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Ein Zug voller Hoffnung (eBook)

Roman − Der preisgekrönte Bestseller aus Italien

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022
288 Seiten
C. Bertelsmann Verlag
978-3-641-25523-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein Zug voller Hoffnung - Viola Ardone
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Warmherzig und unvergesslich: Wie ein Junge aus armen Verhältnissen das Glück in der Musik findet - der Überraschungsbestseller aus Italien!
Neapel, 1946: Der 7-jährige Amerigo lebt mit seiner Mutter in einem der ärmsten Viertel und hat ständig Hunger. Als die Mutter von einer wohltätigen Initiative hört, die bedürftige Kinder für ein knappes Jahr zu Familien im reicheren Norditalien schickt, scheint dies die beste Lösung zu sein. Hoffnungsfroh, aber auch etwas bange besteigt Amerigo mit vielen Kindern den Zug. In seiner neuen Familie lebt er sich schnell ein, entdeckt seine Liebe zur klassischen Musik, bekommt sogar eine Geige geschenkt. Nachdem die paradiesische Zeit vorbei ist, erscheint ihm seine Mutter in Neapel ganz fremd. Als er kurz darauf erfährt, dass sie aus Geldnot heimlich seine Geige verkauft hat, fühlt Amerigo sich verraten. Er reißt aus und steigt noch einmal in den Zug, fest entschlossen, Neapel für immer hinter sich zu lassen ...

»Der kleine Amerigo erobert von der ersten Seite an die Herzen seiner Leserinnen und Leser.« La Stampa

Viola Ardone, 1974 in Neapel geboren, ist ausgebildete Bibliothekarin und studierte Italienische Literatur. Sie arbeitet als Journalistin (u.a. für La Repubblica und Corriere della Sera) und ist Lehrerin für Geschichte, Italienisch und Latein. Sie hat bereits mehrere Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht. Ihr Roman »Ein Zug voller Hoffnung« brachte ihr den internationalen Durchbruch: Der Roman war in Italien ein preisgekrönter Bestseller und erscheint in 30 Ländern.

2

Über Maddalena haben wir danach nicht mehr gesprochen. Ich dachte, dass meine Mama sie vielleicht vergessen oder es sich anders überlegt hat. Aber dann klopft ein paar Tage später eine Nonne an unsere Haustür, sie kommt von Pater Gennaro. Meine Mama späht durch das Fenster nach draußen: »Was will denn die Gardinenstange hier?«

Die Nonne klopft noch mal. Meine Mama legt das Nähzeug weg und macht die Tür auf, aber nur einen kleinen Spalt, sodass die draußen ihr Gesicht hereinstrecken kann. Es ist ganz gelb. Die Gardinenstange fragt, ob sie reinkommen darf, und meine Mama nickt, aber so richtig toll findet sie das nicht, das merkt man sofort. Die Nonne sagt, meine Mama ist ein guter Christenmensch und Gott sieht alles und jeden und dass die Kinder weder Vater noch Mutter gehören, weil sie alle Kinder Gottes sind. Diese Kommunistenfrauen wollen, dass wir mit dem Zug nach Russland fahren, wo sie uns Hände und Füße abschneiden, und wir kommen nie mehr zurück. Meine Mama antwortet nicht. Schweigen kann sie richtig gut. Und dann hat die Gardinenstange irgendwann die Nase voll und geht. Ich frage: »Willst du mich wirklich nach Russland schicken?« Sie nimmt wieder das Nähzeug und brummelt vor sich hin: »Russland, von wegen Russland … Was weiß ich schon von Faschisten und Kommunisten. Und von Priestern und Bischöfen weiß ich auch nichts.« Meine Mama redet mit anderen nicht so viel, mit sich selbst schon mehr. »Das Einzige, was ich kenne, sind Hunger und Arbeit … Die wollte ich mal sehen, die Gardinenstange, mit einem Sohn und ohne Mann … die hat leicht reden, so ohne Kinder. Wo war sie denn, als mein Luigino krank wurde?«

Luigi war mein großer Bruder, und wenn er sich nicht als Kind diese blöde Bronchitis geholt hätte, wäre er jetzt drei Jahre älter als ich. Aber so war ich schon bei meiner Geburt Einzelkind. Meine Mama redet fast nie von ihm, aber auf der Kommode steht sein Bild mit einem Totenlicht davor. Die Zandragliona hat mir das alles erzählt, die wohnt im Basso gegenüber und ist eine gute Frau. Meiner Mama ging es so schlecht, dass alle dachten, sie erholt sich nie mehr. Aber dann kam ich und sie war wieder froh. Wenn auch nicht so froh wie mit ihm. Sonst würde sie mich ja nicht nach Russland schicken.

