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Kälte (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
464 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-30133-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kälte -  Tom rob smith
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Unsere Erde in naher Zukunft. Eines Tages tauchen am Himmel gewaltige Raumschiffe auf, die der Menschheit eine Botschaft übermitteln: »Ihr habt 30 Tage Zeit, um die Antarktis zu erreichen. Jeder, der es bis dahin nicht schafft, wird vernichtet.« Diejenigen, die diesen Wettlauf gegen die Zeit gewonnen haben, erwartet ein hartes Schicksal in der eisigen Kälte. Doch einige Wissenschaftler in der McMurdo-Station fassen einen Plan: Sie wollen menschliche und tierische DNA vermischen, um eine neue Art von Mensch zu erschaffen, der in der brutalen Umgebung überleben kann. Mit fatalen Folgen für das, was von der Menschheit noch übrig geblieben ist ...

Tom Rob Smith wurde 1979 als Sohn einer schwedischen Mutter und eines englischen Vaters in London geboren, wo er auch heute noch lebt. Er studierte in Cambridge und Italien und arbeitete anschließend als Drehbuchautor. Mit seinem Debüt »Kind 44« gelang Tom Rob Smith auf Anhieb ein internationaler Bestseller. Der in der Stalin-Ära angesiedelte Thriller basiert auf dem wahren Fall des Serienkillers Andrej Chikatilo und wurde u. a. mit dem »Steel Dagger« ausgezeichnet, für den »Man Booker Prize« nominiert und bisher in dreißig Sprachen übersetzt. Nach »Kind 44« und »Kolyma« schloss der Autor seine Trilogie um den Geheimdienstoffizier Leo Demidow mit dem Roman 'Agent 6' ab.

VOR EINHUNDERTFÜNFZIG JAHREN


Insel Südgeorgien
Zweitausend Kilometer nördlich der Antarktis

Nur die von der Gesellschaft Verstoßenen konnten in diesem eiskalten Klima überleben. Im Lauf der Jahre war Captain Moray zu dem Schluss gekommen, dass es keine Ausnahmen von dieser Regel gab. Manche aus seiner Mannschaft konnten durchaus eine Weile in zivilisierter Gesellschaft zubringen, konnten einen Raum mit Geschichten von ihren Abenteuern unterhalten – aber wenn sie jemanden nicht mochten, und das passierte leicht, waren sie schnell mit dem Messer bei der Hand. Moray kommandierte das erfolgreichste auf Südgeorgien stationierte Robbenfangschiff und war Experte darin, seine Besatzung unter den verfügbaren Verstoßenen auszuwählen. Er bevorzugte melancholische Typen, sexuelle Abweichler und Diebe: Für die Diebe gab es nichts zu stehlen, die Melancholischen konnten auf den Ozean starren, und für die sexuellen Abweichler gab es andere Abweichler. Er erzählte niemandem von seiner eigenen Vergangenheit und kultivierte das Bild von einem autoritären, aber gerechten Mann, einer Bastion der Ordnung in diesem so barbarischen Geschäft. Auf seinem Schiff war nicht genug Platz für noch einen Mörder.

Moray war Kapitän des Zweihundert-Tonnen-Dampfsegelschiffs Red Rose, das in der King-Edward-Bucht vor Anker lag. Er beabsichtigte, ein letztes Mal an Land zu gehen, bevor er Segel in Richtung Kanton in China setzte, wo ein Käufer für seine Ladung Robbenpelze gefunden worden war. Der Preis lag bei drei Dollar und fünfzig Cent pro Fell und damit deutlich unter seinem Rekordpreis von neun Dollar, den er erzielt hatte, als er noch einer der wenigen Robbenfänger gewesen war, die sich so weit nach Süden wagten. Heute ankerten um Südgeorgien herum über sechzig Schiffe, und da der Markt mit Pelzen überschwemmt war, konnte er selbst diese drei Dollar nur erzielen, solange sein Ruf für Qualität garantierte.

