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Mein Leben als Greis - Karl Otto Mühl

Mein Leben als Greis

(Autor)

Buch | Softcover
308 Seiten
2023
Nordpark (Verlag)
978-3-943940-77-0 (ISBN)
CHF 25,90 inkl. MwSt
»Schonungslos werde ich in diesem Buch über alle die Wahrheit sagen, über alles und jeden, aber nur fast alles über mich selbst.«


Die letzten Notizen von Karl Otto Mühl ergeben ein volles, hinreißendes und erhellendes Buch. Erzählend, sprechend, beobachtend, kommentierend führt er uns durch die wechselhafte Zeit eines Lebens, mit den Augen eines weisen Mannes, der uns bereichert, denn er konnte etwas Seltenes: Zuhören und verstehen.

»In diesem Manuskript ist keine durchgehende Handlung zu finden, fällt mir ein. Aber das habe ich so gewollt, ich kenne ja auch die durchgehende Handlung meines Lebens nicht. Durchgehend sind nur die Krankheiten meiner Freunde, die ich verfolge.«

Karl Otto Mühl wird am 16.2.1923 in Nürnberg geboren. 1929 erfolgt der Umzug der Familie nach Wuppertal. Dort Ausbildung zum Industriekaufmann. 1941 Kriegsdienst in Afrika, Gefangenschaft in Ägypten, Südafrika, USA, England. Im Februar 1947 Rückkehr nach Wuppertal, wo er sich der Künstlergruppe »Der Turm« anschließt, der auch Paul Pörtner angehört. Erste Kurzgeschichten werden 1947/48 veröffentlicht. Mit den Theaterstücken »Rheinpromenade«, »Kur in Bad Wiessee«, »Die Reise der alten Männer« gelingt ihm der Durchbruch.Seither veröffentlichte Karl Otto Mühl dreizehn Theaterstücke, zahlreiche Fernsehfilme, Hörspiele und Romane. Die Stadt Wuppertal verlieh ihm 1975 den von-der-Heydt-Preis. 2006 erhielt er den Literaturpreis der Springmann Stiftung und 2015 den Rheinlandtaler. Er war Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller (VS) und im P.E.N. Am 21. August 2020 stirbt Karl Otto Mühl in Wuppertal

VORWORT Vor ein paar Jahren, als Karl Otto noch zu den Vollversammlungen des Verlags der Autoren nach Frankfurt fuhr, stand ich mit ihm und ein paar Kollegen in der Mittagspause draußen und wir unterhielten uns. Gerade hatte jemand im Plenum den Vorschlag gemacht, man könne doch unter dem Dach des Verlags eine weitere Gruppe oder ein Komitee, jedenfalls eine Art Vereinigung gründen, zum Zwecke, dass Autoren mit anderen Autoren ihre Werke zum gegenseitigen Lesen und Anmerken tauschen. Also ›Feedback‹, konstruktive Kritik, ›writing is re-writing‹ und weitere Scheußlichkeiten dieses Berufs. Ich hielt nicht viel davon und fragte Michael (ich benutze jetzt auch mal ein Alias) nach seiner Meinung. Michael fand natürlich, das wäre doch eine tolle Idee, als Autor sei man ja oft ein Einzelkämpfer, betriebsblind, je mehr Meinungen, desto besser, wen solle man sonst fragen? Karl Otto blickte ihn kurz an und sagte in seiner freundlich-verschmitzten Art »Hast Du keine Freunde?« Das ist eine Anekdote, die ich gerne, und besonders gerne Autoren, erzähle ... Leuten, die Karl Otto kannten, und jenen, die ihn nicht kannten, denn sie fasst ihn eigentlich ganz gut zusammen. Seinen schnellen Witz, sein Gespür für Timing und Dialog, seine Fähigkeit, die Schwachstelle von Meinungen und Argumenten bloßzustellen, ohne bösartig zu werden, und sie zeigt auch, auch welch hohen Stellenwert Freundschaft in seinem Leben und Schaffen, untrennbar, hatte. Ich bin sehr stolz, dass ich sein Freund sein durfte, und wenn auch die Initiative dazu nicht komplett von ihm ausging, so waren es doch zweifellos seine große Offenheit und Neugierde und Bereitschaft, Menschen unter seine Fittiche zu nehmen, die dazu führten, dass so