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Harlem Shuffle (eBook)

Roman

***

eBook Download: EPUB
2021
384 Seiten
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
978-3-446-27163-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Harlem Shuffle - Colson Whitehead
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Harlem, 60er Jahre: die Geschichte eines einfachen Mannes, der so ehrlich wie möglich versucht aufzusteigen. Der neue Roman des zweifachen Pulitzerpreisträgers und Bestsellerautors Colson Whitehead
Eigentlich würde Ray Carney am liebsten ohne Betrügereien auskommen, doch die Einkünfte aus seinem Laden reichen nicht aus für den Standard, den die Schwiegereltern erwarten. Cousin Freddy bringt gelegentlich eine Goldkette vorbei, die Ray bei einem Juwelier versetzt. Doch was tun mit dem Raubgut aus dem Coup im legendären 'Hotel Theresa' im Herzen Harlems, nachdem Freddy sich verdünnisiert hat? Als Polizei und Gangster Ray in seinem Laden aufsuchen, steht sein waghalsiges Doppelleben auf der Kippe. Der mitreißende Roman des zweifachen Pulitzer-Preisträgers Colson Whitehead ist Familiensaga, Soziographie und Ganovenstück, vor allem aber eine Liebeserklärung an New Yorks berühmtestes Viertel.

Colson Whitehead, 1969 in New York geboren, studierte an der Harvard University und arbeitete für die New York Times, Harper's und Granta. Whitehead erhielt den Whiting Writers Award (2000) und den Young Lion's Fiction Award (2002) und war Stipendiat des MacArthur 'Genius' Fellowship. Für seinen Roman Underground Railraod wurde er mit dem National Book Award 2016 und dem Pulitzer-Preis 2017 ausgezeichnet. Für seinen Roman Die Nickel Boys erhielt er 2020 erneut den Pulitzer-Preis. Bei Hanser erschienen bisher John Henry Days (Roman, 2004), Der Koloß von New York (Eine Stadt in dreizehn Teilen, 2005), Apex (Roman, 2007), Der letzte Sommer auf Long Island (Roman, 2011), Zone One (Roman, 2014), Underground Railroad (Roman, 2017), Die Nickel Boys (Roman, 2019) und Harlem Shuffle (Roman, 2021). Der Autor lebt in Brooklyn.

"'Harlem Shuffle' hat alles, was einen guten Roman ausmacht ... ihr Tempo aber hat sich die Geschichte vom Kino geborgt." Wieland Freund, Welt am Sonntag, 22.08.21

1


Für den Raubüberfall holte ihn sein Cousin Freddie eines heißen Abends Anfang Juni ins Boot. Ray Carney hatte einen seiner umtriebigen Tage — uptown, downtown, quer durch die City. Hielt die Maschine am Laufen. Als Erstes in die Radio Row, um die letzten drei Musiktruhen, zwei RCAs und eine Magnavox, loszuwerden und den Fernseher zu holen, den er dort gelassen hatte. Die Radios hatte er aufgegeben, hatte seit anderthalb Jahren keins mehr verkauft, ganz gleich wie sehr er mit dem Preis runtergegangen war und gebettelt hatte. Jetzt beanspruchten sie im Keller Platz, den er für die neuen Ruhesessel brauchte, die nächste Woche von Argent reinkamen, und für alles, was er heute Nachmittag aus der Wohnung der toten Lady mitnahm. Drei Jahre zuvor waren die Radios noch Spitzenprodukte gewesen; jetzt verhüllten gepolsterte Decken ihre glatten, mit Ledergurten an der Ladefläche festgezurrten Mahagonigehäuse. Der Pick-up hüpfte über die unselige Fahrspur des West Side Highway.

Erst heute Morgen hatte die Tribune wieder einen Artikel darüber gebracht, dass die Stadt die Hochstraße abreißen lassen wollte. Schmal und mit minderwertigem Kopfsteinpflaster belegt, war sie von Anfang an Flickwerk gewesen. An den besten Tagen ging es dort nur Stoßstange an Stoßstange vorwärts, ein erbitterter, mit Gehupe und Flüchen geführter Streit, und an Regentagen waren die Schlaglöcher tückische Lagunen, ein einziges trostloses Schwappen. Letzte Woche war ein Kunde in den Laden spaziert, den Kopf eingewickelt wie bei einer Mumie — von einem heruntergefallenen Stück Geländer getroffen, während er unter dem verdammten Ding durchging. Sagte, er würde deswegen klagen. Carney sagte: »Das ist Ihr gutes Recht.« In der Gegend der 23rd Street sackten die Räder des Pick-ups in einen Krater, und er dachte schon, eine der RCAs würde von der Ladefläche in den Hudson springen. Er war erleichtert, als er sich ohne Zwischenfall an der Duane Street verdrücken konnte.

