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Die Tintenfischfalle -  Alexander Graff

Die Tintenfischfalle (eBook)

Roman von Büchern, Schiffen und Sehnsucht
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
406 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7568-7273-2 (ISBN)
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1981: Die kurze Begegnung mit einer gestrandeten Passagierin verändert das Leben eines Kapitäns für immer. Sie hinterlässt ihm ein Buch, mit der Bitte es fertig zu lesen und ihr das Ende zu erzählen. Viele Jahre später trifft die zwölfjährige Anna an ihrem Geburtstag einen alten Mann, der in einem Leuchtturm darauf wartet, die Liebe seines Lebens wiederzusehen. Eine Liebe, die auf einem Schiff und mit einem Buch begann. Und eine Geschichte, die das Mädchen nun für immer begleiten wird. 2017: Ein Kapitän wird in die Notaufnahme eingeliefert. Alle Symptome deuten zunächst auf einen Herzinfarkt hin. Bei der Untersuchung erkennt Herzchirurg Christian jedoch, dass er es mit einer noch völlig unbekannten Krankheit zu tun hat. Nachdem sein Patient unerwartet stirbt, macht er sich auf die Suche nach der Ursache. Als er dabei zufällig auf die mittlerweile erwachsene Anna trifft, ahnen beide noch nicht, was sie verbindet. Und das es mehrere Teile des Buches gibt ... Eine Geschichte von Büchern, Schiffen und Sehnsucht.

1977 in Leipzig geboren lebt, arbeitet und schreibt er aktuell auf seinem Boot, das seinen Heimathafen an der kleinen Müritz hat. Auch in seinem Hauptberuf hat er mit Büchern zu tun - wenn auch auf ganz andere Weise.

33° 54' 46” S


1981

Das Meer lag schwarz und still vor dem

Schiff. Die Nacht war wind- und wellenlos. Sina hatte schon eine Hand auf das Geländer der Treppe gelegt, die zur Brücke hinaufführte. Sie zögerte einen Moment in der kalten Luft, zögerte auch nach den ersten Stufen, und noch immer, als sie bereits im Türrahmen stand.

“Ich weiß nicht, ob ich hierhergehöre”, sagte sie.

“Auf keinen Fall”, antwortete Johannes - und: “Komm rein!”, antwortete sein Blick.

Sie lächelte. Unwillkürlich.

“Kannst du nicht schlafen?”

“Doch, aber ich habe keine Lust dazu. Dann verpasse ich zu viel.”

“So, was denn hier im Dunkeln?” fragte er.

Ihre Wangen wurden warm und ein Stück des Halses, den man unter dem Kleid nicht sehen konnte.

“Die Sterne”, flunkerte sie.

“Die Sterne”, wiederholte er, “da hast du wohl recht.”

Er gab dem Rudergänger ein Zeichen und nahm einen Mantel von einem Garderobenhaken. “Komm mit.”

Er legte ihr den Mantel um die Schultern und sie verschwand fast darin.

“Wenn der Himmel dunkel ist und das Meer glatt und schwarz, dann sind wir hier fast wie ein Raumschiff. Irgendwo im All. Nur die Sterne und wir.”

“Viele Sterne”, sagte sie, “mehr als man vom Land sieht.”

“Weil hier nichts weiter ist.”

“Was habt ihr eigentlich geladen?” Sie klopfte mit der flachen Hand an einen der Container. Die untere Etage eines großen metallenen Hochhauses.

“Doch eine Zollkontrolle.” Er lachte. “Wäre ja auch zu schön gewesen.”

“Was?”, fragte sie.

“Ganz verschiedene Dinge. Maschinenteile, Kühlschränke, Spielzeug ...” Er nahm sein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger. “... und Kleidung. Irgendwo.”