unterschiedliche Gemüter wie er und ich gute Freunde wurden. Karl Otto wurde 1923 geboren, ich 1972. Er musste in die Wehrmacht und war Kriegsgefangener, ich wurde ausgemustert. Karl Otto hat viele Jahre in der Industrie gearbeitet, ich bin direkt nach dem Studium Autor geworden. Er schrieb hauptsächlich für’s Theater, ich für’s Fernsehen. Und was verband uns dann? Dazu am Ende dieser Ausführungen ein kurzes Wort. Dieses besondere Buch »Mein Leben als Greis« hat auch eine eher ungewöhnliche Entstehungsgeschichte. Ein paar Monate vor seinem Tod bat mich Karl Otto, das Manuskript hierzu (es war eine dicke Word-Datei) auf Indiskretionen und Doppelungen zu überprüfen. Er selbst konnte leider kaum noch sehen. Ich fand, ich wäre zunächst eine seltsame Wahl, denn ich kannte ihn ja nicht so lange wie die meisten anderen seiner Freunde, die außerdem zum Teil erfahrene und renommierte Schriftsteller waren. Andererseits fühlte ich mich geehrt und war zudem neugierig und legte los. Ich war leider noch nicht weit gekommen, als Karl Otto starb. Seine Frau Dagmar Mühl bat mich dann, die Arbeit fortzusetzen. Angesichts der Fülle und Art der Aufzeichnungen – aus den Jahren 2014 bis 2018 ungefähr -, fühlte ich mich anfangs überfordert. Was war das überhaupt für ein Text? Manches las sich wie Tagebucheinträge, es gab kurze Prosastücke, Aphorismen und Gedanken, Lyrik und Erinnerungen. Zunächst dachte ich, ich müsste die Abschnitte ordnen, um den Text später in Kapitel oder Ähnlichem neu zu gliedern, und führte eine Strichliste. So und so viel Tagebuch, so und so viel Memoiren, so und so viel Stehcafé und so weiter. Bald merkte ich, dass das Buch in seiner Struktur genau so richtig war, wie es war. Das einzig ordnende Element ist eine mehr oder weniger stringente Chronologie. Das heißt aber nicht, dass man das Buch von vorne bis hinten lesen muss. Man kann auch einfach eine Seite aufschlagen, sich überraschen lassen. Es hat etwas von einer persönlichen Unterhaltung mit Karl Otto. Und dass wir so was von ihm haben, ist ein großes Glück und ein gewisser Trost. Er bemerkt an einer Stelle »Ich habe schon längst beschlossen, keine Geschichten mehr zu schreiben. Ich finde alle gelesenen oder von mir erfundenen Geschichten langweiliger als das Leben selbst, das ich führe und das mir begegnet.« Doch nicht jeder kann aus dem Leben, das ihm begegnet, auch Kunst machen, die berührt. Nicht jeder kann so gut beobachten. Strindberg hat wohl mal sinngemäß gesagt, ein Schriftsteller müsse wie ein Vampir seinen Freunden, seinen Nächsten und sich selbst das Blut aussaugen. Karl Otto würde dem wohl kaum zustimmen. Seine Beobachtungen und Schilderungen von Menschen, seien es Freunde, Bekannte, Familie oder zufällige Begegnungen, sind zwar sehr genau, treffend und tiefgründig, aber nie boshaft, zynisch oder entlarvend. Selbst als fortschreitende Blindheit, Krankheit und eingeschränkte Bewegungsfähigkeit ihn bisweilen, wie zu lesen ist, mutlos machten oder frustrierten, ist doch stets sein abgeklärter Optimismus und ein möglicherweise leicht verzweifelter Glaube an das Gute im Menschen spürbar. Und die Neugierde, was wohl nach all dem Erdenleben kommen könnte. »Und dann bin ich bei meinem Dauerthema, dem Sterben. Ich schriebe zu viel darüber, hat jemand gesagt, aber ich kenne seinen Maßstab nicht. Bei mir ist das so, dass ich mich an den Gedanken gewöhnen möchte, aber ich weiß nicht, ob das möglich ist.