»Frau Doktor, wo ich Sie gerade treffe...« (eBook)
256 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-45959-1 (ISBN)
Dr. med. Ulrike Koock lebt als Ärztin und Mutter zweier Kinder in der Nähe von Frankfurt am Main am Rande der Wetterau. Dort, auf dem Land, arbeitet die engagierte Allgemeinmedizinerin in einer eingeführten Hausarztpraxis und an ihrem Traum von einer eigenen Niederlassung. Neben der Medizin ist das Schreiben ihre große Leidenschaft, Kostproben finden sich auf ihrem Blog schwesterfraudoktor.de.
Dr. med. Ulrike Koock lebt als Ärztin und Mutter zweier Kinder in der Nähe von Frankfurt am Main am Rande der Wetterau. Dort, auf dem Land, arbeitet die engagierte Allgemeinmedizinerin in einer eingeführten Hausarztpraxis und an ihrem Traum von einer eigenen Niederlassung. Neben der Medizin ist das Schreiben ihre große Leidenschaft, Kostproben finden sich auf ihrem Blog schwesterfraudoktor.de.
Einleitung
Landarztromantik in gestärktem Weiß
Landärztin zu sein ist eine Lebensaufgabe. Ein ganz besonderes, erfüllendes Gefühl und irgendwie auch ein Schicksal. Es ist wie eine Ehe mit all ihren guten und ihren schlechten Seiten. Manchmal ist man genervt oder erschöpft, aber grundsätzlich liebt man, wen man geheiratet hat, und kann und will sich kein Leben ohne den anderen vorstellen. Und man ist nie einsam. Nie.
Du gehst in den Supermarkt und wirst beim Einkaufen wahlweise mit den neuesten Befundergebnissen vom Proktologen oder den Leidensgeschichten der Schwiegermutter konfrontiert. Der Bekannte steht mit einer Schnittwunde vor deiner Haustür, die Freundin bittet samstäglich um einen Hausbesuch, und in der Apotheke erhältst du Rabatt auf die Nasentropfen für deine Kinder. Als Landärztin wirst du geliebt und kritisch beäugt, bist Dorfgespräch und Z-Sternchen. An das Gefühl, eine kleine (wörtlich und sprichwörtlich) Prominenz zu sein, musste ich mich erst gewöhnen.
Warum ich vor fünfunddreißig Jahren meiner Mutter am Rockzipfel zupfte und meinen Beschluss verkündete, Ärztin werden zu wollen, lag sicherlich zum einen an meinem schon damals ausgeprägten Interesse für Medizin und die Vorgänge im Körper. Es war einmal … das Leben war meine heiligste Kinderserie im Fernsehen. Sprechende Blutkörperchen, schnell heranrasende Körperpolizisten, böse aussehende bakterielle Burschen und eine Kommandozentrale im Gehirn – niemand brauchte mir zu erzählen, dass es in Wirklichkeit anders wäre. Genau wie in der Serie musste es sein. Ganz bestimmt.
Zum anderen war dafür Professor Brinkmann verantwortlich. Die Schwarzwaldklinik war meine Kindheit. Mein kitschiger Traum in gestärktem Weiß.
Das schwäbische Städtchen, in dem ich einige junge und schöne Jahre meines Lebens verbrachte, befindet sich in der Nähe des Bodensees, hat mehrere Kirchen (eine davon mit einem großen Kirchplatz und einem für die Region typischen Zwiebelturm), ein Schlösschen, eine gute Infrastruktur und ist umgeben von Natur, Wäldern, Landschaften und geizigen Schwaben, die an Fasching (Fasnet, wie man dort sagt) großzügig über sich hinauswachsen, drei Bonbons (Guezele) in die Menge schmeißen und den sogenannten Katzendreck backen – eine himmlische, schokoladenüberzogene Kuchenspezialität in Form eines Katzenhäufchens. Zum Schnurren köstlich.
