Wer Angst sät (eBook)
368 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01725-2 (ISBN)
Martin Krüger, Jahrgang 1986, studierte Rechtswissenschaften in Frankfurt am Main. Seine Thrillerserie um Hauptkommissarin Winter und BKA-Kommissar Parkov steigt regelmäßig in die Top 10 der Kindle- und der BILD-Bestsellerliste. Er lebt mit seiner Familie in Rheinland-Pfalz.
Martin Krüger, Jahrgang 1986, studierte Rechtswissenschaften in Frankfurt am Main. Seine Thrillerserie um Hauptkommissarin Winter und BKA-Kommissar Parkov steigt regelmäßig in die Top 10 der Kindle- und der BILD-Bestsellerliste. Er lebt mit seiner Familie in Rheinland-Pfalz.
3
In dem kleinen Vernehmungsraum in der Polizeiwache Makow war die Luft heiß und stickig. Die Klimaanlage funktionierte seit einem Monat nicht, und Ella spürte, wie ihr die Schweißtropfen über das Gesicht liefen und zwischen ihren Schulterblättern über den Rücken herabrannen. Beno Wicáz saß ihr gegenüber, während Martenitz mit verschränkten Armen an der Wand lehnte. Ein saurer Körpergeruch strömte ihr von dem Mann entgegen, er trug ein schmutziges, verschwitztes Hemd.
«Sie stecken ganz schön in der Scheiße.» Martenitz’ Stimme ließ Wicáz zusammenzucken. «Wir haben Maximilian Jureks Rucksack in Ihrem Wohnwagen gefunden. Und da sind Ihre Fingerabdrücke dran.»
Der Mann wich Ellas Blick aus. Er hatte etwas zu verbergen.
«Sein Rucksack!», sagte Martenitz erneut. «Erleuchten Sie mich, wie ist der dorthin gelangt?»
«Ich weiß es nicht. Also …» Wicáz schüttelte den Kopf, wippte nervös mit dem Knie auf und ab, während sein Blick zwischen ihnen hin und her huschte. Dann verbarg er sein Gesicht in den Händen. «Ich … das Ding hab ich einfach gefunden. Bin über ein Feld gelaufen. Da lag er. Also hab ich ihn mitgenommen. Das ist alles.»
«Sie haben den Kindern Gras verkauft.» Martenitz schnaubte. «Oder ist das auch nie geschehen? Hm? Haben die Jungs das Zeug auch nur so gefunden? Reden Sie, Mann.»
Wicáz räusperte sich. Er hat Angst, dachte Ella. Aber nicht unbedingt vor Martenitz oder vor einer Strafe. Es musste etwas anderes sein. Was war hier los?
«Würden Sie uns kurz allein lassen?», sagte sie zu ihrem Kollegen.
Martenitz warf ihr einen durchdringenden Blick zu. Verbock das hier nicht, konnte sie darin lesen, ehe er knapp nickte und hinausging. Ella hatte keinesfalls vor, es zu verbocken, ganz im Gegenteil, sie wusste, wie man mit Wicáz umgehen musste. Manchmal war es doch von Vorteil, augenscheinlich nur die Dorfpolizistin zu sein – jedoch mit der Erfahrung einer Großstadtermittlerin.
«Hören Sie, Beno. Bitte, sehen Sie mich einen Moment an.»
Als er seinen Vornamen hörte, hielt sein wippendes Bein inne. Wicáz blickte zu ihr auf. Er kannte sie, brachte sein Hang zum Alkohol und seine Vorliebe für nächtliche, laute Spaziergänge ihn doch immer wieder in Konflikt mit den Custrowern und damit auch mit ihr.
«Irgendwo da draußen ist ein Junge in Gefahr. Er ist verschwunden, Beno. Er war unterwegs, aber dann ist er nicht wieder nach Hause gekommen. Und Sie wissen davon.»
Wicáz nickte vorsichtig. Etwas war anders an ihm, er war schweigsamer als üblich, verunsichert. Wicáz war kein gefährlicher Mann, im Gegenteil, Ella würde ihn als harmlos einschätzen. Ihr berufsbedingter Argwohn riet ihr dennoch, vorsichtig zu bleiben. Aus dem Ordner, den Martenitz auf dem Tisch zwischen ihnen hatte liegen lassen, nahm sie eine Reihe von Fotos, um Wicáz’ Reaktion zu testen. «Sehen Sie sich die in aller Ruhe an. Erkennen Sie einen der Jugendlichen?»
Wicáz beugte sich vor, sein Stuhl knarrte leise. Dann hielt er inne und tippte mit dem schmutzigen Zeigefinger auf das Bild von Max.