Johannes rannte zur Brücke zurück. Sie sah ihm hinterher und dann auf das Meer hinaus. Schloss die Arme um ihre Schultern. Der Mantel war warm, aber nahm ihr nicht die Einsamkeit, die sie plötzlich fühlte. Sie legte den Kopf in den Nacken und schaute nach den Sternen. Viele kleine weiße Punkte, einige eng zusammen in einem quer über den Himmel verlaufenden Band, wie ein weißer Regenbogen. Sie erkannte den Kleinen Wagen und versuchte, sich an andere Sternbilder zu erinnern.

Er hat recht, dachte sie, wie in einem Raumschiff. Nur ich und die Sterne.

Weit unter ihr stampften die Kolben eines riesigen Schiffsmotors und bewegten die vielen Tonnen Stahl durch den Ozean. Hier oben kam davon nur ein sanftes Vibrieren an. Sie drückte die Fingerspitzen an die Reling und fühlte die winzigen Erschütterungen.

“Komm!”, Johannes war plötzlich wieder da und legte eine Hand an ihre Schulter. Bestimmt genug, dass sie seine Fingerspitzen durch den Mantel spürte, aber vorsichtig genug, dass sie stehen blieb.

“Komm!”, wiederholte er. Das Wort verfing sich in der kalten Luft an ihrem Ohr. Er griff ihre Hand und sie folgte ihm. Johannes blieb einige Male kurz stehen, sah nach den aufgedruckten Nummern an den Containern, zählte, indem er den Zeigefinger ausstreckte und ein paar Mal auf und ab wippte, und zog sie dann wieder mit sich mit.

“Hier."

Der Spalt zwischen zwei Stapeln, deren Höhe Sina nicht abschätzen konnte, war schmal. Ließ ihnen aber Platz, hintereinander hineinzugehen. Sie widersetzte sich für einen Augenblick dem Zug seiner Hand.

“Wo willst du hin?"

“Komm!”

Sie gab nach und folgte ihm tiefer in die Containerschlucht.

“Hierl” Er klopfte mit der flachen Hand an einen stahlgrauen, riesigen Blechbehälter ‘‘Hier drin.”

“Und jetzt?”

Johannes zog eine Taschenlampe hervor und leuchtete an die Stelle, an der er das Schloss vermutete. Sinas Blick folgte dem kleinen Lichtkegel, der über das Metall huschte, bis er es fand.

“Die Kiste ist zu”, sagte sie amüsiert.

Er wog das Schloss in der Hand und schob mit dem Daumen die Abdeckung über der Öffnung des Schlüssellochs zur Seite. Mit der anderen Hand klopfte er die Taschen seiner Hose ab.

“Schraubenschlüssel?”

“Ja, hast du einen?”

“Nein, natürlich nicht.”

Er seufzte, zog die Lippen nach innen und sah sich um.

“Du bist ein Einbrecher!”

“Es ist ein Notfall!”

“Warum denn das?”

“Na, du brauchst doch Klamotten, oder? Hier sind welche drin.”

Sie lachte.

“Vielleicht ist da ja was für dich dabei.”

“Die Kiste wäre dann mein begehbarer Kleiderschrank für die Reise, ja?”

Sie lachte wieder. Hielt sich dabei die eine Hand vor den Mund und den Ellenbogen mit der anderen fest.

“Du könntest dir aussuchen, was du willst.”

Sie fühlte sich eingehüllt in diesem Satz.

“Was wäre denn eigentlich zu schön gewesen?” fragte sie.

“Was meinst du?” Er runzelte die Stirn.

“Na, du sagtest ... Schade, also doch eine Zollkontrolle. Wäre auch zu schön gewesen.”

“Ja, das sagte ich.”

“Und? Was wäre auch zu schön gewesen? Wolltest du mir noch sagen.”

“Wollte ich das?”

Er wandte sich ab. Sie erhaschte trotzdem einen Blick auf den Ausläufer seines Grinsens. Und stampfte mit dem Fuß auf den Boden.

“Wolltest du!”

Plötzlich drehte er sich um. Sie fühlte sich unsicher unter seinem Blick, aber nicht unangenehm. Unsicher geborgen. Und fühlte plötzlich wieder die Wärme ihrer Wangen. Er schien an ihr vorbeizusehen, über sie hinweg. Sie verdrehte die Augen nach oben, um seinem Blick zu folgen.