Morays letzte Aufgabe vor dem Ankerlichten war ein Abendessen mit dem Magistrat Seiner Majestät, der die Verwaltung der Falklandinseln und Südgeorgiens vertrat, die auf diesem abgelegenen Vorposten das Sagen hatte. Ohne den Segen des Magistrats konnte er nicht in diesen Gewässern operieren. Der Zollinspekteur würde astronomische Gebühren erheben, der Polizeibeamte der Insel würde seine Mannschaft für tatsächliche oder vorgeschützte Verstöße einsperren, und Morays Geschäfte würden zum Stillstand kommen. Vier Besatzungsmitglieder ruderten ihren Kapitän in einer Schaluppe, einem wendigen kleinen Boot mit flachem Boden, das gut für die Jagd und andere Ausflüge geeignet war, an Land. Als sie in dem neuen Hafen anlegten, dachte Moray an die noch nicht allzu lange zurückliegende Zeit, als die Insel noch von Menschen unberührt gewesen war und die Strände so voller Robben, dass er den Kies unter ihren fetten Bäuchen kaum hatte sehen können. Jetzt gab es auf den Felsen nur noch von Sturmvögeln kahl gepickte Robbenschädel und eine Fabrik, die aus Waltran Öl herstellte, fünfzig Cent die Gallone, und dabei einen Übelkeit erregenden Gestank verbreitete, den nur die stärksten Winde zu vertreiben vermochten. Es gab klapprige Schlafsäle für die Arbeiter – menschliche Kolonien voller Etagenbetten und Wäscheleinen, an denen derbe Wollsocken hingen. Hinter den Schlafsälen befanden sich eine Krankenstation und eine behelfsmäßige Kapelle mit einem aus Treibholz gezimmerten Kruzifix.

Als Moray sich der Residenz des Magistrats näherte, fiel ihm der unpassende Lattenzaun um einen Garten mit schwarzer Erde und Büschelgras auf. Die Frau des Magistrats verabscheute diese Insel und gab sich alle Mühe, damit ihr Zuhause so aussah, als befände sie sich auf dem Lande in Großbritannien. Sie hatte Kaninchen mitgebracht, um sich zu trösten, aber die Schiffsratten hatten sie aufgefressen. Sie hatte Wiesenblumen gepflanzt, aber in der salzigen Meeresgischt waren sie verkümmert. Aus Furcht vor den verkommenen Robbenfängern bestand der Magistrat darauf, dass sie einen Beaumont-Adams-Revolver bei sich trug, wann immer sie die Grenzen ihres Gartens verließ. Und zwar nicht versteckt unter der Kleidung, sondern deutlich sichtbar in ihrer Hand. Soweit Moray wusste, hatte sie den Revolver nur einmal benutzt und dabei gut gezielt.

Der Butler, ebenfalls ein britischer Import, öffnete die Eingangstür, seine Miene zu einer permanenten Grimasse verzogen, um von vornherein klarzustellen, dass auch er nicht hierhergehörte. Nachdem Moray seine Lederstiefel ausgezogen und gegen ein Paar Seidenpantoffeln aus der Savile Row eingetauscht hatte, folgte er dem Butler ins Wohnzimmer, das mit schicken Mahagonimöbeln eingerichtet war und dessen Wände Ölgemälde von englischen Landschaften schmückten. Im Kamin knisterte ein Feuer, und mit den zugezogenen Vorhängen, die die trostlose Realität draußen verbargen, sah das Ensemble aus wie der billige Abklatsch eines Salons.

Der Magistrat trat ein und nahm die Flasche Chateau Margaux, die Moray als Geschenk mitgebracht hatte, ohne ein Wort des Dankes entgegen. Zum Abendessen gab es in Scheiben geschnittene pochierte Seeelefantenzunge, serviert mit verschiedenerlei gedünstetem Meeresgemüse. Die importierten Vorräte des Magistrats waren nicht angerührt worden, was Moray nicht als Beleidigung nahm, obwohl genau das beabsichtigt war. In der Hierarchie der Seefahrtsberufe standen die Robbenfänger ganz unten, weit unter den Marineoffizieren Ihrer Majestät und den Händlern, sogar unter den Hochseefischern und den Walfängern. Über Robbenfänger wurden keine Geschichten geschrieben, denn es war ein schändlicher Beruf. Selbst in diesen entlegenen Gewässern hatte sich ein Klassensystem etabliert, als gäbe es keinen Ort auf der Welt, der ohne auskäme.

Moray kam schnell zur Sache. »Ich bin hier, um mich zu erkundigen, welche Gebühren noch zu begleichen sind.«

Normalerweise sprach der Magistrat nur zu gerne über seine Bestechungsgelder, aber heute schien er daran nicht interessiert und drängte den Captain zu einem anderen Thema. »Ich habe gehört, dass dies Ihr letztes Jahr hier sein soll. Dass Sie ein Auge auf ein Stadthaus am Cavendish Square geworfen haben. Kann das sein?«

Moray schnitt sich ein kleines Stück Seeelefantenzunge ab und kaute nachdenklich. Es stimmte. Die Robben standen kurz vor der Ausrottung, weil undisziplinierte Besatzungen Jagd auf Jungtiere und trächtige Kühe machten. Die einst unbegrenzte Ressource der Insel war nicht länger unbegrenzt. Die Robbenindustrie würde keine fünf Jahre mehr überleben, und der Magistrat trug die Schuld daran, denn statt die Gesetze durchzusetzen, ließ er sich lieber schmieren. Und wenn die Robbenindustrie zusammenbrach, würde ihn nicht einmal die Abgeschiedenheit dieses Ortes vor einer Untersuchung aus London bewahren.