Carneys Abnehmer in der Radio Row hatte sein Geschäft auf halber Länge der Cortlandt Street, in einer Nebenstraße der Greenwich, mittendrin im Getümmel. Er fand eine Parklücke vor Samuel’s Amazing Radio — REPARATUR ALLER MARKEN — und ging nachsehen, ob Aronowitz da war. Letztes Jahr war er zweimal die ganze Strecke hierhergekommen, nur um festzustellen, dass der Laden mitten am Tag geschlossen hatte.

An den vollgestopften Schaufenstern vorbeizugehen war noch vor ein paar Jahren so gewesen, als drehte man am Skalenknopf eines Radios — ein Laden plärrte aus Trichterlautsprechern Jazz auf die Straße, der nächste deutsche Symphonien, dann Ragtime und so weiter. S & S Electronics, Landy’s Top Notch, Steinway the Radio King. Inzwischen hörte er, als verzweifelten Köder für die Teenager-Szene, häufiger Rock and Roll und fand die Auslagen vollgestopft mit Fernsehgeräten, den neuesten Wundern von DuMont, Motorola und den anderen. Truhen in hellem Hartholz, die schlanken, neuen Koffergeräte und Hi-Fi-Kombinationen mit Bildröhre, Tuner und Plattenteller in ein und demselben Gehäuse, sehr schick. Nicht verändert hatte sich Carneys Slalom über den Bürgersteig, um die wuchtigen Kästen und Eimer voller Vakuumröhren, Audio-Transformatoren und Kondensatoren herum, die Tüftler aus dem gesamten Großraum New York anlockten. Jedes Teil, das Sie brauchen, sämtliche Marken, sämtliche Modelle, günstige Preise.

Ein Loch klaffte in der Silhouette, wo die Ninth-Avenue-Hochbahn verkehrt hatte. Dieses verschwundene Ding. Als er klein gewesen war, hatte sein Vater ihn ein, zwei Mal auf einem seiner geheimnisvollen Gänge dorthin mitgenommen. Manchmal meinte Carney immer noch, hinter der Musik und dem Getöse der Straße die Bahn rumpeln zu hören.

Eine Juwelierlupe in die Augenhöhle geklemmt, frickelte Aronowitz, über die Thekenvitrine gebeugt, an einem seiner elektrischen Teile. »Mr. Carney.« Er hustete.

Es gab nicht viele Weiße, die ihn Mister nannten. Jedenfalls nicht downtown. Als Carney das erste Mal geschäftlich in die Row gekommen war, hatten die weißen Angestellten so getan, als sähen sie ihn nicht, und Hobbybastler bedient, die nach ihm gekommen waren. In einem Laden nach dem anderen hatte er sich geräuspert, hatte durch Gesten auf sich aufmerksam gemacht und war ein schwarzer Geist geblieben, hatte die üblichen Demütigungen einstecken müssen, bis er die schwarze Eisentreppe zu Aronowitz & Söhne hinaufgestiegen war und der Besitzer gefragt hatte: »Kann ich Ihnen helfen, Sir?« Kann ich Ihnen helfen, wie in Kann ich Ihnen helfen?. Im Gegensatz zu Was hast du hier zu suchen?. Ray Carney hatte im Lauf der Jahre ein Gespür für die verschiedenen Variationen entwickelt.

An jenem ersten Tag hatte Carney ihm gesagt, er habe ein Radio, das repariert werden müsse; er hatte gerade angefangen, nebenher mit gut erhaltenen gebrauchten Geräten zu handeln. Aronowitz hatte ihn unterbrochen, als er versucht hatte, das Problem zu erklären, und sich darangemacht, das Gehäuse aufzuschrauben. Bei nachfolgenden Besuchen hatte Carney sich die Worte gespart, die Radios lediglich vor den Maestro gestellt und ihn machen lassen. Der übliche Verlauf: müdes Seufzen und Ächzen, während er das Problem gründlich untersuchte und dabei mit silbern blitzenden Werkzeugen hantierte. Sein Diagnometer prüfte Sicherungen, Widerstände; er maß Spannung, durchwühlte unbeschriftete Schubladen in den stählernen Aktenschränken entlang der Wände des düsteren Ladens. Wenn etwas Großes anlag, wirbelte Aronowitz auf seinem Stuhl herum und wuselte unter weiterem Ächzen in die hintenliegende Werkstatt. Er erinnerte Carney an ein Eichhörnchen im Park, das Hals über Kopf verlorenen Nüssen hinterherflitzte. Vielleicht verstanden die anderen Eichhörnchen der Radio Row dieses Verhalten, aber für ihn, den Normalsterblichen, war es animalische Tollheit.