« Ich muss gestehen, beim Redigieren haben mich die häufigen Schilderungen von Krankheit und Tod doch manchmal deprimiert. Aber natürlich gehören die Auseinandersetzungen damit zum Leben als Greis dazu. Auffällig ist die wiederholte Erwähnung eines Hamlet-Zitats. Ich hab es absichtlich an allen Stellen im Text belassen, denn es wird schon seinen Grund haben, warum es ihm oft durch den Sinn ging. Gewundert hat mich, dass ein bestimmtes Gedicht von Dylan Thomas keine Erwähnung fand, denn er hat mich ein paar Mal danach gefragt und wir haben darüber gesprochen: »Do not go gentle into that good night./Rage, rage against the dying of the light.« Möglicherweise lag zorniges Toben Karl Otto zu fern. Eine Anekdote, die auch mehrmals im Text vorkommt, und die er persönlich oft gerne erzählte, handelt von dem berühmten Ausflug mit dem VW-Käfer, als nicht mehr ganz junger Mann, in den Teutoburger Wald. Er bekommt Herzkrämpfe; der Arzt verschreibt, Anstrengung und Erregung zu vermeiden, Spaziergänge. Es kommt zu einer Art Erweckungsmoment, »das Festhalten an Sorgen, Grübeleien, Gier, Ängsten« fällt von ihm ab. »Es war, als ob ich ein neuer Mensch geworden wäre, und es änderte mein ganzes Leben und Schreiben blitzartig.« Ich glaube, er konnte sich glücklich schätzen für diese Erfahrung, und das war ihm bewusst. Viele warten auf diesen Moment, auch mir ist er noch nicht begegnet. Vielleicht fällt es mir deshalb schwer, die guten Ratschläge, die Karl Otto mir zum Schreiben gab (nur eine Stunde am Tag nach anständiger Arbeit, oder nur eine Seite am Stück, dann am nächsten Tag weiter), so recht zu beherzigen. Von Leichtigkeit in seiner Arbeit zu sprechen, wäre bestimmt vermessen; mir scheint es zeigt ein starkes Selbstverständnis als Autor, eine aus seiner Biographie und Persönlichkeit geborene Sicherheit. Ich mag auch irren, denn in andere Leute kann man ja schlecht reingucken. Bewundert habe ich auf alle Fälle die Souveränität, mit der er als 80jähriger mit Internet, Computer und Handy umging. In seiner Jugend fuhren Pferdedroschken durch Wuppertal, dachte ich mir in meiner naiven Art, nun schickt er mir Emails. Und noch einmal ist die unablässige große, freundliche Neugierde zu erwähnen, auf Quantenphysik, Malerei, Menschen im Stehcafé. Diese Offenheit und, wichtiger, die Fähigkeit, Erlebtes, Gehörtes, Gespürtes durch treffende Worte zu vermitteln, das ist für mich das Wesentliche an diesem Buch. Und die Freundschaften. Ich komme auch vor in diesem Buch, in einer kurzen Stelle, selbstverständlich mit einem anderen Namen. Es war nicht ganz einfach, das zum ersten Mal zu lesen, denn die Schilderung ist nicht vollkommen schmeichelhaft. So wie man manchmal in einer viel zu gut ausgeleuchteten Umkleidekabine steht und den scharfen Spiegel verflucht. Bin ich das? Wirklich? Meine Eitelkeit war verletzt. Aber dann las ich die Stelle noch einmal und bemerkte, er sprach von unserer Verbundenheit. Und da fühlte ich große Dankbarkeit für diesen Freund. Patrick Gurris, Münster Leseprobe Mein Leben als Greis Karl Otto Mühl Schonungslos werde ich in diesem Buch über alle die Wahrheit sagen, über alles und jeden, aber nur fast alles über mich selbst. Die schönen Mädchen, die vorbeiradeln, als ich mich zu meinem Morgenlauf im Wald befinde, sind für mich die erste Auffälligkeit. Viele sehen so liebreizend aus, dass mir eine späte Erkenntnis wieder deutlich wird: Es ist legitim Frauenschönheit zu verehren. Freilich, wer mehr mit ihnen vorhat, muss sich die Sache genauer überlegen. Dann geht es nämlich um die endlose Dynamik von Gefühlen, Lebensplanung, Konflikten und Charakterstrukturen. Dazu wird mir noch vieles einfallen. Heute, beim Aufwachen vom