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Stumme Hölle (eBook)

Kriminalroman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
480 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-26203-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Stumme Hölle - Alex Pohl
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Eine Leiche im Wald, ein grausamer Serienmörder und die Rache für ein DDR-Verbrechen
In einem Wald in der Nähe von Leipzig werden die von Wildschweinen angefressenen Überreste eines Mannes gefunden. Was zunächst wie ein Suizid aussieht, entpuppt sich als grausame Bluttat: Dem Toten wurde kurz vor seinem Ableben eine Hand abgetrennt. Und es bleibt nicht bei diesem einen Mord. Hat es das Ermittlerduo Hanna Seiler und Milo Novic mit einem perfiden Serienkiller zu tun? Ihre Ermittlungen führen sie in die verfallene Ruine eines DDR-Kinderheims - und auf die Spur eines Verbrechens, das auch vierzig Jahre später nicht verjährt ist ...

Nach »Eisige Tage« und »Heißes Pflaster« ein fesselnder neuer Fall für Hanna Seiler und Milo Novic: Alle Bände der Reihe sind unabhängig voneinander lesbar.

Alex Pohl begeisterte unter dem Pseudonym L.C. Frey ein riesiges Thrillerpublikum. Mit »Eisige Tage«, »Heißes Pflaster« und »Stumme Hölle« erscheint seit 2019 eine neue Krimireihe um das charakterstarke Ermittlerduo Hanna Seiler und Milo Novic - und um den Tatort Leipzig, seine Heimatstadt. Alex Pohl ist außerdem Teil des erfolgreichen Autorenduos Oliver Moros.

4. Kapitel

Wermsdorfer Forst, in der Nähe von Leipzig

Montag, 9. Juni 17:40 Uhr

Die Kriminaltechniker sind bestimmt schon seit über einer Stunde hier im Wald zugange, schätzt Novic, als er den Blick schweifen lässt. Sie haben ihre Baustrahler aufgebaut, die den Platz um die Futterkrippe herum taghell ausleuchten. War bestimmt nicht einfach, das ganze Zeug hierherzuschleppen und mit Strom zu versorgen. Rundherum ist nicht viel außer Büschen und Bäumen, die nächste Straße – jetzt natürlich gesperrt und inzwischen völlig chaotisch zugeparkt von allen möglichen Einsatztruppen – ist mindestens zweihundert Meter entfernt. Abgesehen davon gibts nur einen richtig finsteren Märchenwald, dazu mittlerweile eine regelrechte Sturzflut von oben, und es sieht auch nicht so aus, als würde sich alsbald was an diesem Wetter ändern, jedenfalls nicht zum Besseren. Fraglich, ob sich überhaupt noch verwertbare Spuren finden lassen werden, bevor hier alles knöcheltief unter Wasser steht.

Novic blickt auf seine Schuhspitzen und seufzt. Der Waldboden ist ein einziger Morast. Während er der Nässe nachspürt, die bei jedem Schritt durch das Leder seiner Schuhe dringt, folgt er Seiler, die vorausgegangen ist und sich bereits mit einer der Gestalten in den lehmverschmierten, ehemals weißen Overalls unterhält. Als er auf die beiden zugeht, bemerkt Novic etwas abseits einen Mann in einem dunkelgrünen Regenponcho und einem für die Jägerzunft typischen Hut mit breiter Krempe. Dieser lehnt an einem Baum und redet dabei leise auf den kleinen Hund ein, der zu seinen Füßen hockt. Beide machen einen irgendwie kränklichen Eindruck.

»Ah, der Herr Novic beehrt uns!«, ruft der Mann im weißen Ganzkörperanzug, als Novic sich zu Seiler und ihm gesellt. Erst jetzt erkennt ihn Novic – es ist Weiß, der Chef der Kriminaltechnik.

»Guten Tag«, sagt Novic.

»Wie mans nimmt«, brummt Weiß zur Erwiderung.

Womit er recht hat, findet Novic. Angesichts der Umstände wirds wohl kein allzu guter Tag mehr werden. Dass sie jetzt hier sind, bedeutet außerdem, dass jemand vor Kurzem einen ausgesprochen schlechten Tag hatte, nämlich seinen letzten. Mal abgesehen von dem am Baum lehnenden Förster, der sich vermutlich auch noch eine Weile an das hier erinnern wird, so blass, wie der aussieht, und wohl kaum im Guten.

»Der hat ihn gefunden, hm?« Er deutet auf den Jägersmann, der jetzt eine Hand unter seiner Regenjacke verschwinden lässt und sie kurz darauf wieder zum Vorschein bringt, mit einem kleinen silbernen Flachmann darin, den er mit zitternden Fingern aufschraubt und dann an die Lippen setzt.

