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Die andern sind das weite Meer (eBook)

Ein berührender Familienroman über Zusammenhalt voller Witz und Tiefe | »Absolut empfehlenswerte, fesselnde Lektüre!« Buchkultur
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
336 Seiten
Eisele eBooks (Verlag)
978-3-96161-207-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die andern sind das weite Meer -  Julie von Kessel
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'Leichtfüßig und unterhaltsam geschrieben. Ein abwechslungsreicher, berührender, aber auch aufbauender Roman über Familie, Zusammenhalt und Verantwortung.' WDR2 Lesen In ihrem neuen Roman erzählt Julie von Kessel von einer modernen Familie, in der jeder allein in seiner Krise steckt und niemand in der Lage ist, die Verantwortung für den anderen zu übernehmen. Bis ein Ereignis die Kinder zwingt, endlich erwachsen zu werden. Familie Cramer droht die Zerreißprobe. Dabei waren sie einst eine Vorzeigefamilie. Ein erfolgreicher Diplomatenvater mit einer schönen Frau und drei wohlgeratenen Kindern. Erst Jahrzehnte später, Mutter Maria ist längst gestorben und die Kinder erwachsen, zeigen sich die Risse im Familienfundament. Und als der Patriarch in eine Demenz schlittert, drohen aus den Rissen einstürzende Wände zu werden. Luka ist als Fernsehreporterin kaum je zu Hause, Tom mit der Leitung seiner psychiatrischen Klinik beschäftigt, und Elena steigert sich in ihre Jugendliebe hinein, weil sie vor einer unangenehmen Wahrheit die Augen verschließt. In dem Glauben, von den anderen nicht verstanden zu werden, trägt jeder sein eigenes Päckchen - bis der Vater spurlos verschwindet.   »Ein wundervoller Familienroman voller Witz, Tiefe und einer berührenden Liebe zu allen Figuren. Pures Lesevergnügen und eine unbedingte Empfehlung!« Anna Schudt

Julie von Kessel ist Journalistin und freie Autorin. Seit vielen Jahren arbeitet sie beim ZDF in Berlin. Ihr neuester Roman 'Die andern sind das weite Meer' erzählt von einer modernen Familie, davor sind von ihr die Romane Altenstein und Als der Himmel fiel erschienen. Sie wuchs in Helsinki, Wien, Zagreb, Bonn und Washington D.C. auf und lebt heute mit ihrer Familie in Berlin.

Julie von Kessel ist Journalistin und freie Autorin. Seit vielen Jahren arbeitet sie beim ZDF in Berlin. Bislang sind von ihr die Romane Altenstein und Als der Himmel fiel erschienen. Sie wuchs in Helsinki, Wien, Zagreb, Bonn und Washington D.C. auf und lebt heute mit ihrer Familie in Berlin.

Luka


»Das wird die Hölle heute.« Mischa stand vor ihr und lachte, während er Luka in die kugelsichere schwarze Weste half, auf der in großen Buchstaben PRESS stand. Er zog die Schnallen an der Seite fest. »Was meinst du?«, fragte sie verunsichert und setzte den Helm auf, den er ihr reichte. »Erwartest du einen Angriff?«

Neben ihr quälte sich Bernd, der korpulente Kameramann, in seine Montur.

»Angriff?« Mischa grinste breit und stellte dabei eine Reihe unregelmäßiger Zähne zur Schau. »Nein! Hitze.« Er deutete in den blauen Himmel, in dem keine Wolke zu sehen war. »Wir haben Hitzewelle, ja? Achtunddreißig Grad später. Und mit Weste!« Er schnalzte mit der Zunge.

Luka zog das Band unter ihrem Kinn fest. Mischa hatte recht, die kugelsichere Weste war schwer und unbequem. Sofort spürte sie den Schweiß, der ihr in kleinen Rinnsalen den Rücken hinablief. Doch das Sicherheitsprotokoll sah es vor, sie fuhren nach Osten in unsicheres Gebiet. Mischa untersuchte, ob bei ihr und Bernd alles richtig saß, dann deutete er auf seinen kleinen Corsa.

»Wollen wir? Den Helm könnt ihr unterwegs absetzen.«

Sie stiegen ein, er ließ den Motor an, fischte eine Packung Zigaretten aus seiner Tasche und zündete sich eine an. Sofort füllte sich der winzige Corsa mit Rauch.

Mischa lachte und schüttelte den Kopf, als könne er es selbst nicht glauben.

»Und morgen: vierzig Grad!«

Luka überlegte, ob sie das Fenster öffnen konnte, doch sie wollte nicht unhöflich sein. Die ersten Minuten waren bei solchen Einsätzen immer sehr wichtig, sie durfte Mischa auf keinen Fall verärgern. Sie brauchten ihn. Er machte einen netten Eindruck, zwar wirkte er jung für einen Stringer, unprofessionell in seinen zertretenen Sneakern und dem löchrigen T-Shirt. Doch so etwas täuschte oft, und sie hatte gehört, dass er der Beste in Kiew war, um Kontakte herzustellen zu Interviewpartnern, zu übersetzen, Drehgenehmigungen zu bekommen.