«Ihn. Klar, ihn hab ich gesehen. Die anderen kenn ich nicht.»
Was du nicht sagst. «Wann war das?»
«Ist ’ne Weile her», erwiderte Wicáz. Seine Stimme klang rau. «Es stimmt. Ich hab den Jungs was verkauft. Nur ein bisschen. Sie wollten es probieren. Ich meine, was ist da schon dabei?»
«Ich frage Sie noch mal: Wann haben Sie den Jungen zuletzt gesehen?»
Er überlegte. Seine Augen waren blutunterlaufen, auf seiner Nase zeichneten sich feine rote Adern ab. Ella bemerkte, wie seine Finger auf seinem Knie trommelten. Ein Zeichen von Nervosität? Möglich. Vielleicht vermisste er aber auch nur seinen abendlichen Schnaps. «Zwei Wochen ist das her. Montag vor zwei Wochen. Manchmal erledige ich Sachen im Haus für die Leute hier, flick ein Rohr oder mach Unkraut weg. Die Jungs kommen dann vorbei.»
«Und der Rucksack?»
«Auf dem Feld!», rief Wicáz. «Ich hab doch gesagt, welches. Sie müssen mir glauben!»
«Was haben Sie da gemacht?» Ella sah ihn sehr ernst an.
«Ich bin gelaufen, einfach nur gelaufen, was soll ich denn …? Es ist ein guter Rucksack, ich dachte, den hätte wer weggeworfen.»
«Wussten Sie, wem er gehört?»
«Nein.» Er schüttelte den Kopf, dann sah er hinüber zum Fenster, als überlegte er, ob er sich hinausstürzen wollte. Die Festnahme des Landstreichers war nicht unbemerkt geblieben. Ella ahnte, dass sich die Neuigkeiten wie ein Lauffeuer in Custrow verbreiten würden. Viele im Dorf mochten Wicáz nicht besonders, und er wusste es.
«Meine Kollegen durchsuchen in diesem Moment den Wohnwagen. Ich warne Sie, Wicáz. Wenn Sie meine Zeit verschwenden, wenn wir etwas finden, das darauf hindeutet, dass Max bei Ihnen war …»
«War er nicht. Wirklich!» Seine Hände zitterten, und seine Augen füllten sich mit Tränen. «Ich schwöre es. Frau Kommissarin … bitte … Was soll ich denn machen? Was soll ich noch tun, damit Sie mir glauben …?»
«Sie bleiben heute Nacht hier.» Ella erhob sich, ging zur Tür. Es war ein langer Tag, und sie fragte sich, ob sie für alles bereit war, was im schlimmsten Fall noch kommen mochte.
Eine Gruppe uniformierter Polizisten der Bereitschaft, die sie unterstützten, blickte ihr entgegen, als sie das Büro betrat. Es roch nach Kaffee, Müdigkeit und der alles überlagernden Hitze. Martenitz kam auf sie zugeeilt. Ella trat einen Schritt zurück; zum Stressabbau kettenrauchende Kollegen hatte sie früher unzählige Male erlebt, und der Geruch eilte ihm voraus.
«Irgendetwas Brauchbares?»
«Er streitet alles ab», sagte Ella betont gelassen. «Warten wir auf den Wohnwagen.»
«Warten?», wiederholte der Hauptkommissar. «Nein. Sicher nicht. Wir kriegen es aus ihm raus. Gehen Sie nur, Berger. Wir knacken ihn. Machen Sie eine Pause.»
Ella hielt seinen Arm fest, ehe er die Tür zum Vernehmungszimmer öffnen konnte. «Ich denke nicht, dass wir den Richtigen haben», flüsterte sie. «Er war es nicht.»
Martenitz schnaubte, schob sich an ihr vorbei und ging in das Vernehmungszimmer, gefolgt von einem zweiten LKA-Beamten, der ihr knapp zunickte.
Gehen Sie, Berger. Ella spürte, wie es in ihr kochte. Sollte sie sich ihm widersetzen? Nein. Eine Konfrontation wäre falsch zu diesem Zeitpunkt.
Sie ging hinaus. Vor der Polizeiwache, einem zweistöckigen Klinkerbau mit dunklem Blechdach, hatte sich eine kleine Menschenmenge versammelt: vom Sommer gebräunte Gesichter mit dunklen Augenringen, die Müdigkeit und Sorge in die Haut gegraben hatten. Ella blickte ihnen von der Eingangstreppe entgegen. Der Entführer war vielleicht jemand aus Custrow selbst, jemand, der gerne zusah, was die Polizei unternahm. Blitzlicht flammte auf – ein Fotograf und ein Reporter rannten ihr entgegen.
«Haben Sie ihn? Haben Sie Maximilian Jureks Entführer festgenommen? Wo ist der Junge?»