Zu dem schwäbischen Dorf gehörte natürlich auch ein Arzt. Der Herr Doktor. Das Haus des heiligen Herrn Doktor stand mitten im Dorf an einer großen Straße und war mit Holz beschlagen und sah beinahe so aus wie die kleinere Schwester der Schwarzwaldklinik. In dieser Praxis wurde alles behandelt, was das Medizinstudium hergibt: von Zeckenstich bis Hundebiss, von Ausschlag bis Warzenentfernung, von Allergie bis Onkologie. Dass der Herr Doktor nicht selbst aufwendiger operierte und Herzkatheter schob, lag sicherlich nur an der Sparsamkeit der schwäbischen Patienten, die auf ein Angebot »Herzkatheter – heute zwei Stents zum Preis von einem« warteten. Es brauchte eigentlich keinen anderen Arzt, denn der Herr Doktor konnte selbstredend alles, und praktischerweise hatte er auch noch einen Gynäkologen mit im Praxisgefüge, sodass seine Räumlichkeiten bereits vor dreißig Jahren ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) waren, als von Landarztmangel noch nicht die Rede war.
Als Mädchen saß ich also Woche für Woche sehnsuchtsvoll vor dem Röhrenfernseher, sah mir Die Schwarzwaldklinik an und wollte irgendwann einmal eine Praxis haben, die vor Landarztromantik nur so triefte. Meine kindliche Vorstellung hat sich natürlich inzwischen ein wenig gewandelt, gerade auf die hochtoupierten Haare der Achtzigerjahre würde ich verzichten. Aber diese Heile-Welt-Bilder, die ich damals im Kopf hatte, wünsche ich mir immer noch.
Im Studium entschied ich mich – trotz kindlicher Landarztträume – dafür, dass ich zukünftig keinen Kontakt zu Patienten haben möchte – ich liebäugelte mit Fachrichtungen wie Pathologie, Pharmakologie oder der Forschung. »Du hast dich eben getäuscht«, sagte ich mir. »Nicht jeder, der mal Prinzessin oder Astronaut werden wollte, erfüllt sich diesen Traum.«
Und jetzt? Heute arbeite ich in dem Beruf mit dem meisten Patientenkontakt und kann mir nicht mehr vorstellen, je wieder eine andere Ärztin zu sein. Ich steuere nun sogar nach meiner Facharztprüfung die Niederlassung als Allgemeinmedizinerin an. Manchmal ist es anstrengend, eine solche zu sein, aber es ist dennoch der schönste Beruf der Welt.
Als ich in den letzten Jahren meine Erfahrungen als Ärztin in allerlei Sparten machte, fehlte mir stets etwas. Es interessierte mich immer alles, ich hätte gerne einen allumfassenden medizinischen Beruf gehabt, und gleichzeitig merkte ich, dass ich nicht wie andere Kollegen mit großer Vorliebe invasiv arbeitete. Nadeln in Menschen zu stechen ist okay, das gehört dazu. Mal eine Wunde zu nähen ist nett. Wundverbände mache ich bevorzugt, das hat so was von Pickel quetschen, etwas degoutant Befriedigendes. Aber alles, was damit verbunden war, lange Schläuche, Nadeln oder Drainagen in Menschen zu platzieren, das war nichts für mich. Das sollten lieber andere tun. Was ich jedoch immer gut konnte, war Reden und Zuhören. Vielleicht hätte ich Psychotherapie erlernen sollen, aber das war mir dann wieder zu wenig medizinisch. Hach, es war ein Graus mit mir.
Trotz aller Stech-Unlust fand ich die Chirurgie faszinierend, weil die Arbeit im OP eine spannende mit einer ganz besonderen Atmosphäre ist. Und da die Patienten glücklicherweise von den Anästhesisten friedlich ins Schlummerland geschickt wurden, machte mir das Geschnibbel auch nichts aus. Es störte mich nie, Blut oder Organe zu sehen. Im Gegenteil, höchst interessant fand ich das. Aber ich konnte nicht ertragen, jemandem Schmerzen zuzufügen, und daher entschied ich mich nach Erlangen der Approbation, der Zulassung als Ärztin, mit Toten zu arbeiten. Die Pathologie – oder auch Kaltchirurgie genannt – vereint Medizin, Wissenschaft und Geschnibbel. Sie war meine große Leidenschaft, und für ganze achtzehn Monate bastelte ich an meinem Karriereweg. Um dann schwanger zu werden und damit dieser Phase in meinem Leben ein Ende zu setzen. Offiziell aus Gründen der besseren Weiterbildung versetzte man mich in ein achtzig Kilometer entferntes Institut, was mit Säugling nicht zu vereinbaren war. Es hätte einen Umzug bedeutet. Machbar war dies nicht, schließlich waren wir gerade in das Haus auf dem Land gezogen.
