschnitten wurde, trug ihn ein muslimischer Freund meines Vaters. Dadurch wurde er quasi zu Keniwars »Onkel«, zu seinem Schutzpatron. Und auch wenn keine Blutsverwandtschaft zwischen den Familien bestand, ging der muslimische Pate damit die Verpflichtung ein, dem Kind und später dem Mann zu helfen, wann immer dieser seine Unterstützung bräuchte. Gleichzeitig festigte der Akt auch die Verbindung zwischen den jesidischen und den muslimischen Familien, so auch zwischen meinem Vater und seinem andersgläubigen Freund.

Doch trotz solcher Bündnisse genossen wir als Jesiden einen äußerst zweifelhaften Ruf bei Muslimen. Und das wussten wir auch. Viele von ihnen verbargen nicht, was sie von uns hielten: Wenn sie uns im Dorf besuchten, weigerten sie sich, unsere Speisen zu essen. Sie fürchteten, dass sie »unrein« sein könnten. Da wir großen Wert auf Gastfreundschaft legen, empfanden wir das immer wieder als schlimmen Affront. Warum sie so über uns dachten, war mir als Kind lange Zeit unbegreiflich.

Aber die Alten im Dorf berichteten, dass das schon immer so gewesen ist.

»Unsere Geschichte ist eine Geschichte der Verfolgung und des Leidens«, erzählte mir mein Großvater. Der Vater meines Vaters wohnte, wie es bei uns üblich ist, direkt im Haus nebenan. Er war ein würdiger älterer Herr mit weißem Schnurrbart, der stets die traditionellen weißen Gewänder trug, die bei uns für spirituelle Reinheit stehen. »Alle haben uns verfolgt: die muslimischen Kurden, die Statthalter des iranischen Schahs und die der osmanischen Sultane. 72-mal haben sie uns niedergemetzelt. Unzählige Male haben sie unsere Frauen geraubt, uns aus unserer Heimat vertrieben, uns mit gehobenem Schwert gezwungen, unserer Religion abzuschwören.«

Großvater strich mir mit seiner großen, rauen Hand über den Kopf, während ich mir mit wohligem Schaudern diese gruseligen Geschichten aus der Vergangenheit anhörte. »Nimm dich vor ihnen in Acht, meine Kleine«, sagte er, »denn sie nennen uns: Abadat al-Sheitan. Anbeter des Gebieters der Hölle.«

Ich erschrak nun doch. »Aber warum denn?«

»Weil sich irgendjemand vor langer Zeit diese Lüge ausgedacht hat«, antwortete er. Großvater sah mich an. Wie seine Haare waren auch seine Augen von einem grauen Schleier überzogen. Es schien, als wolle er abschätzen, ob ich bereits alt genug sei, die Dinge zu verstehen.

»Das ist eine komplizierte Geschichte.« Er deutete auf den Sanjak, der ganz oben auf seiner Kommode stand: Es war die aus Bronze gegossene Figur eines Vogels mit einem ziemlich dicken Unterleib. »Weißt du, wer das ist?«

»Aber natürlich«, antwortete ich empört. »Das ist Melek Taus.« Für wie dumm hielt mich mein Großvater eigentlich, schließlich kannte bei uns wirklich jedes Kind den Pfauen-Engel.

Großvater nickte zufrieden. »Richtig«, bestätigte er – und machte eine kleine Verbeugung in die Richtung des Pfaus. »Melek Taus ist, wie du weißt, der erhabenste unter den sieben Engeln Gottes. Er ist die schönste und vollkommenste aller Lichtgestalten. Aber leider glauben viele Muslime, er sei genau das Gegenteil.«

»Was?«, fragte ich ebenso entsetzt wie perplex. Von den Menschen in meiner Umgebung hatte ich immer nur gehört, welch wunderbares, göttliches Wesen unser Pfauen-Engel sei. Und nun erfuhr ich plötzlich, dass es auch Leute gab, die das Gegenteil glaubten. Wie kamen sie nur auf diese absurde Idee?

»Das Ganze ist...

Erscheint lt. Verlag 21.1.2016
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Familie / Erziehung
Geisteswissenschaften Religion / Theologie Islam
Schlagworte Autobiografie • Autobiographie • Autobiographien • Autobiography • Belletristik • bio • Biografie • Biographie • Biographien berühmter Persönlichkeiten • Biographien bestseller • Deutschland • Erinnerung • Erinnerungen • Erlebnisbericht • Erzählung • Esoterik • Familie • Flucht • Gedanken • Gefangenschaft • Geschichte • Historie • Irak • IS • Islam • Islamabad • Islamischer Staat • Jesiden • Junge Erwachsene • Krieg • Kriegsbverbrechen • Kriegsverbrechen • Leben • Lebensbericht • Lebensbeschreibung • Lebensgeschichte • Memoiren • Memorien • Missbrauch • Peiniger • Religion • Schicksal • Schicksale und Wendepunkte • Schicksalsschlag • Sklaverei • Sklavin • Soldat • Tagebücher • Terror • Vergewaltigung • Vita
ISBN-10 3-7325-2359-4 / 3732523594
ISBN-13 978-3-7325-2359-7 / 9783732523597
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