Sechs Fremde und ein Dackel (eBook)
300 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-98877-3 (ISBN)
Gina Greifenstein lebt und arbeitet als freie Autorin in der Südpfalz. Sie schreibt Romane, Krimis und Kochbücher. Ihre Backbücher bei Gräfe und Unzer sind Bestseller und in mehrere Sprachen übersetzt. Regionalkrimi-Fans unterhält sie kriminell-humorvoll mit ihrem fränkisch-pfälzischen Ermittler-Duo Paula Stern und Bernd Keeser. Ihr Roman »Der Traummann auf der Bettkante« (Piper) war 2008 für den DELIA-Preis nominiert. Zuletzt sind von ihr bei Piper erschienen: »Katastrophen haben kurze Beine« und »Sechs Fremde und ein Dackel« - letzterer ist in Zusammenarbeit mit Anne Grießer und Barbara Saladin entstanden.
Gina Greifenstein lebt und arbeitet als freie Autorin in der Südpfalz. Sie schreibt Romane, Krimis und Kochbücher. Ihre Backbücher bei Gräfe und Unzer sind Bestseller und in mehrere Sprachen übersetzt. Regionalkrimi-Fans unterhält sie kriminell-humorvoll mit ihrem fränkisch-pfälzischen Ermittlerduo Paula Stern und Bernd Keeser. Viele ihrer Kurzkrimis sind in Anthologien veröffentlicht. Ihr Roman »Der Traummann auf der Bettkante« (Piper) war 2008 für den DELIA-Preis nominiert.
Im Zug
Schweine, überall Schweine!
Der Mann im Führerstand traute seinen Augen nicht. Es kannte die Risiken seines Berufs: Selbstmörder, die sich vor den ICE warfen. Kinder, die auf Gleisen spielten. Technische Defekte an veralteten und schlecht gewarteten Lokomotiven. Idioten, die Steine von Brücken warfen oder Hindernisse auf Schienenstränge legten. LKWs mit übermüdeten Fahrern am Steuer, die durch geschlossene Schranken krachten. Alles schon passiert. Aber Schweine? Hausschweine?
Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals von Borstenvieh auf der Strecke gehört zu haben, zumindest nicht in dieser Anzahl. Es mussten mindestens fünfzig Tiere sein.
Der Zugführer, ein übergewichtiger Mann mit feuerrotem Haar und einem sanften Gemüt, betätigte mit aller Kraft die Bremse.
In den Waggons brach Panik aus. Die freundlichen Mitarbeiter des Bordbistros verteilten kostenlos Kaffee – heiß und zielgenau auf Hosenbeine und Miniröcke. Kinder schrien, Gepäckstücke regneten aus den Ablagen. Auf der Toilette brach sich ein Mann den Unterkiefer, als er durch die Vollbremsung gegen das Waschbecken geschleudert wurde. Eine Schaffnerin stieß mit einem Mann zusammen, der gerade aus dem Speisewagen zurückkehrte. Zwischen den beiden entwickelte sich in dieser Ausnahmesituation in Sekundenschnelle eine so unwiderstehliche Anziehungskraft, dass er sie an sich riss und seine Lippen auf die ihren presste. Sie erwiderte den Kuss mit einer nie gekannten Leidenschaft. Erst als der Zug schon eine Weile stand, ließen sie voneinander ab. Die beiden sollten sich nach jener schicksalhaften Vollbremsung nie wiedersehen, dieses Ereignis aber bis an ihr Lebensende nicht vergessen und jedes Mal wehmütig aufseufzen, sobald sie einen Zug bestiegen.
Auf einem der Fensterplätze in einem Sechserabteil murmelte eine Nonne erschrocken »Heiliger Strohsack« und presste augenblicklich die Hand auf den Mund.
Der biederen älteren Frau ihr gegenüber entfuhr ein spitzer Schrei. Die bunte Keksdose auf ihrem Schoß vollführte einen Satz wie ein Ochsenfrosch in Paarungsbereitschaft. Mit einer Geschicklichkeit, die sie selbst überraschte, bewahrte sie die Dose vor dem sicheren Sturz. Ihre Pausbäckchen wechselten von gesundem Rosa zu Totenbleich.
