Das Restaurant der verlorenen Rezepte (eBook)
256 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2909-3 (ISBN)
Hisashi Kashiwai, geboren 1952 in Kyoto, ist Zahnarzt und Leiter einer Zahnklinik in Kyoto. Nebenher schreibt er seit Jahren Bücher, die in seiner Heimatstadt spielen. Sein Roman Das Restaurant der verlorenen Rezepte war in Japan so erfolgreich, dass eine mehrbändige Serie folgte, die inzwischen auch verfilmt wurde.
Hisashi Kashiwai, geboren 1952 in Kyoto, ist Zahnarzt und Leiter einer Zahnklinik in Kyoto. Nebenher schreibt er seit Jahren Bücher, die in seiner Heimatstadt spielen. Sein Roman »Das Restaurant der verlorenen Rezepte« war in Japan so erfolgreich, dass eine mehrbändige Serie folgte, die inzwischen auch verfilmt wurde.
Kapitel 2
Rindereintopf
1
Die Ginkgobäume vor dem Eingang des Tempels Higashi Honganji hatten bereits alle ihre Blätter verloren.
Der zwölfte Monat des Jahres, der im japanischen Mondkalender shiwasu genannt wird, hatte begonnen, und ganz der Bedeutung dieses alten Wortes entsprechend liefen die Mönche des Tempels sehr geschäftig umher. Zwischen ihnen fielen zwei ältere Frauen in farbenfrohen Kimonos auf. Jeder, der sie sah, schaute wohl für einen Moment genauer hin – so auch der Verkäufer eines Ladens für Priester- und Mönchskleidung, der soeben mit einem großen Karton unter dem Arm aus der Tür auf die Shōmen-Straße trat und sich fragte, wer diese Frauen wohl sein mochten.
Die beiden gingen so schnell ihres Weges, wie es sich im Kimono eigentlich nicht ziemte, und blieben schließlich vor einem trist wirkenden alten Wohnhaus stehen.
»Hier soll das Detektivbüro sein, das verloren gegangene Geschmäcke für einen sucht?«, fragte Nobuko Nadaya, um deren Schultern ein fliederfarbenes Cape drapiert war. Beim Anblick des Hauses blieb ihr leicht der Mund offen stehen.
»Ja. Es gibt zwar kein Schild, das darauf hinweist, aber hier liegt die Kamogawa Shokudō«, antwortete Tae Kurusu, die andere Frau. Sie zog die Schiebetür aus Aluminium auf.
Zögernd trat Nobuko über die Schwelle.
»Da seid ihr ja, Tae! Ich habe mir schon Sorgen gemacht, ob ihr noch kommt«, begrüßte Koishi die Gäste mit einem warmen Lächeln. Sie trug heute einen schwarzen Hosenanzug und darüber eine weiße Schürze.
»Wir waren noch kurz im Tempel, dort konnten wir ja nicht einfach vorbeigehen«, erklärte Tae, nahm ihr rotbraunes Schultertuch ab und hängte es über eine Stuhllehne.
Nun steckte auch Nagare seinen Kopf aus der Küche. »Euch ist sicher kalt«, sagte er.
»Nagare, darf ich vorstellen? Das ist meine gute alte Freundin von der Uni, Nobuko Nadaya.« Tae legte mit einem leichten Druck ihre Hand auf Nobukos Rücken, worauf diese sich höflich verbeugte.
»Freut mich«, gab Nagare zurück und trat näher. Nachdem er sich die Hände an der Schürze abgewischt hatte, neigte auch er seinen Kopf und wandte sich an Nobuko Nadaya: »Ich bin Nagare Kamogawa. Und das ist meine Tochter Koishi.«
»Schön, dass ihr uns hier gefunden habt«, sagte Koishi und sah erst Nobuko, dann Tae freundlich an.