Mittagsschlaf sah ich mich mit dem Gesicht eines kummervollen Ziegenbocks, den niemand lieb hat. Zu welchen Zeiten war ich eigentlich am zufriedensten? Mir fällt als erstes 1968/69 ein. Ganz abgesehen von den großen Ereignissen – Roman, Kennenlernen meiner Frau – meine ich einfach den Lebensrhythmus dazwischen. Da ging ich tagsüber meiner Arbeit als bescheidener Sachbearbeiter nach und kam gegen Fünf nach Hause. Dort legte ich, im übertragenen Sinne, mein eigenes Mönchsgewand an und schrieb maximal eine Stunde. Danach aß ich etwas, meistens erhitzte Fleischwurst und einen Kanten Brot (denn ich musste sparsam leben), zog mich um, joggte auf der Kaiserhöhe einige Runden, kam zurück, duschte, zog mich an, ging in der Eckwirtschaft 1-2 kleine Bier trinken, legte mich ins Bett, lagerte die Hände wohlig auf dem Bauch und versuchte, nicht zu schnell einzuschlafen, denn ich genoss diese wohlige Entspannung. Alles durchtränkt von meditativer Ruhe, die ich jahrelang in ZEN-Sitzungen – ohne viel Buddhismus – erlernt hatte. Ich werde an die Vergangenheit erinnert, als ich heute den folgenden Brief erhalte. »Lieber Herr …, meine Mutter hat sich sehr über Ihre Geburtstagsgrüße gefreut. Den Satz, den Sie zitiert haben, hat sie schon in vielen Telefongesprächen mit ihren Freundinnen erwähnt – natürlich immer mit dem Hinweis auf Sie! Sie hält sich tapfer – es gibt eben gute und schlechte Tage – oft ist die Vergangenheit präsenter als die Gegenwart. Bei dem wunderschönen Wetter am letzten Wochenende hat sie die meiste Zeit auf ihrer Terrasse verbracht und die Sonne genossen. Es ist wirklich tragisch, dass der Freundeskreis schrumpft und die Möglichkeiten, sich zu treffen immer eingeschränkter werden. Ganz herzliche Grüße an Sie und Ihre Frau N.N.« Die Schreiberin könnte 70 sein, ihre Mutter, von der sie schreibt, 95. Die war 1941 die Leiterin einer NS-Frauengruppe in unserer Stadt – für Frauen ab 18. Ein liebenswürdiges Mädchen, blond und mit »Klampfe«. Ich habe ein Foto von ihr, da sitzt sie mit dem Instrument auf der Burgmauer von Schloss Burg. Jetzt muss ich mich entscheiden, mit welchen Augen ich sie ansehe. Sie war ein freundlicher und naiver Nazi, was ihr Denken anbelangt. Sogar später sagte sie oft Dinge wie »Das hat man ja nicht gewusst«, »Wir hatten doch schöne Stunden, die Fahrten und so« und »Nicht alles war schlecht«. Da ist nichts zu beschönigen. Sie war ein feineres Mädchen mit dem diskreten Bewusstsein, dem gehobenen Bürgertum anzugehören, aber es ließ sich für sie ohne Schwierigkeit mit der herrschenden Ideologie vereinbaren. Ihre Eltern hatten eine Firma. Aus dem gehobenen Bürgertum kamen andererseits damals die meisten Widerstandskämpfer. Beides war offensichtlich möglich. Ich kannte die Bewunderte in den Monaten, in denen ich zum Hitlerjugendstandort abkommandiert war. Da hatte ich bereits mein gefährliches Geheimnis vor den Nazis zu verbergen. Trotzdem fand ich sie schön. Wahrscheinlich dachte und fühlte ich eher pragmatisch, fernab von gesellschaftspolitischen Erwägungen. Gegen Prinzessinnen und Prinzen haben wir Leute aus dem Volk selten etwas einzuwenden gehabt, zumal wir durch die Brüder Grimm wissen, wie schön sie sind. Sie war mit einem Marineoffizier verlobt, der bald mit seinem U-Boot im Atlantik versenkt wurde. Mir gefiel sie, weil sie so ein gepflegtes, kluges, verständiges, gebildetes und schönes Mädchen war. Die fand man nicht alle Tage in meinem Umfeld. Der Marineoffizier störte allerdings. Der offensichtliche, unabänderliche Qualitätsunterschied zwischen ihm und mir war