Ich gehe rüber zur Zandragliona, die weiß immer alles, und was sie nicht weiß, erzählen ihr die anderen. Sie sagt, dass wir nicht nach Russland gebracht werden und dass sie Maddalena Criscuolo und die Übrigen kennt: Die wollen uns helfen und uns Hoffnung geben. Was soll ich denn mit Hoffnung? Hoffnung heiße ich doch selbst schon, nämlich mit Nachnamen wie meine Mama Antonietta. Und mit Vornamen Amerigo. Den habe ich von meinem Vater. Ich habe ihn nie kennengelernt, und wenn ich nach ihm frage, verdreht meine Mama immer die Augen zum Himmel, wie wenn es zu regnen anfängt und sie die Wäsche noch nicht reingeholt hat. Sie sagt, er ist ein ganz großartiger Mann. Er ist nach Amerika gegangen, um dort sein Glück zu machen. Und wann kommt er wieder?, habe ich gefragt. Früher oder später, hat sie geantwortet. Er hat mir nichts dagelassen, außer dem Namen. Besser als nichts.

Seit wir das von den Zügen wissen, ist in der Gasse der Teufel los. Jeder sagt was anderes: dass sie uns verkaufen und nach Amerika zum Arbeiten schicken; oder dass wir nach Russland kommen und dort im Ofen verbrannt werden; oder dass nur die bösen Kinder fahren und die lieben bei ihren Mamas bleiben dürfen. Andere scheren sich um nichts und machen einfach weiter wie immer, weil sie gar nichts kapieren. Ich kapiere auch nichts, obwohl sie mich im Viertel den »Nobelpreis« nennen, weil ich so viel weiß, auch wenn ich nicht mehr in die Schule gehe. Das lerne ich alles auf der Straße. Ich gehe herum, höre den Leuten zu und mische mich überall ein. Klug geboren wird keiner.

Meine Mama Antonietta will nicht, dass ich Sachen von ihr herumerzähle. Und ich hab auch keinem erzählt, dass unter unserem Bett lauter Kaffeepackungen von Capa ’e fierro liegen. Und auch nicht, dass Capa ’e fierro nachmittags zu uns kommt und sich mit Mama einschließt. Was der wohl seiner Frau erzählt. Vielleicht, dass er Billard spielt. Mich schickt er auf die Straße, weil sie müssen dann arbeiten, er und sie. Also gehe ich raus, Lumpen sammeln. Alte Stoffe, Fetzen, gebrauchte Kleider von den amerikanischen Soldaten, dreckiges Zeug voll mit Flöhen. Am Anfang wollte ich nicht weg, wenn er kam: Ich wollte nicht, dass Capa ’e fierro bei uns den Boss spielt. Dann hat meine Mama gesagt, dass ich ihm Respekt erweisen muss, weil er viele wichtige Freunde hat und wir Essen von ihm kriegen. Sie hat gesagt, er kennt sich aus mit Geschäften und dass ich viel von ihm lernen kann. Ich habe nichts geantwortet, aber seitdem verziehe ich mich, wenn er kommt. Die Lumpen bringe ich mit nach Hause. Meine Mama wäscht und schrubbt und flickt sie, und am Ende geben wir sie Capa ’e fierro, der auf dem Markt einen Stand hat und sie den Leuten verkauft, die nicht so arm sind wie wir. Und ich gucke auf die Schuhe und zähle die Punkte an den Fingern zusammen, und wenn ich zehn mal zehn habe, passiert etwas Schönes: Mein Vater kommt aus Amerika zurück und ist ganz reich und dann setze ich Capa ’e fierro vor die Tür, nicht er mich.

Aber einmal hat das Spiel doch funktioniert. Vor dem Theater San Carlo habe ich einen Herrn mit so glänzenden, neuen Schuhen gesehen, dass ich gleich hundert Punkte auf einmal hatte. Und als ich dann nach Hause kam, stand tatsächlich Capa ’e fierro vor der Tür. Meine Mama hatte seine Frau auf dem Rettifilo gesehen, mit einem neuen Handtäschchen. Capa ’e fierro hat gesagt: »Du musst warten lernen. Wart nur ab, dann kommt dein Moment von ganz allein.« Meine Mama hat geantwortet: »Heute kannst du mal warten«, und hat ihn den ganzen Tag nicht in die Wohnung gelassen. Capa ’e fierro stand vor dem Basso, hat sich eine Zigarette angezündet und ist dann mit den Händen in den Taschen davon. Ich hinterher, einfach weil ich sehen wollte, wie sauer er war. Ich hab zu ihm gesagt: »Heute keine Arbeit, Capa ’e fierro? Heute Ruhetag?« Er hat sich vor mich hingehockt, hat an seiner Zigarette gezogen, und beim Ausatmen kamen viele kleine Rauchkringel aus seinem Mund. »Guagliò«, hat er gesagt, »Frauen sind wie Wein. Entweder du bestimmst über sie, oder sie bestimmen über dich. Wenn sie über dich bestimmen, verlierst du die Kontrolle und wirst zu ihrem Sklaven. Ich war immer schon ein freier Mann und werde es auch bleiben. Komm, wir gehen in eine Osteria, du darfst Rotwein trinken, heute macht dich Capa ’e fierro zum Mann!«