Oft ging Carney auf ein Käse-Schinken-Sandwich die Straße hinunter, damit der Mann in Ruhe arbeiten konnte.

Aronowitz gelang es stets, die Reparatur auszuführen, das Teil aufzutreiben. Die neue Technik jedoch ärgerte den Alten, und bei Fernsehgeräten ließ er Carney normalerweise am nächsten Tag oder auch in der nächsten Woche wiederkommen, sobald die neue Bild- oder Radioröhre eingetroffen war. Auf keinen Fall wollte er sich damit blamieren, dass er eine Straße weiter ging und einen Konkurrenten anhaute. So kam es, dass sich Carney an jenem Morgen dort einfand. Er hatte vorige Woche den 21-Zoll-Philco abgegeben. Wenn er Glück hatte, würde ihm der Alte die Radios abnehmen.

Carney trug eine der großen RCAs in den Laden und ging die nächste holen. »Normalerweise könnte der Junge Ihnen helfen«, sagte Aronowitz, »aber ich musste ihm die Arbeitszeit kürzen.«

Jacob, der Junge, ein griesgrämiger, pockennarbiger Teenager aus einer Mietskaserne in der Ludlow Street, arbeitete hier noch kein Jahr lang, soweit Carney sagen konnte. Das »& Söhne« auf dem Ladenschild war immer bloßer Anspruch geblieben — Aronowitz’ Frau war schon lange wieder zu ihrer Schwester nach Jersey gezogen —, aber Maulheldentum und Angeberei waren für Geschäfte der Radio Row ein Leitmotiv. Top of the City, House of Values, Cannot be Beaten. Jahrzehnte zuvor hatte der Elektronik-Boom das Viertel zu einem Schauplatz von Einwandererambitionen gemacht. Man eröffnete ein Geschäft, spulte seine Sprüche ab und arbeitete sich aus der Mietshausmisere heraus. Wenn es gut lief, eröffnete man eine Filiale, expandierte in den pleitegegangenen Laden nebenan. Übergab das Geschäft an seine Söhne und setzte sich in einer der neuen Vorstädte auf Long Island zur Ruhe. Wenn es gut lief.

Carney fand, Aronowitz sollte das Söhne-Dings aufgeben und sich eine schmissigere Bezeichnung zulegen: Atomic TV & Radio, Jet Age Electronics. Aber das wäre eine Umkehrung ihrer Beziehung, denn unter dieser Adresse war es Aronowitz, der sozusagen von Unternehmer zu Unternehmer Ratschläge erteilte, im Allgemeinen solche der Sorte »Arzt, hilf dir selbst«. Carney brauchte die Tipps des Alten zu Buchführungspraktiken und Warenplatzierung nicht. Sein Betriebswirtschaftsdiplom des Queens College hing in seinem Büro neben einem signierten Foto von Lena Horne.

Carney schaffte die drei Radios in den Laden. Auf den Bürgersteigen der Row war auch nicht mehr so viel los wie früher.

»Nein, die sind nicht kaputt«, sagte Carney, während Aronowitz seine Werkzeugrolle auseinanderklappte. Die Rolle bestand aus grünem Filz mit Steckfächern. »Ich dachte, Sie wollen sie vielleicht haben.«

»Nichts dran kaputt?« Als wäre etwas, das einwandfrei funktionierte, ein abwegiges Angebot. ...

Erscheint lt. Verlag 23.8.2021
Übersetzer Nikolaus Stingl
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Harlem Shuffle
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Betrügereien • Doppelleben • Ehrlichkeit • einfache Verhältnisse • Familiensaga • Ganoven • gesellschaftlicher Aufstieg • Harlem • Herkunft • Hotel Theresa • Machtstreben • New York • Nickel Boys • #ohnefolie • ohnefolie • Pulitzer-Preisträger • Raubgut • Rechtschaffenheit • Schwindel • Sechziger Jahre • soziographie • Underground Railroad
ISBN-10 3-446-27163-5 / 3446271635
ISBN-13 978-3-446-27163-0 / 9783446271630
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