Hinter ihr hustete Bernd. Luka öffnete ihr Fenster einen Spaltbreit.

»Sag mal, wäre es ok, wenn ich …?«

Mischa blickte sie überrascht an. »Klar!«, rief er. »Klar!« Er nickte heftig und hielt die Zigarette hoch. »Sorry, ich kann nicht aufhören, es ist schlimm!« Er fummelte an der Konsole herum und drehte die Ventilation voll auf, warme Luft blies Luka direkt ins Gesicht.

Sie sah hinaus. Die Straßen Kiews waren voll. Studenten saßen in Straßencafés wie in Kreuzberg, Mütter schoben ihre Kinder durch die vielen Parks. Die Stadt war hügelig und grün, nicht unbedingt so, wie sie sich ein Land im Krieg vorgestellt hatte. Nur ein paar ausgebombte Panzer, die am Maidan abgestellt worden waren, zeugten hier im Zentrum von den Kämpfen, und Schilder mit der Aufschrift: »Kiew erwartet dich – nach unserem Sieg«.

Hoffentlich würde das Interview heute gut, sie musste liefern. Der Termin mit dem Kommandeur der Ost-Truppen war schwer zu bekommen gewesen, monatelang hatte sie mit dem ukrainischen Verteidigungsministerium verhandelt. Sie legte den Helm in den Fußraum, zog ihren Laptop aus der Tasche, öffnete das Dokument mit den Fragen. »Wann genau sind wir mit dem Kommandeur verabredet?«

Mischa öffnete sein Fenster ein wenig und warf die Zigarette hinaus. Sie fuhren jetzt durch die Vororte Kiews, in einem Hochhaus klaffte oben ein schwarzes Loch.

»Heute nicht«, sagte er. »Klappt nicht. Gibt Probleme.«

»Probleme?« Luka spürte, wie der Schweiß auf ihrer Stirn hervortrat. Sie fischte ihr Handy aus der Tasche. Sie würde es Gregor beichten müssen, sofort, er rechnete für die Spätnachrichten mit dem Interview. Hatte der Sender es schon angekündigt?

»Ist es nur verschoben? Meinst du, dass wir morgen eine Chance haben?«

Mischa hob die Hände, um zu verdeutlichen, dass dies gänzlich außerhalb seiner Kontrolle lag. »Viele Kämpfe zurzeit. Ist unsicher. Vielleicht morgen, ich soll anrufen.« Er machte eine kurze Pause. »Morgen, vielleicht auch übermorgen.«

Mist. Luka merkte, wie der Stress in ihr aufstieg bis an die Schädeldecke. Sie versuchte, ruhig zu bleiben. Nicht die Nerven zu verlieren. So etwas kam vor, sagte sie sich, man konnte nicht alles kontrollieren. Vor allem nicht im Kriegsgebiet. Doch irgendwie war sie dem Druck nicht mehr gewachsen, das ahnte sie schon länger.

Bernd beugte sich vor. Luka spürte seine breite Kameramannhand auf ihrer Schulter. Er schien nicht weiter besorgt zu sein. »Fahren wir dann trotzdem Richtung Charkiw?«, fragte er.

Mischa nickte. »Gibt viele Geschichten dort. Schauen mal, was wir so finden«, sagte er, während er sich übers Kinn strich. »Vielleicht Voxpops.«

Luka schluckte. Mit Voxpops würde sie Gregor nicht besänftigen können. Sie begann, in ihrer Tasche zu wühlen. »Ich hatte noch ein paar Artikel gelesen, vielleicht können wir dann heute so etwas drehen, warte, hier …« Sie zog ein paar zerknitterte Zettel heraus, überflog die Zeilen. »Hier. Ein Kinderheim, das eine große Lieferung mit Hilfsgütern aus Deutschland bekommt. Ach nee, das war gestern. Okay, Moment – eine Hebamme, die eine Art Kinderstation aufgebaut hat mit westlichen Spendengeldern? Nein, das ist in Lwiw …«

Luka hielt inne, dann zog sie ihr Handy aus der Tasche. Alex würde ihr helfen können. Sie arbeiteten eng zusammen, er moderierte die Abendsendung seit ungefähr hundert Jahren, er hatte Erfahrung. Außerdem war er ihr engster Vertrauter im Sender.

»Es gibt schlechte Nachrichten«, sagte sie, sobald sie seine Stimme hörte.

»Ach, hat er es dir schon gesagt?«

Luka stutzte. »Hat er mir was gesagt?«

»Na, die Umfragewerte. Oder was meinst du?«

Luka runzelte die Stirn. »Welche Umfragewerte?« Einen Moment lang war es still in der Leitung. »Mein Interview ist abgesagt«, sagte sie dann. »Ich wollte mit dir über einen Plan B reden.«

»Ah.« Alex seufzte schwer. »Du, ich muss gleich in die Sitzung« – Es rauschte in der Leitung.

»Alex?«, sagte sie. »Welche Umfragewerte?«

Er antwortete, doch sie hörte immer nur Bruchstücke von dem, was er sagte: »Marktforschung … Sympathie … Werte … »

»Alex? Alex, ich höre dich ganz« –

»… bei dir bricht jedenfalls die Quote jedes Mal ein, wenn du auf dem Bildschirm erscheinst. Gregor wird dich dazu anrufen.«

Luka schloss die Augen und kniff sich in die Nasenwurzel.