»Diese Insel ist am Ende, Sir. Wir haben sie ruiniert.«

»Ruinen sind lediglich das Ende einer Gelegenheit und der Beginn einer neuen.«

Der Magistrat klatschte in die Hände, und der Butler trat ein. Moray lehnte sich überrascht zurück, als der Butler die Flasche Wein servierte, die er als Geschenk mitgebracht hatte. Einen solchen Akt der Großzügigkeit hatte es noch nie gegeben.

»Letzte Woche sah ich auf den Klippen über der Cumberland Bay eine Gruppe Robbenfänger. Sie hatten eine Herde weiblicher Seeelefanten mit ihren Jungen in die Enge getrieben, es gab kein Entkommen. Die Mannschaft tötete sie in aller Ruhe und trieb die Tiere mit Knüppeln zurück, wenn sie versuchten zu entwischen. In ihrer Verzweiflung brach eine der Kühe aus und sprang von der Klippe – sie stürzte hundert Meter in die Tiefe und federte beim Aufprall ein Stückchen zurück in die Luft, aber sie überlebte und schleppte sich ins Meer. Da sprang noch eine, um dem Massaker zu entgehen, und dann noch eine, und schließlich folgte ihr die gesamte Herde über die Klippe. Viele starben bei dem Sturz, aber einige überlebten, von ihren üppigen Fettpolstern geschützt. Die Jungtiere folgten ihren Müttern, aber sie waren zu klein, und alle starben.«

Der Magistrat nippte an dem guten Wein und musterte Moray. »Glauben Sie, dass die Londoner Gesellschaft Sie als den Gentleman akzeptieren wird, der Sie zu sein vorgeben? Dass man Sie zu sich nach Hause einladen oder Ihre Gesellschaft wünschen wird? Natürlich werden Sie lügen, was Ihre Vergangenheit betrifft. Sie werden erzählen, Sie hätten als Händler ferne Länder bereist und mit teuren Gewürzen gehandelt, mit Safran und Zimt. Sie werden die feinsten Kleider tragen und sich Kunstwerke an die Wände hängen. Aber die Londoner werden den Blubber auf Ihrer Haut riechen und die schmutzigen Geschichten unter Ihren Fingernägeln sehen. In ihren Augen werden Sie ein Schlächter sein. Ein Wilder in einem Seidenhemd.«

Moray dachte über die Worte des Magistrats nach. »Das mag sein. Aber die Robben sind Geschichte, Sir. Bald wird das einzige Gewerbe hier darin bestehen, toten Seeelefanten die Zähne aus dem Schädel zu ziehen und sie zu polieren, damit sie für Schmuck taugen. Das ist kein Gewerbe für einen Mann, nicht einmal für einen unzivilisierten.«

Der Magistrat hatte anderes im Sinn. »Nach Süden, Moray, Sie müssen nach Süden gehen, zu den großen Eisweiten, dem unerforschten Kontinent, wo es unentdeckte Kreaturen und unberührte Reichtümer jenseits unserer Vorstellungskraft gibt.«

Er legte eine Künstlermappe auf den Tisch, die voller Skizzen von außergewöhnlichen Kreaturen war, die auf dem unerforschten Eis gesichtet worden waren. Da waren Robben mit einem Horn aus Ozeanelfenbein auf der Stirn, ein Walross mit einem glitzernden Silberpelz und Vögel mit Federn von solcher Schönheit, dass die feinsten Pariser Modehäuser sie würden haben...

Erscheint lt. Verlag 12.4.2023
Übersetzer Michael Pfingstl
Sprache deutsch
Original-Titel Cold People
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte 2023 • Agent 6 • Alien-Invasion • Antarktis • diezukunft.de • dystopie fantasy • eBooks • Genexperiment • Genmanipulation • Kind 44 • Klon • Kolyma • Nahe Zukunft • Near future • Near Future Fiction • Neuerscheinung • Überlebenskampf • Übermensch
ISBN-10 3-641-30133-5 / 3641301335
ISBN-13 978-3-641-30133-0 / 9783641301330
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