Das Haus Zamis 16 (eBook)
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-1470-9 (ISBN)
»Zadkiel! Zadkiel!«
Der Ruf gellte schaurig durch die Finsternis, die im Rhythmus des Schalles durch blitzartige Leuchterscheinungen erhellt wurde.
»Zadkiel! Zadkiel!«
Die Lichtentladungen erhellten eine Grotte, die nicht aus gewachsenem Mineral bestand, sondern deren Wände aus morbiden Knochen irgendwelcher Fabelwesen gebildet wurden. Zwischen den bizarren Knochenwucherungen, die porös wirkten und weich wie Gallert, sprossen Gewächse wie Kristallgebilde. Manche schienen aus Tonnen von winzigen Metallspänen gebildet, die ein Magnet zusammenhielt, und sie bewegten ihre feinen, stachelartigen Härchen wie unter sich verändernden Magnetfeldlinien.
»Zadkiel! Zadkiel!«
Der fünfstimmige Ruf war lauter geworden, brach sich an den Grottenwänden, wurde verzerrt und hallte als schier nicht enden wollendes Echo durch die unergründlichen Schlünde dieser dämonischen Welt im Zentrum der Erde ...
2. Kapitel
Ich zog mich mit Ralf aufs rückwärtige Deck zurück, wo wir ungestört waren. Als Renate sich zu uns gesellen wollte, gab ich ihr zu verstehen, dass ich mit ihrem Bruder allein sein wollte.
»Ich habe noch ein Hühnchen mit dir zu rupfen, Coco«, sagte sie.
»Wegen deiner Versteinerungen, die Mandy dir geschenkt hat?«, sagte ich. »Sei froh, dass du sie los bist, Reni. Wir reden darüber später. Lass mich jetzt mit Ralf allein.«
Sie zog wütend ab und gesellte sich zu Bonger und den anderen. Ich merkte, dass Katja sich an Edmund heranmachte. Dieser Beau glaubte in seiner Eitelkeit, dass er diese Ehre seiner Schönheit zu verdanken hatte und tat sehr herablassend-geschmeichelt.
»Was ist?«, fragte Ralf mich. Es klang ziemlich barsch. Sicher ärgerte er sich wegen der Abfuhr, die ich ihm heute Morgen erteilt hatte, und es mochte auch mitspielen, dass ich mich auch sonst reserviert gezeigt hatte. »Hast du mir etwas zu sagen?«
»Einiges. Deine Freunde sind in Gefahr. Ralf, du solltest sie dazu bewegen, dieses Schiff so rasch wie möglich zu verlassen. Dieser Bonger und seine Freundin Katja sind keine Menschen wie du und ich.«
»Wie du auch nicht«, erwiderte er. »Du bist eine Hexe.«
»Und auch du bist etwas Besonderes, Manannan«, erwiderte ich und stellte zufrieden fest, dass er wütend wurde. Er hörte es überhaupt nicht gern, dass ich ihn mit diesem Namen anredete. »Aber im Ernst, es sieht böse für deine Freunde aus. Der Zwerg, den du vom Fenster gesehen hast, war tatsächlich Oirbsen. Er hat mich gewarnt und sich mit uns am Rheinfall verabredet. Bis dahin müssen wir die anderen aber längst los sein, sonst kann ich nicht mehr für ihre Sicherheit garantieren.«
»Steht es wirklich so schlimm?«, fragte er besorgt. »Und was ist mit meiner Schwester? Sie scheint Bonger irgendwie verfallen zu sein.«
»Das habe ich geregelt«, sagte ich und erzählte ihm, was ich mit den magischen Seesternen getan hatte und was es mit ihnen auf sich haben könnte.
»Ich werde dieses Schwein ...«, begann Ralf und wollte sich mit den Fäusten auf Bonger stürzen. Aber ich hielt ihn zurück.