»Ich würde da echt nichts darauf geben«, sagte er versöhnlich. »Es gibt ständig Umfragen. So etwas ist doch nur eine Moment–«

Es piepte in der Leitung.

»Da ist er schon«, sagte Luka bedrückt und ging dran.

»Es sind die Ohren!«, rief Gregor. Er hatte die Angewohnheit, immer sofort zur Sache zu kommen. Luka verdrehte die Augen. »Hallo Gregor. Ich bin gut in Kiew angekommen, danke.« Er ignorierte sie.

»Ich sag dir das immer, mach dir keinen Zopf. Deine Ohren sehen aus wie Henkel.«

Luka schluckte. Sie sah in den Spiegel und löste das Haargummi.

»Es ist ein Desaster«, fuhr er fort. »Wir werden das noch analysieren. Aber erst einmal ist es wichtig, dass du diese Ohren verdeckst, wenn du im On bist, okay?«

Luka schluckte. Diese Ohren. Sie hatte die Ohren ihres Vaters geerbt, dazu seine ausgeprägte Nase, die engstehenden Augen. Sie war keine Schönheit, das wusste sie. Bisher hatte sie es immer geschafft, diesen Makel mit Fleiß und einem hohen Arbeitseinsatz zu überdecken. Zumindest hatte sie das gedacht.

»Nimm es nicht persönlich«, sagte Gregor.

»Ich habe noch ein anderes Problem.« Es war besser, das Thema zu wechseln. »Das Interview heute wurde abgesagt.«

»Abgesagt?!« Gregor klang alarmiert.

»Erst einmal ist es nur verschoben, aber ich muss jetzt eine andere Geschichte auftun …« Jemand sprach Gregor im Hintergrund an. Er schien seine Hand über den Hörer zu legen, sie hörte einen dumpfen Wortwechsel. »Ich muss los«, sagte er dann. »Du wirst schon etwas finden, Luka. Ich verlass mich auf dich. Du findest immer was.«

Luka legte auf und starrte aus dem Fenster, während sie ihr Handy umklammerte. Verdammt, dachte sie, verdammt. Was sollte sie jetzt machen? Eine neue Geschichte würde sich wohl finden lassen, doch das Problem mit ihren schlechten Umfragewerten würde das nicht lösen. Man ist immer nur so gut wie die letzte Geschichte, diese Weisheit hatte sie schon zu Beginn ihrer Karriere gehört. Damals hatte sie es nicht verstanden. Baute man sich nicht im Laufe der Zeit einen guten Ruf auf, eine Art Sicherheitsnetz, auf dem man sich ausruhen konnte? Doch langsam war sie sich da nicht mehr so sicher. Eigentlich wuchsen die Ansprüche nur von Einsatz zu Einsatz, der Druck nahm zu. Gleichzeitig wurde sie immer älter. Frauen ab vierzig sind unsichtbar. Auch diese Weisheit hatte sie schon mehrfach gehört. Vielleicht war diese Umfrage jetzt die Bestätigung, dass es stimmte. Sie biss sich auf die Unterlippe. War das bei anderen Sendern auch so? Wurden Reporterinnen der großen, öffentlich-rechtlichen Anstalten auch ständig bewertet? Manchmal stellte sie sich vor, woanders zu arbeiten, nicht für so einen unterfinanzierten Vierundzwanzig-Stunden-News-Sender.

Mischa sah mitfühlend zu ihr hinüber. »Alles okay?«

Luka nickte, doch am liebsten hätte sie alles abgesagt und wäre nach Hause zurückgefahren. Sie musste sich zusammenreißen. Mischa begann, in seiner Tasche zu kramen. »Ihr seid erst gerade angekommen. Du brauchst noch etwas Ausstattung. Hast du...

Erscheint lt. Verlag 29.8.2024
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Affäre • Altenstein • Belletristik • Berlin • Berührend • Bewältigung • Bonn • Brustkrebs Diagnose • Demenz • Deutsche Belletristik • Diplomatenfamilie • Drama • Eltern • Emotional • Emotionale Bindungen • Empfehlung • Erwachsenwerden • Familiäre Krisenbewältigung • Familie • Familienbande • Familiendrama • Familiendynamik • Familiengeheimnisse • Familienleben • Familienroman • Fesselnd • Fiktion • Gegenwartsliteratur • Geheimnisse • Generationen • Generationenkonflikt • Geschenk • Geschwister • Gesellschaftsroman • Klinik • Köln • Konflikt • Krise • Mexiko • Psychatrie • Psychiatrische Klinik • Redakteurin • Roman • Schön • Selbstfindung • Ukraine • Ukraine Konflikt • Urlaub • Urlaubslektüre • Vater • Verantwortung • Verantwortung für die Eltern • zwischenmenschliche Beziehungen
ISBN-10 3-96161-207-2 / 3961612072
ISBN-13 978-3-96161-207-9 / 9783961612079
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