Ella winkte ab, während sie auf den alten BMW M3 zusteuerte, den sie seit vielen Jahren fuhr. «Kein Kommentar.»
«Die Bürger von Custrow verlangen eine Erklärung!»
«Und die bekommen sie. Sobald wir wissen, wo Max ist.»
«Also gehen Sie davon aus, dass er nicht einfach von zu Hause weggelaufen ist?»
«Tut mir leid, kein Kommentar.» Das war Martenitz’ Aufgabe, und sie durfte sie ihm nicht abnehmen.
Ein Raunen ging durch die Menge, jäh abgeschnitten, als sie die Autotür schloss und losfuhr. Bald hatte sie Makow hinter sich gelassen. Das Abendrot tauchte die weiten Felder, die die Landstraße einschlossen, in glutrote Farbe.
Es war Ende August, und die Sonne spiegelte sich für einen Moment glitzernd auf dem Wasser des Güritzer Sees, während sie in zügigem Tempo dahinfuhr. Die Straße führte durch ein dunkles Waldstück mit schlanken Kiefern, dann wieder durch scheinbar endlose Felder, auf denen Roggen, Weizen und Mais wuchsen. Inmitten der Felder lag Custrow mit seinen etwa achthundert Einwohnern.
Die Sonne stand tief, und so sah sie es erst im letzten Moment. Dicht am Maisfeld, dürr und hochgewachsen, stand etwas in der hereinbrechenden Dunkelheit, das in einen zerschlissenen Umhang gehüllt war. Ella blinzelte: Wo der Kopf hätte sein sollen, war grobes, zerschlitztes Sackleinen.
Ella trat auf die Bremse.
Das Ding huschte zur Seite, hinein in den hochgewachsenen Roggen, mit einer Bewegung wie ein jähes Zucken – von einem Moment auf den nächsten war es fort.
Was zur Hölle war das?
Mit wild klopfendem Herzen wendete sie den Wagen, fuhr zurück, spähte durch das offene Fenster in den Roggen hinein, der fast zwei Meter hoch stand. Nichts. Die Pflanzen raschelten, als der Wind hindurchstrich.
In Ellas Ohren klang es wie ein lautes Atmen.
Da ist nichts, wollte ihr Verstand sie überzeugen, und doch spürte sie, dass etwas aus dem Dickicht heraus sie beobachtete.
Etwas war dort.
Wartete auf sie.
Sie stieg aus und ging, mit der Hand an ihrer Dienstwaffe, einige Schritte ins Feld. Sie schob die Roggenhalme zur Seite und versuchte, etwas zu erkennen. Doch nichts rührte sich, und der dunkle Erdboden war viel zu trocken, um Schuhabdrücke auszumachen.
Am Abend gelang es Ella abzuschalten, doch gegen Mitternacht, als sie einschlafen wollte, kam ihr das Ding wieder in den Sinn und sie wälzte sich voller unruhiger Gedanken hin und her. Sie hatte es sich nicht eingebildet. Es war eine Art Vogelscheuche gewesen. Eine lebendige Vogelscheuche.
Sie griff nach den Schlaftabletten, die auf dem Nachttisch...
Erscheint lt. Verlag | 1.7.2024 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Arno Strobel • Brandenburg • Buch Thriller • C.J. Tudor • CJ Tudor • deutsche Kriminalromane • Deutscher Krimi • Deutscher Kriminalroman • Deutscher Thriller • Deutsche Sagen • deutsche Spannung • Dorfkrimi • Ermittlerduo • Geheimnis • Kastanienmann • Korndämon • Krimi • Krimi Deutschland • Kriminalgeschichten • Kriminalliteratur • Krimi Neuerscheinung • Krimi Neuerscheinung 2024 • krimis bücher • Krimis und Thriller • Krimi Thriller • Lina Bengtsdotter • Löwenzahnkind • Marc Raabe • Mecklenburg-Vorpommern • Mystery • Mythos • Osten Deutschlands • Parkov Winter Serie • Profiler • Profilerin • Ritualmord • Romane Krimis • Sagen • Samuel Björk • Sommerbuch • Sommerkrimi • spannende Bücher • spannende Thriller • taschenbücher thriller • Thriller • thriller 2024 • Thriller Bücher • thriller neuerscheinung • Thriller neuerscheinung 2024 • Thriller und Krimis deutsch • Umland Berlin • Urlaubsbuch • Urlaubskrimi • Verschwundene Kinder • Winter und Parkov • Winter und Parkov Thriller |
ISBN-10 | 3-644-01725-5 / 3644017255 |
ISBN-13 | 978-3-644-01725-2 / 9783644017252 |
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