“Was hast du entdeckt?”

Er antwortete nicht und trat einen Schritt näher. Ihr Herz schlug schneller für einen Moment. Seine Hand bewegte sich auf ihren Kopf zu. Sie war sich nicht sicher, was er vorhatte, und wich der Bewegung aus. Ein kleines Stück nur. Er lächelte. Sie schloss die Augen. Also doch.

“Du hast Haarklammern.”

Sie lachte auf.

“Ja, ich habe Haarklammern.”

Ihr Lachen fiel in ein schmales Lächeln zurück. Sie hob die Augenbrauen. Kurz, aber er bemerkte es.

“Na dann.” Sie legte den Kopf zur Seite, griff mit spitzen Fingern an ihren Hinterkopf und zog eine der Klammern heraus.

“Bitte!”

Er berührte ihre Hände nicht, als er den kleinen Gegenstand entgegennahm.

Er führte das gebogene Metall Stäbchen in die Öffnung des Vorhängeschlosses, kippte es an und drehte es mehrmals schnell in beide Richtungen.

“Na?”

“Schwerer, als es aussieht.”

“Es sieht schwer aus.”

Sie sah ihn über ihre verschränkten Arme an. Ein Schweißtropfen hangelte sich seine Schläfe hinunter.

“Ich bleib ja nicht lange hier, ich komm schon klar”, versuchte sie ihn von seinem offenbar erfolglosen Vorhaben zu erlösen.

“Das genau ist es”, sagte er.

“Das Schloss?”

“Nein, die Antwort auf die Zollfrage. Es wäre ja zu schön, wenn du länger hier wärst.”

Sie erwartete einen Blick von ihm, doch er hielt ihn zurück und stocherte gedankenverloren im Schloss herum. Sie erkannte, dass er sich drückte, und musterte die Beschriftung des Containers.

“Es hat keinen Zweck.”

Johannes klopfte sich die Hände an den Hosenbeinen sauber.

Ihre Wege trennten sich auf halber Treppe. Auf dem Geschoss der Mannschaftsunterkünfte, auf dem sie eine Kabine bezogen hatte. Der Rest seiner Schicht wartete ein Stockwerk höher.

“Mach’s gut, Kapitän!”

Sina griff mit ihrer linken Hand nach seiner rechten. Zog sie ein winziges Stück zu sich, verharrte kurz und ließ sie dann los. Sie fand etwas Liebevolles in seinem Blick, doch er ging wortlos.

Vor dem Spiegel fuhr sie mit den Zeigefingern ihre Augenringe nach. Müde, befand sie. Sie ließ sich auf das Bett fallen und strich eine Haarsträhne zurück, die sich über ihr Gesicht gelegt hatte. Die Strähne fand keinen Halt und schnell ihren Weg wieder zurück. Da fiel ihr ein, was er ihr nicht zurückgegeben hatte.

ER LEGTE die Haarklammer auf seinem Nachttisch ab. Schüttelte den Kopf über sich selbst. Besonders, weil er sie die letzten Stunden in der Hosentasche festgehalten hatte. Als würde sie ihm sonst abhandenkommen. Wie ihre Besitzerin in ein paar Tagen. Erschrocken über diesen Gedanken setzte er sich wieder auf und legte sein Gesicht in die Hände. Augenblicklich erschien ihres vor seinen Augen.

Er stand auf und sah aus dem Fenster. Erblickte sein Spiegelbild. Klar gezeichnete, kontrastreiche Züge. Es mochte an der Beleuchtung liegen, der dunklen Scheibe. Oder an der Begegnung an diesem Abend. Er gefiel sich. Wie auf einem vorteilhaften Foto. Johannes schüttelte den Kopf....

Erscheint lt. Verlag 28.9.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7568-7273-4 / 3756872734
ISBN-13 978-3-7568-7273-2 / 9783756872732
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