»Gefunden haben wir euch, aber dazu möchte ich gleich mal etwas loswerden«, erhob Tae sofort entrüstet die Stimme. »Wollt ihr eure nächste Anzeige nicht lieber so schreiben, dass man sie auch versteht? Als Nobu sie mir im Gourmet Insider gezeigt hat, sagte mir zufällig der Name ›Kamogawa‹ etwas, aber ein normaler Mensch findet euch so doch nie.«
»Na ja, es kommen immer wieder Gäste zu uns, so wie ihr jetzt. Wer uns finden will und uns braucht, der findet uns auch«, erwiderte Nagare und zog die Lippen schmal zusammen. »Also, ich freue mich über jeden, den wir über die Anzeige im Gourmet Insider kennenlernen.«
»Lass gut sein, Tae. Immerhin haben wir hierhergefunden, ohne uns zu verirren«, versuchte Nobuko sie zu beschwichtigen.
Doch die andere schaute immer noch grimmig drein.
»Nanu, Tae, deine Freundin ist ja ganz anders als du. So ruhig.«
»Was soll das denn jetzt heißen?«, empörte sich Tae und blähte ihre Nasenflügel.
»Das stimmt, wir sind völlig unterschiedliche Persönlichkeiten«, nickte Nobuko und sah Tae sanft von der Seite an. »Aber wir haben uns trotzdem auf Anhieb gut verstanden.«
»Darf ich euch etwas zu trinken anbieten?«, fragte Koishi.
»Ja, bitte, wir sind ziemlich durchgefroren. Gönnen wir uns also ein Schlückchen«, meinte Tae.
»Sake schon zu Mittag? Lassen wir das heute nicht lieber?«, ermahnte Nobuko ihre Freundin.
»Wieso, Nobu? Fühlst du dich nicht gut?«
»Doch, aber mir ist heute einfach nicht nach Alkohol.« Nobuko senkte ihren Blick.
»Hier kommt schon einmal etwas zu essen. Das heutige Menü ist an das angelehnt, was man in der japanischen Küche traditionell unter einer ›Kleinigkeit vor dem Tee‹ versteht. Zum Vertreiben eines leichten Hungers sicher genau richtig.«
Nagare stellte zuerst vor Tae ein Shōkadō-Bentō ab. Dies war eine ältere Form der modernen Bentō-Lunchboxen und zeichnete sich vor allem durch seine quadratische Form sowie zwei hohe Trennwände im Inneren aus, die sich in der Mitte kreuzten und die Box in vier Bereiche teilten. Noch war der Inhalt aber mit einem flachen Deckel verschlossen.
»Schon gut. Ich weiß, dass ich dir damit ganz schön etwas abverlangt habe.« Tae stand auf und verbeugte sich vor Nagare.
»Das stimmt. Papa hat sich echt den Kopf zerbrochen«, flüsterte Koishi ihr leise zu. »Er wollte nämlich weder dich noch deine gute Freundin enttäuschen, die du angekündigt hast.«
»Erzähl kein unnützes Zeug«, brummte Nagare, während er auch vor Nobuko ein Shōkadō-Bentō stellte.
»Oh, was für eine schöne Schachtel …« Nobukos Augen weiteten sich beim Betrachten des schwarz lackierten Holzbehälters.
»Ich habe sie aus Wajima«, verkündete Nagare stolz.
»Siehst du, Nobu, hier wird selbst bei der Form auf das kleinste Detail geachtet. Verstehst du jetzt, warum wir hier sind?«, sagte Tae und streckte prahlerisch ihre Brust heraus. »Aber natürlich ist das Äußere nicht alles. Wenn du erst siehst, was drin ist …«
Tae hob den Deckel des Shōkadō-Bentō hoch – und Nobukos Augen fingen an zu leuchten.
»Ist das nicht herrlich?«, fragte Tae. Auch ihr Blick wanderte über die vielen kleinen Leckereien in der Box.