Weiß nickt, dann sagt er: »Aber er hat nicht ihn gefunden, Herr Kollege. Sondern sie

»Eine Frau?«, fragt Novic verblüfft, der sich dunkel daran erinnert, in Seilers Zusammenfassung während der Fahrt irgendwas von einer männlichen Person gehört zu haben.

»Nein, keine Frau«, schnauft Weiß kopfschüttelnd. »Eine Hand. Kommen Sie, ich führ Sie beide mal hin.«

Also folgen die Polizeibeamten ihm, wobei sie sich Mühe geben, fluchende Spurensicherer möglichst weitläufig zu umgehen. Fluchen tun die deshalb, weil ihre Markierungsfähnchen in dem aufgeweichten Waldboden einfach nicht halten wollen. Novic lässt das an die Sandburgen von Kindern am Strand denken, immer wieder fortgespült von der Flut. So hat eben jeder sein Kreuz zu tragen.

»Wir haben die Fundstelle ein bisschen freigelegt«, erklärt Weiß, der jetzt auf eine Stelle auf dem Waldboden deutet, wo jemand offenbar ziemlich erfolglos versucht hat, ganz besonders viele Fähnchen im Boden zu befestigen. »Ansonsten ist noch alles so, wie wir es gefunden haben. Aber wir mussten sie ein wenig freilegen, um zu schauen, was noch so dranhängt an der Hand.«

Mehr muss er nicht sagen, so weit reichen Novics und Seilers Anatomiekenntnisse dann doch noch. Was an dieser Hand dranhängt, ist ein halber Unterarm, teilweise skelettiert. Sowohl Elle als auch Speiche enden bei etwa zwei Dritteln ihrer eigentlichen Länge in gezackten Bruchrändern, soweit sich das bei all dem Schlamm, der daran klebt, erkennen lässt.

»Sieht aus wie abgerissen«, sagt Seiler. »Ein Unfall? Ist da vielleicht ein Wanderer irgendwo reingeraten?«

»Reingeraten, ja«, sagt Weiß. »Aber nicht gerissen, nein. Sondern …«

»Abgefressen«, ergänzt Novic das zumindest für ihn Offensichtliche. An dem Knochen des Unterarms – es ist übrigens ein linker – sind eindeutig Bissspuren zu erkennen, und zwar ziemlich frische, an den Fleischresten ebenfalls. Das hat was von einem gegrillten Hähnchenschenkel, den jemand angeknabbert hat, der eigentlich gar keinen richtigen Appetit mehr hatte.

Erst jetzt bemerkt Novic, dass die beiden anderen ihn anstarren. Weiß ein bisschen anerkennend, Seiler einfach nur entsetzt.

»Angefressen?«, wiederholt sie leise.

Weiß nickt. »Aber keine Angst, Frau Seiler. Nicht von Kannibalen. Sondern Wildfraß, das meint übrigens auch der Förster Gruber – der Herr in Moosgrün, der da drüben am Baum lehnt. Allesfresser, sagt er, Wildschweine zum Beispiel.«

»Da fehlen zwei Finger«, stellt Novic fest, nachdem er sich hingehockt und mit seiner behandschuhten Rechten ein wenig im Schlamm um den Fund herumgestochert hat. »Mittel- und Ringfinger.«

»Ja«, bestätigt Weiß, »und außerdem das erste Glied vom Daumen. Wir suchen noch danach.«

»Dann haben wir also streng genommen noch gar keine Leiche?«

»Na ja«, sagt Weiß. »Geben Sie uns mal ein paar Stunden. Der Arm ist jedenfalls noch ziemlich frisch, das sieht man an dem Gewebe, da sind kaum Verwesungsspuren. Daher nehme ich an, dass hier irgendwo in der Nähe auch die restlichen Teile liegen. Vermutlich ist die Leiche von jemandem vergraben worden, der nicht damit gerechnet hat, dass es derart stark regnen würde. Hat es aber, und dabei hat es den Arm wohl freigespült.«

»Lässt sich schon was Genaueres über den Todeszeitpunkt sagen?«, will Seiler wissen.

»Gute Frage.« Weiß dreht sich zu einem seiner Männer in den Schutzanzügen um und brüllt ihn an: »Hey, wo ist eigentlich der Löwitsch?«

Der Mann antwortet ihm mit einem unbeteiligten Schulterzucken und fährt dann fort, seine Fähnchen aufzurichten, die ihm schon wieder in den Schlamm gefallen sind.