Abhaken, weiter geht’s. Der Hesse sagt dann: »Als weida, mir wern aach ned jünger.« So isses. Also ging ich in die Onkologie, um jedoch nach zwei Jahren wieder schwanger zu werden. Der laute Ruf meines Uterus (»Ich will ein Kind von dir!«) war stärker als meine Karriereambitionen. Als ich aber nach der zweiten kurzen Elternzeit schließlich komplett patientenfern in der Pharmabranche landete, fühlte ich mich völlig fehl am Platze – und wandte mich endlich erneut den Menschen zu.
In der Inneren Medizin eines kleinen Krankenhauses machte ich mit dreiunddreißig Jahren einen Neustart und begann die Ausbildung zur Allgemeinmedizinerin. Eine weitere Kerbe in meinem beruflichen Bettpfosten sollte mir Wissen und Erfahrung einbringen. Sich sehenden Auges in die Knechtschaft zu begeben mag angesichts der aktuell herrschenden Arbeitsumstände und der Probleme im Gesundheitswesen töricht erscheinen, doch andererseits kann man bei Erwartungen weit im Minusbereich nur positiv überrascht werden. Und so markierte dieser Schritt eine Zeit, die mal schmerzhaft und mal aufreibend, aber auch voller Humor, schmutziger Witze und viel Lehre war. So manche Dinge sind mir aus der Zeit geblieben: Erinnerungen an liebenswerte Patienten mit Pralinen, an überbesorgte Helikoptermütter bei knapp fünfzigjährigen Söhnen, an sterbenskranke Menschen auf ihrem letzten Weg und an Arme in Gedärmen. Dort absolvierte ich einen Teil meiner stationären Facharztweiterbildung und registrierte: So schlimm sind die Lebenden eigentlich nicht. Vielleicht sogar ganz nett.
Die Zeit voller Mühen, Nachtdienste und Überstunden hat mein ärztliches Dasein geprägt. Hier wurde ich Ärztin. Die Zeit war nämlich trotz reichlich Leid zugleich voller schöner Erfahrungen mit tollen Kollegen, einem intensiven Zusammenhalt, permanentem Lernen und viel Lachen und Weinen.
Leider prägte die Zeit mit zwei kleinen Kindern und der Arbeitsbelastung mein Leben auch gesundheitlich. Nach mehreren anstrengenden Wochen mit Magenschmerzen, Kopfschmerzen und Herzrhythmusstörungen wurde mir ein Defibrillator implantiert. Drei Wochen später ging ich wieder arbeiten. Und drei Monate später kehrte ich der Klinik den Rücken zu und wurde Hausärztin.
Dort fand ich meine Nische, denn als Allgemeinmediziner hat man alle Fachrichtungen zu bedienen, Menschen von jung bis alt, man kann ein bisschen schnibbeln und viel reden.
Aktuell lebe ich geschieden mit meinen beiden Kindern in einer Wohnung auf dem Land, nicht weit von meiner Arbeitsstelle entfernt, die ich als angestellte Ärztin in einer großen Praxis habe. Mit wunderbaren Chefs und vielen lieben MFAs (Medizinischen Fachangestellten) bearbeiten wir als eine klassische Landarztpraxis das gesamte Spektrum der Allgemeinmedizin. Mein Leben kommt dem Landarzttraum schon recht nahe: Ich habe trotz Mietwohnung einen großen Garten, in dem ich passioniert mein Gemüse züchte, viel Platz und durch Feldrandlage unmittelbaren Zugang zu Feld und Wald. Wenn ich träumen könnte, hätte ich irgendwann mal ein altes, renoviertes Bauernhaus, natürlich auch mit großem Gemüsegarten, viel Platz für meine Kinder und mit...
Erscheint lt. Verlag | 1.3.2021 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Arztgeschichten • Ärztin • Arztpraxis • Dorf • Erfahrungen und wahre Geschichten • Erfahrungsbericht • Gesundheit • Gesundheitspolitik • Gesundheitssystem Deutschland • Gesundheitswesen in Deutschland • Krankenkassen • Krankheit • Landärztin • landärztliche Versorgung • Medizin • Patienten • Pflegenotstand • Provinz • Sprechstunde • Verhältnis Arzt Patient • wahre Begebenheit Buch • Wahre GEschichte • wahre geschichten bücher |
ISBN-10 | 3-426-45959-0 / 3426459590 |
ISBN-13 | 978-3-426-45959-1 / 9783426459591 |
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Größe: 912 KB
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