»Zu schade, Capa ’e fierro, ich kann heute nicht, ich habe zu tun.«

»Was hast du denn schon zu tun, he?«

»Ich muss Lumpen sammeln, wie immer. Die bringen zwar fast nichts ein, aber davon leben wir nun mal. Entschuldigt mich.«

Dann hab ich ihn stehen lassen und die Rauchkringel haben sich in Luft aufgelöst.

Die Lumpen, die ich finde, tue ich in einen Korb, den meine Mama mir gegeben hat. Und weil der Korb immer schwerer wird, je mehr drinnen ist, habe ich ihn mir irgendwann auf den Kopf gestellt, wie ich es bei den Marktfrauen gesehen habe. Aber mit der Zeit sind mir da die Haare ausgefallen, und ich hatte eine kahle Stelle am Kopf. Ich glaube, deshalb hat die Mama mir die Rübe geschoren, von wegen Läuse!

Wenn ich so durch die Gegend laufe, frage ich auch nach der Sache mit dem Zug, aber umsonst. Die einen sagen dies, die anderen das. Tommasino bleibt dabei, er fährt nicht mit, weil er zu Hause alles hat, was er braucht, und seine Mutter Donna Armida hat noch nie um Almosen betteln müssen. Die Pachiochia, die der Boss hier im Viertel ist, sagt, unter dem König hat es das nicht gegeben, dass Mütter ihre Kinder verkaufen. Sie sagt, es gibt keine Würde mehr, keine Wü-hürde! Und immer, wenn sie das sagt, zeigt sie ihr braunes Zahnfleisch, bleckt die paar Zähne, die sie noch hat, und lässt die Spucke nur so durch die Zahnlücken spritzen. Die Pachiochia war schon immer hässlich, glaube ich, deshalb hat sie auch keinen Mann abbekommen. Aber darüber darf man nicht reden, das ist ihr wunder Punkt. Und auch nicht darüber, dass sie keine Kinder hat. Früher hatte sie mal einen Kanarienvogel, aber der ist ihr weggeflogen. Über den darf man mit der Pachiochia auch nicht reden.

Die Zandragliona hat auch keinen Mann. Warum, weiß keiner so genau. Die einen sagen, sie konnte sich nicht entscheiden zwischen denen, die ihr den Hof gemacht haben, und dann stand sie am Ende alleine da, weil in echt ist sie richtig reich und will ihr Geld mit keinem teilen. Die anderen sagen, dass sie einen Verlobten hatte, der dann gestorben ist. Oder dass sie einen Verlobten hatte und dann entdeckt hat, dass der schon verheiratet war. Aber ich glaube, das ist alles dummes Zeug.

Nur ein einziges Mal waren sich die Pachiochia und die Zandragliona einig: Als die Deutschen bis zu uns in die Gasse gekommen sind und nach Essen gesucht haben, da haben die beiden heimlich Taubenkot ins Osterbrot gesteckt und gesagt, das ist Schweinefleisch, eine regionale Spezialität. Und die Deutschen haben das gegessen und immer gesagt gut, gut!, und die Pachiochia und die Zandragliona haben sich in die Seite gestoßen und in sich hineingelacht. Danach haben sich die Deutschen nie mehr blicken lassen, auch nicht für irgendeine Vergeltung oder so.

Meine Mama Antonietta hat mich nicht verkauft, bisher jedenfalls nicht. Aber dann, zwei, drei Tage nach der Sache mit der Nonne, komm ich nach Hause mit meinem Lumpenkorb und da sitzt diese Maddalena Criscuolo. Aha, denke ich, jetzt wollen die mich also doch kaufen! Und während meine Mama mit ihr...

Erscheint lt. Verlag 26.4.2022
Übersetzer Esther Hansen
Sprache deutsch
Original-Titel Il treno dei bambini
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2022 • Bestseller aus Italien • Bologna • Christina Baker Kline • Die Kinder des Monsieur Mathieu • eBooks • Ein Zug voller Waisen • Elena Ferrante • Geige • Musik • Nachkriegszeit • Neapel • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2022 • Stay away from Gretchen • Süditalien • Susanne Abel
ISBN-10 3-641-25523-6 / 3641255236
ISBN-13 978-3-641-25523-7 / 9783641255237
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