Mit lautem Getöse kullerten drei leere Bierdosen über den Boden. Ihr Besitzer, ein dunkel gekleideter Rocker mit drei funkelnden Perlen im Kinnbart, der gleich neben der Abteiltür saß, rülpste laut. Die zierliche junge Frau mit schwarzgefärbten Haaren ihm gegenüber wurde beinahe aus ihrem Sitz katapultiert. Der Rocker breitete erwartungsvoll die Arme aus, lächelte und entblößte dabei einen abgebrochenen Schneidezahn. Die junge Frau fing sich jedoch im letzten Moment und fiel zurück in ihren Sitz.
Der ICE brauchte endlos, bis er zum Stehen kam. Eine fette Muttersau verharrte wie ein Felsbrocken auf den Gleisen und starrte dem heranrasenden Ungetüm stoisch entgegen. Als der Zug nur wenige Meter vor ihr anhielt, grunzte sie zufrieden. Dem Lokführer kam es vor, als ob sie lächle. Später würde er seiner Frau gegenüber behaupten, das Tier habe genau gewusst, wie lang der Bremsweg des Zuges sei. Sagte man Schweinen nicht im Allgemeinen und Hausschweinen im Besonderen nach, sie wären fast so klug wie Menschen?
»Hoppla«, sagte der Mann mit Bürstenhaarschnitt zwischen der Biederen und der Schwarzhaarigen. »Ist jemand verletzt?«
Niemand antwortete.
»Scheiß Bahn«, sagte die Schwarzhaarige.
Die Nonne kramte nach ihrem Rosenkranz und ließ ihn geschmeidig durch die Finger gleiten. Ihre Bewegungen ließen auf jahrelange Übung schließen.
Der unscheinbare Mann in grauem Anzug zu ihrer Linken nickte nur, nachdem er seinen schwarzen Aktenkoffer, der bei dem Bremsmanöver aus dem Gepäcknetz gepurzelt war, mit schnellem Griff aufgehoben hatte. Der Mann mit dem Bürstenhaarschnitt stand auf und öffnete die Schiebetür. Nach einem prüfenden Blick in den menschenleeren Gang setzte er sich wieder.
»Ich lass die Tür mal einen Spaltbreit auf, in Ordnung?« Fragend sah er in die Runde. »Dann hören wir vielleicht, was los ist.«
Die übrigen Insassen würdigten ihn keines Blickes, nur der unscheinbare Mann nickte abermals. Die Stille, die daraufhin einkehrte, war beinahe greifbar. Eine fette Fliege stieß bei ihrem verzweifelten Versuch, sich einen Weg in die Freiheit zu bahnen, unablässig gegen die Fensterscheibe. Aus einer abgeschabten Reisetasche in der Gepäckablage drang ein aufdringliches Ticken. Alle Blicke wanderten nach oben.
Die gerade noch leichenblasse ältere Frau bekam schlagartig wieder Farbe. »Mein Reisewecker«, stammelte sie verschämt.
Ein leises Klickern näherte sich vom Gang her. Das Geräusch brach ab, bevor es die Glastür erreichte. Alle hielten den Atem an, selbst die Fliege gab ihren Ausbruchsversuch auf und fand auf der Halbglatze des Unscheinbaren eine Zuflucht. Dieser verzog keine Miene.
Die Stille nahm etwas Bedrohliches an. Der Mann mit Bürstenhaarschnitt schluckte hart. Die Hände der älteren Dame verkrampften sich ängstlich um die Keksdose. Alle Blicke wanderten zur Tür. Das Klickern verstummte. Eine feuchte Schnauze schob sich ins Blickfeld.
Beherzt schob die junge Frau die Glastür ein Stück weiter auf. »Oh, bist du süß!«, sagte sie zu einem Rauhaardackel, der schwanzwedelnd ins Abteil tänzelte und der Reihe nach alle Beine beschnüffelte.