frustrierend. In meiner Feierabendfunktion auf der Pressestelle der Hitlerjugend, ich sechzehn Jahre, hatte ich mein Zimmer neben ihr. Wir begegneten uns selten. Dass wir angepassten Presse-Jünglinge und -Mädchen, die ab und zu fünf Zeilen über Sportfeste und anderes an die örtlichen Zeitungen gaben, in unserem Bereich ein herzlicher Freundeskreis waren, ein Dutzend Mädchen und Burschen in einer Nische der politischen Vereinnahmung, das ist wahr, aber Nazis, die Juden hassten und fremde Rassen unterdrücken wollten, das waren wir weder damals noch hinterher. Das Jahr 1968 war ein gewaltiger Umbruch in meinem Leben. Ich hatte den Eindruck, dass ich nicht das Zeug für die Geschäftsleitungsebene hatte, teilweise mangelte es auch an bestimmten technischen Kenntnissen und, ich glaube, ich habe auch keine flinke Auffassungsgabe. Schreiben, das wollte ich, möglichst in Frieden leben, und abends meinen Freiraum haben. Im August hatte ich das alles schon erreicht, verdiente 1000.- Mark weniger, hatte keinen Dienstwagen mehr und wohnte in einem kleinen Appartement. Ich denke nicht, dass ich damit Zufriedenheit erreicht hatte, aber die Angst, die mit dem Karrierestreben meistens verbunden ist, war verschwunden. Das Romanmanuskript, an dem ich arbeitete, hatte ich einem Freund namens Karlheinz gezeigt. Als er es mir zurückgab sagte er nur: »Manchmal ein bisschen drög, nicht wahr?« Das war nicht besonders ermutigend. In den folgenden Monaten habe ich nicht mehr geschrieben. Was ich neben der Arbeit durchhielt, war der regelmäßige Sport und einige Kontakte mit Frauen. Und nun, im August, gönnte ich mir einen bescheidenen Urlaub im Teutoburger Wald. An anderer Stelle habe ich schon beschrieben, wie ich auf der Anreise in meinem VW-Käfer Herzkrämpfe bekam, anhielt und mich auf die Böschung des Straßengrabens hockte. Die Krämpfe ließen bald nach und ich konnte die Reise fortsetzen. Ich erinnere mich noch an jeden Augenblick – mein Hotelzimmer, das Bett, die Atmosphäre dieser Pension, mein vorsichtiges Atmen, meine behutsamen Schritte in den Ort hinein, an den alten Arzt, der nichts hatte als ein Hörrohr und mir Belladonna verschrieb; meine ängstliche Vorsicht, Anstrengung und Erregung zu vermeiden, und an meine regelmäßigen, sehr langsamen Spaziergänge. Und nun kommt der Augenblick, den ich nur unzureichend beschreiben kann. Es war eine nonverbale Erkenntnis beim Gehen, nämlich, dass ich einen grauen, schweren Sack auf dem Rücken schleppte, und dass ich diesen Sack fallen lassen konnte. Er enthielt das Festhalten an Sorgen, Grübeleien, Gier, Ängsten, er enthielt alles, was ständig meine Souveränität behinderte, mir die Freiheit und die Hoffnung nahm. Alles, was dieser Sack enthielt, spiegelte sich in meinem Denken, Grübeln und Phantasieren wieder. Und nun erfuhr ich das Loslassenkönnen, die Verweigerung des Grübelns. Es war ein fast körperlicher Ruck, mit dem diese Bewegung einherging. Es war, als ob ich ein neuer Mensch geworden wäre, und es änderte mein ganzes Leben und Schreiben blitzartig. Alles kam anders, alles wurde anders, sogar die Schrift, und, vor allem, das Geschriebene ...

Erscheinungsdatum
Vorwort Patrick Gurris
Verlagsort Wuppertal
Sprache deutsch
Maße 195 x 215 mm
Gewicht 428 g
Themenwelt Literatur Briefe / Tagebücher
Literatur Lyrik / Dramatik Lyrik / Gedichte
Schlagworte Alter • Krankheit • Lebensskizzen • Lebensweisheiten • Tagebuch • Weisheiten
ISBN-10 3-943940-77-2 / 3943940772
ISBN-13 978-3-943940-77-0 / 9783943940770
Zustand Neuware
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