»Nur ruhig Blut«, besänftigte ich ihn. »Mit Gewalt würdest du alles nur schlimmer machen. Richte dich nach mir, Ralf, das musst du mir versprechen.«
»Gut, was schlägst du vor?«
»Sieh zu, dass deine Freunde von Bord gehen. Alles andere überlasse mir. Deine Schwester befindet sich nicht in unmittelbarer Gefahr. Ich werde mich schon um sie kümmern.«
»He, was ist mit euch Turteltauben?«, rief Rainer uns zu. »Wir haben ein Spiel ausgeknobelt. Macht ihr mit?«
Ich stieß Ralf an, und wir gesellten uns zu den anderen. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Katja Edmund verstohlen im Nacken kraulte. Der Dressman zitterte vor Erregung, er konnte nicht einmal sein Glas ruhig halten, so dass der Drink überschwappte.
»Wir spielen Pareidolie«, erklärte Rainer. »Olga und Robert haben es ausgeknobelt, die eigenartigen Wolkenformationen haben sie dazu inspiriert.«
Ich blickte unwillkürlich zum Himmel. Tatsächlich türmten sich dort phantastische Wolkenberge, die ständigen Veränderungen unterworfen und vom Wind förmlich gepeitscht wurden.
»Es geht darum«, sagte Robert, der männliche Part des Lehrerehepaares, »die Phantasie spielen zu lassen und die Form der Wolken zu interpretieren, Gestalten und Dinge in sie hineinzudenken. Es ist ein Assoziationsspiel.«
»Dann mach am besten gleich selbst den Anfang, Robert«, verlangte Edmund.
Wir verteilten uns über das Deck und machten es uns gemütlich. Bonger mixte noch eine Runde Drinks und setzte sich dann zwischen Eva und Maria. Signalisierte der Schlangendämon damit, dass die beiden Mädchen seine nächsten Opfer sein sollten?
»Seht ihr die Wolkenbank im Nordwesten?«, fragte Robert, der Lehrer. Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Noch ist sie ein formloses Gebilde, einer Staubwolke gleich, die von Reitern aufgewirbelt wird. Jetzt schälen sich die Reiter aus der Staubwolke. Es sind vier. Seht ihr sie? Gleich werden Einzelheiten zu erkennen sein. Sie kommen näher, geradewegs auf uns zu. Sie beherrschen das gesamte Bodenseegebiet. Es sind die vier apokalyptischen Reiter, wie Dürer sie gesehen hat: Pest, Kampf, Teufel und Tod.«
Roberts Assoziationsvision war so eindrucksvoll, dass man tatsächlich glaubte, die Wolkenbank habe die Gestalt dieser vier Reiter angenommen. Ich sah mich um und bemerkte, dass die anderen, außer Katja und Bonger natürlich, dabei Beklemmung verspürten.
»Bravo«, sagte ich, um den Bann zu brechen. »Man hat das Gefühl, als würden die vier apokalyptischen Reiter wirklich über den Himmel reiten. Nur hat der Teufel nichts in dieser Reitergruppe verloren, und Dürer hat an seiner Stelle den Hunger eingesetzt.«
»Nein, der Teufel hat im Himmel wirklich nichts zu suchen«, meinte Rainer und erntete von einigen Seiten ein befreites Lachen. Gleichzeitig wurde von ihm verlangt, dass er als Nächster eine Interpretation von sich geben solle, wozu er meinte: »Hätte ich nur den Mund gehalten.«
Eine Weile war es still. Rainer blickte konzentriert zum Wolkenhimmel, die anderen taten es ihm gleich. Ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass eine magische Kraft auf Rainer übergriff und ihn inspirierte. Aber ich konnte sie nicht ausloten, fand nicht einmal heraus, ob sie von Katja oder von Bonger kam. Obwohl ich nun sicher war, dass es sich bei beiden um Dämonen handelte, konnte ich von ihnen keinerlei dämonische Ausstrahlung empfangen. Ich führte es darauf zurück, dass sie aus dem centro terrae stammten, wo ganz andere magische Voraussetzungen herrschten.