»Dackel?!«, fragte der Rocker irritiert. Die Augen der Nonne weiteten sich voller Entsetzen. »Vade retro, Satanas!«, zischte sie und zog die Beine an.
Der Anblick des Hundes zauberte ein Lächeln auf das Gesicht der Biederen am Fenster.
Im Lautsprecher knackte es.
»Sehr geehrte Fahrgäste. Unser Zug hält außerplanmäßig aufgrund von Hindernissen im Gleisbereich. Bitte bleiben Sie auf Ihren Plätzen und steigen Sie nicht aus.«
»Fuck you, Bahn!« Die junge Frau stöhnte auf.
Die ältere Dame umklammerte ihre Keksdose noch eine Spur fester. »Oh je, hoffentlich kein Selbstmörder!«
»Wenn’s einer ist, dann kann das dauern«, bemerkte der Mann mit dem Bürstenhaarschnitt.
Wieder eine Durchsage: »Wenn sich ein Landwirt im Zug befindet, soll er sich bitte beim Zugpersonal melden.«
»Hä?«, sagte der Rocker.
»Bauer«, knurrte der Unscheinbare.
Derweil rückte der Dackel von der Nonne ab. Die Stiefel des Rockers erregten jetzt seine Aufmerksamkeit. Ihnen entstieg ein Duft, der auf den Vierbeiner eine magische Anziehungskraft ausübte.
»He, Kumpel«, sagte der Rocker. »Aber nicht dranpinkeln, okay?«
Der Dackel legte sich hechelnd vor seinen Füßen nieder. Die Fliege nahm ihre Ausbruchsversuche wieder auf. Minuten verrannen, die Luft wurde zunehmend stickiger. Der Unscheinbare holte umständlich ein blütenweißes Stofftaschentuch aus der Innentasche seines Jacketts und wischte sich in Zeitlupe den Schweiß von der Halbglatze. Dem verstaubten Habit der Nonne entströmte ein säuerlicher Geruch. Schließlich meldete sich der Rocker träge zu Wort: »Ich muss pissen.«
»Tun Sie sich keinen Zwang an«, kommentierte der Bürstenhaarschnitt.
Der Lautsprecher erwachte zu neuem Leben: »Sehr geehrte Fahrgäste, leider ist in einem unserer Wagen die Klimaanlage ausgefallen. Bitte bleiben Sie trotzdem auf Ihren Plätzen, da der Zug komplett ausgelastet ist. Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, dass auch die Toiletten außer Betrieb sind. Wir hoffen, dass wir die Fahrt bald fortsetzen können. Wir bitten dies zu entschuldigen.
Ladies and Gentlemen, one waggon is too hot. You also can not use the toilette. Thank you for your understanding!«
Der Rocker sank resigniert in seinen Sitz zurück und riss sich die nächste Bierdose auf.
Eine Zugbegleiterin mit wippendem blondem Pferdeschwanz eilte vorbei.
»Hallo, Fräulein«, rief die Biedere ihr aufgeregt nach.
Die Schaffnerin hielt inne und streckte den Kopf ins Abteil. Unwillkürlich zuckte sie vor der schneidend dicken Luft zurück. »Ja bitte?«, fragte sie mit angehaltenem Atem.
»Was ist denn passiert? Ein Selbstmörder?«
Die Zugbegleiterin schenkte der Biederen ein mattes Lächeln. »Nein, keine Sorge, wir denken, dass die Fahrt bald...
Erscheint lt. Verlag | 27.1.2022 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Agatha Christie • Cosy Crime • Dackel • familienkatastrophen • Höllentrip • Komödie • krimi komödie • Krimikomödie • lustige Krmis • Rache • Romane für den Urlaub • Romane für Frauen • Schicksalsgemeinschaft • Schlager • Schwarzer Humor • skurille Bücher • spannende Bücher zum Lachen • Zugfahrt |
ISBN-10 | 3-492-98877-6 / 3492988776 |
ISBN-13 | 978-3-492-98877-3 / 9783492988773 |
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