»Doktor Löwitsch wird es natürlich genauer sagen können«, sagt Weiß, »nachdem er mit der Obduktion durch ist, aber ich glaube, mit etwa achtundvierzig Stunden liegen wir ganz gut im Rennen.«

»Glaub ich auch«, sagt Novic und wendet sich dann ab, um zu dem einsamen Förster hinüberzugehen, der immer noch an seinem Baumstamm lehnt, inzwischen aber in sich zusammengerutscht ist, den Hosenboden im nassen Dreck. Was ihn aber nicht zu stören scheint, oder er bemerkt es gar nicht. Novic hört noch, wie Weiß hinter ihm verkündet, sie würden die Hand mit dem halben Arm dran jetzt eintüten und zu Doktor Löwitsch in die Rechtsmedizin bringen, wenn der Berg nicht zum Propheten kommen will und so weiter.

»Herr Gruber.« Novic streckt dem Mann die Hand hin. Der guckt die Hand ein bisschen entsetzt an, ergreift sie aber nicht. Der Hund gibt ein klägliches leises Kläffen von sich. »Zunächst wollte ich Ihnen danken«, improvisiert Novic. »Dass Sie uns angerufen haben, meine ich. Also, wegen der … wegen Ihres Fundes. Das haben Sie gut gemacht. Ihre Bürgerpflicht erfüllt, sehr gut. Ich bin Hauptkommissar Novic. Von der Kriminalpolizei Leipzig.« Seine Hand schwebt immer noch in der Luft zwischen ihnen, und der Förster starrt sie an. Irgendwie eine blöde Situation. Aber schließlich greift Gruber danach und lässt sich von Novic auf die Beine ziehen.

»Entschuldigung«, murmelt er dann leise. »Wollte mich nicht so gehen lassen. Es ist nur, diese Hand da im Schlamm und all das … Mann, mir ist jetzt noch übel. Ich heiße Gruber, Andreas Gruber. Bin hier der Revierförster.«

»Schön, Sie kennenzulernen.« Novic versucht sich an einem aufmunternden Lächeln. »Würden Sie mich vielleicht ein Stück begleiten? Kleiner Waldspaziergang, hm?«

»Wie bitte?«, ächzt der Förster.

»Na, nur ein Stück in den Wald rein. Ich würde Sie gern was fragen, wo Sie doch der Revierförster sind, Herr Gruber, und hier«, er deutet mit dem Daumen über die Schulter, »gibts für uns beide ja erst mal eh nicht mehr viel zu tun.«

Das nimmt der Förster Gruber ausgesprochen dankbar auf und stößt sich von dem Baumstamm ab. Sie entfernen sich ein Stück von der Lichtung mit der Futterkrippe und dem ganzen Tamtam und gehen in den Wald hinein. Novic läuft voran, den Blick scharf auf den Boden gerichtet, denn er hat durchaus ein Ziel oder wenigstens eine Idee, die er jetzt überprüfen möchte. Gruber stolpert hinterdrein, dann folgt der Dackel mit eingezogenem Schwanz.

»Ich war unterwegs, um die Sturmschäden von gestern Nacht zu begutachten«, erklärt der Förster mit tonloser Stimme. »Es hat eine große Rotbuche entwurzelt, die ist mitten in den Neubestand gekracht. Wird ewig dauern, das alles wieder aufzuforsten.«

»Aha«, brummelt Novic, bevor er abrupt das Thema wechselt. »Sagen Sie, kennen Sie eigentlich die gängigen Malbäume hier in der Gegend?«

»Malbäume?« Der Förster mustert ihn verwirrt.

»Ja. Bäume, an denen sich die ansässige Wildschweinpopulation eben so gemeinhin die Schwarte scheuert. Wo sind die hier?«

»Äh …«

»Die sollten uns helfen, den Weg der Sippe zur Suhle nachvollziehen zu können, meinen Sie...

Erscheint lt. Verlag 1.9.2023
Reihe/Serie Ein Fall für Seiler und Novic
Ein Fall für Seiler und Novic
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 2023 • Abgefackelt • Andreas Franz • Andreas Gruber • DDR • eBooks • Eisige Tage • Heimatkrimi • Heißes Pflaster • Krimi • Kriminalromane • Krimi Neuerscheinungen 2023 • Krimis • L.C. Frey • Leipzig • Michael Tsokos • Neuerscheinung • Romy Fölck • Susanne Mischke • target • Tatort • Thriller • Wolfgang Burger
ISBN-10 3-641-26203-8 / 3641262038
ISBN-13 978-3-641-26203-7 / 9783641262037
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