»Genau über uns«, ließ sich Rainer mit entrückter Stimme vernehmen, »da ist eine Wolke wie ein wild schäumendes Wasser. Vielleicht ein Wasserfall oder ein Mahlstrom. Seht ihr das Schiff, das von den Elementen durcheinandergewirbelt wird? Und da ist es auch schon untergegangen. Die Passagiere kämpfen gegen die Fluten und gegen Meeresungeheuer, die sie in die Tiefe zu zerren versuchen. Jetzt löst sich die Wolke auf, die Passagiere sind verloren.«
Ich war sicher, dass alle dieselbe Vision wie Rainer sahen.
»Könnt ihr nicht schönere Bilder heraufbeschwören?«, fragte Maria fröstelnd. Damit war sie automatisch an der Reihe.
Aber auch das hübsche Mädchen mit dem Zopf konnte die Wolken nicht als Idyll deuten. Sie schilderte uns einen finsteren Ort, ein mittelalterliches Dorf, durch das der Pesthauch wehte und in dem die Bewohner von unsichtbaren Dämonen drangsaliert wurden.
Ihre Freundin Eva dagegen beschwor als Nächste einen Götzentempel herauf, in dem sie sich selbst auf einem Opferstein liegen und ein Ei ausbrüten sah, aus dem ein furchtbarer Drache schlüpfte. Den Tempel konnte niemand sehen, aber sehr wohl einen schwefelfeuerspeienden Drachen, der die ganze Welt verschlang.
Edmund sah die Loreley (und meinte damit vermutlich Katja, die ihn umgarnte), Ralf einen Feuerkreis, dem ein Gnom verzweifelt zu entrinnen versuchte (womit nur Oirbsen gemeint sein konnte), und seine Schwester sah einen Polypen, der mit seinen Fangarmen alles Leben einfing (was eine Charakterstudie des Schlangendämons in der Gestalt von Manfred Bonger sein konnte).
»Und wie ist es mit Ihnen, Mandy?«, fragte ich. »Haben Sie keine Phantasie?«
»In der Tat, ich bin diesbezüglich völlig unbegabt«, meinte Bonger. »Aber ich will kein Spaßverderber sein.«
Er nahm die Hände von den Oberschenkeln der beiden Teenager links und rechts von ihm und schloss die Augen. Er brauchte die Wolken nicht anzuschauen, damit sie Assoziationen in ihm weckten, sondern er konzentrierte sich vielmehr darauf, sie nach seinem Willen zu formen. Und das beherrschte er meisterhaft.
Eine dunkle Wolke zog auf, die von den Lichtbahnen der Sonne umrahmt wurde. Aus der Schwärze der Wolke bildete sich ein Relief.
»Da ist eine Dirne mit dem Nimbus einer Jungfrau«, erklärte Bonger, und ich wusste, dass er mich damit meinte. Ich sah mich in der Wolke. »Sie hat einen schönen, makellosen Körper, doch in dessen Innerem wuchert ein Geschwür. Sie gebiert aus sich heraus fast ein Dutzend Schauergestalten – es sind elf, um genau zu sein. Doch ein zwölfter Teil dieser Brut ist im Werden, und dieser Dämon ist stärker und rasender als alle anderen zusammen. Er überstrahlt mit seiner Finsternis alles, und er wächst und wächst, und als er die Grenzen seines Wachstums erreicht zu haben scheint, verschlingt er die Hexe, die ihn heraufbeschworen hat.«
Ein kalter Windstoß kam auf, der Nebel mit sich brachte, und dieser verhüllte gnädig das Geschehen in der schwarzen Wolke.
Bonger hatte dieses Schauspiel sichtlich genossen. Ralf drückte mir die Hand, und das zeigte mir, dass auch er den Sinn dieser Vision begriffen hatte. Jetzt wusste er wenigstens, woran wir alle waren.
»Und jetzt Sie, Coco«, forderte mich Katja auf.
Das ließ...
Erscheint lt. Verlag | 25.5.2021 |
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Reihe/Serie | Das Haus Zamis |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Coco Zamis • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • Dorian Hunter • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Spin-Off • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond |
ISBN-10 | 3-7517-1470-7 / 3751714707 |
ISBN-13 | 978-3-7517-1470-9 / 9783751714709 |
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