»Ich erkläre euch am besten einmal den Inhalt«, meldete sich Nagare wieder zu Wort. »In einem Shōkadō-Bentō befindet sich traditionell oben rechts das Kuchitori, eine Art Vorspeise aus verschiedenen Kleinigkeiten. Unten rechts findet man einen gebratenen Fisch, heute ist das eine im Winter gefangene und damit fettreiche Bernsteinmakrele in Teriyaki-Marinade. Links oben ist der Platz für Sashimi und Eingelegtes: rote Akashi-Meerbrasse und Thunfisch aus Kishū, dem heutigen Wakayama, und dann noch eine Seeohrschnecke aus Karatsu, die ich kurz flambiert habe. In Essig eingelegt sind heute gebratener Miyaijma-Aal sowie Gurke mit Myōga-Ingwer. Unten links findet sich schließlich der Reis, heute mit Matsutake-Pilzen. Diese kommen zwar nur aus der Shinshū-Region, aber ihr Duft ist köstlich. Später bringe ich euch noch eine Suppe. Aber fangt erst einmal in Ruhe an zu essen.«
Nagare verbeugte sich vor den beiden Frauen und ging wieder in die Küche.
»Guten Appetit«, wünschte Tae ihrer Freundin, und beide legten kurz ihre Hände zum Essensgruß zusammen, bevor sie zu den Stäbchen griffen.
»Köstlich«, befand Nobuko, die als Erstes ein Stück Meerbrasse kostete.
»Ein hervorragendes Sashimi, und die Vorspeise oben rechts ist ja eine Welt für sich!«, schwärmte Tae. »Gepresstes Pfeilhecht-Sushi, ein kleines gerolltes Omelett … und das ist sicher ein Wachtelbällchen? Oh, und diese schön weich gekochten Oktopustentakel zergehen einem auf der Zunge …«
»So etwas Wunderbares habe ich schon lange nicht mehr gegessen. Mein letztes Bentō dieser Art war wohl bei einer Teezeremonie vor mehreren Jahren, da warst du auch dabei oder, Tae? Ich glaube, es war von Tsujitomi«, erinnerte Nobuko sich, während sie mit ihren Stäbchen die Oktopustentakel ergriff.
»Stimmt, das war auch sehr lecker.« Tae nickte. »Aber dieses hier schmeckt trotzdem mindestens genauso gut. Oh, dieses Aroma, einfach nur betörend!« Sie schloss vor Verzückung die Augen, als sie von dem Reis mit Matsutake-Pilzen probierte.
»Übertreibst du jetzt nicht ein wenig?«, fragte Koishi belustigt und warf einen raschen Seitenblick zur Theke. Dann goss sie Tee in die Becher der Gäste.
»Ach, Nobu, eins habe ich dir noch gar nicht gesagt: Die Detektei wird von dieser jungen Dame hier geleitet. Koishi, du hörst dir doch gleich ihre Geschichte an, nicht wahr?«, wandte Tae sich betont freundlich an Koishi.
»Ja, das tue ich. Allerdings bin ich nur für die Aufnahme der Fälle zuständig. Die eigentliche Suche übernimmt dann mein Vater«, berichtigte Koishi verlegen.
»So, hier kommt endlich die Suppe.« Mit diesen Worten erschien Nagare wieder aus der Küche und stellte neben jede der zwei Bentō-Boxen eine Schale mit Deckel.
»Was ist dadrin?«, fragte Tae neugierig, während sie ihre dunkelrote Negoro-Lackschale öffnete.
»Ziegelbarsch und Krabbe. Ich habe auch etwas gemahlene Pfeilwurz hineingetan. Ihr solltet die Suppe essen, solange sie noch heiß ist«, empfahl Nagare und...
Erscheint lt. Verlag | 1.6.2023 |
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Reihe/Serie | Die Food Detectives von Kyoto | Die Food Detectives von Kyoto |
Übersetzer | Ekaterina Mikulich |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Asien • Buchgeschenk • Comfort food • Essen • Familiengeschichte • Frau Komachi empfiehlt ein Buch • Imbiss • Japan • japanische Küche • Lebensweisheiten • Michiko Aoyama • Soulfood • Trost |
ISBN-10 | 3-8437-2909-3 / 3843729093 |
ISBN-13 | 978-3-8437-2909-3 / 9783843729093 |
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