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Drei Sommer -  Margarita Liberaki

Drei Sommer (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
388 Seiten
Arche Literatur Verlag AG
978-3-03790-132-8 (ISBN)
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Maria (20), Infanta (18) und Katerina (16) leben in den 1930ern auf einem Landgut in der Nähe von Athen und teilen alle Geheimnisse miteinander. Dabei könnten die Schwestern unterschiedlicher nicht sein: Maria ist ständig in einen anderen Jungen verliebt, Infanta widmet sich lieber ihren Stickereien, und Katerina will als Schriftstellerin die Welt bereisen. Jeder Sommer, der vergeht, führt die Lebenswege der drei in unterschiedlichere Richtungen. Besonders Katerina löst sich immer mehr aus dem Familienverbund und blickt hinter die Fassaden der ländlichen Idylle. Dabei gibt ihr vor allem das einsame Leben ihrer geschiedenen Mutter Anna große Rätsel auf. Der Versuch, diese zu lösen und sich dabei nicht von der ersten ohnmächtigen Liebe vereinnahmen zu lassen, stellt Katerina schließlich vor eine brennende wie zeitlose Frage: Muss ich als Frau auf Liebe und Familie verzichten, um selbstbestimmt und freiheitlich zu leben?

Margarita Liberaki, geboren 1919 in Athen, wuchs bei den Großeltern auf, die einen renommierten Verlag und eine Buchhandlung führten. Liberaki studierte Jura, widmete sich dann aber dem Schreiben. 1945 erschien ihr erster Roman; ?Drei Sommer? folgte ein Jahr später und wurde ein Bestseller. Liberaki heiratete den Jurist und Autor George Karapanou, nach der Geburt ihrer Tochter ließ sie sich jedoch scheiden und zog nach Paris, das Kind blieb bei den Großeltern in Griechenland. In Paris machte Margarita Liberaki die Bekanntschaft von Jean-Paul Sartre sowie Albert Camus, der zu ihrem großen Bewunderer und Unterstützer wurde. Es entstanden ein weiterer Roman sowie Theaterstücke und Übersetzungen. Liberaki kehrte bis zu ihrem Tod im Jahre 2001 immer wieder nach Athen zurück. Margarita Liberaki gehört zu den wichtigsten griechischen Autorinnen des 20. Jahrhunderts. ?Drei Sommer? ist auch heute noch der beliebteste Klassiker der modernen griechischen Literatur - und das ist nicht verwunderlich: Liberakis eleganter Stil ist betörend, ihre Themen rund um die Herausforderungen weiblicher Lebenswege sind inspirierend und aktuell.

Margarita Liberaki, geboren 1919 in Athen, wuchs bei den Großeltern auf, die einen renommierten Verlag und eine Buchhandlung führten. Liberaki studierte Jura, widmete sich dann aber dem Schreiben. 1945 erschien ihr erster Roman; ›Drei Sommer‹ folgte ein Jahr später und wurde ein Bestseller. Liberaki heiratete den Jurist und Autor George Karapanou, nach der Geburt ihrer Tochter ließ sie sich jedoch scheiden und zog nach Paris, das Kind blieb bei den Großeltern in Griechenland. In Paris machte Margarita Liberaki die Bekanntschaft von Jean-Paul Sartre sowie Albert Camus, der zu ihrem großen Bewunderer und Unterstützer wurde. Es entstanden ein weiterer Roman sowie Theaterstücke und Übersetzungen. Liberaki kehrte bis zu ihrem Tod im Jahre 2001 immer wieder nach Athen zurück. Margarita Liberaki gehört zu den wichtigsten griechischen Autorinnen des 20. Jahrhunderts. ›Drei Sommer‹ ist auch heute noch der beliebteste Klassiker der modernen griechischen Literatur – und das ist nicht verwunderlich: Liberakis eleganter Stil ist betörend, ihre Themen rund um die Herausforderungen weiblicher Lebenswege sind inspirierend und aktuell. Michaela Prinzinger, Jahrgang 1963, studierte Byzantinistik, Neogräzistik und Turkologie/Islamwissenschaft in Wien. Seit 1995 arbeitet sie als freie Autorin, Dolmetscherin und Übersetzerin aus dem Griechischen. Sie hat u. a. P. Markaris, R. Galanaki, M. Stefanopoulou und I. Karystiani ins Deutsche übertragen.

II Das Haus von Doktor Parigoris


Es ist ein heißer Tag, kein Blatt rührt sich, und der Geist ist, genau wie Leib und Seele, träge. Wir versuchen den Dingen, die uns umgeben, Sinn zu verleihen. Ich gehe zu den Kühen, die mich anblicken, als sähen sie mich zum ersten Mal. Dann zu den Hühnern, die sich vergeblich um mich scharen, weil sie Brotbröckchen von mir erwarten. Dann zu Romeo, Infantas Lieblingshengst, der mir die Kruppe zuwendet. Auch Mavroukos’ sonst so kühler Grabstein glüht. Mein alter Liebling würde heute schwitzen. Der Sommer war ihm immer zu heiß, seine Zunge hing ellenlang heraus, er hechelte, und sein Bulldoggengesicht nahm einen tragischen Ausdruck an. Dann stellte er sich an den Zisternenrand und wartete, bis ich ihm einen Schubs gab. Allein traute er sich nicht.

Durch die halb offene Tür zum Esszimmer sehe ich, wie Mutter den Tisch deckt. Diese Aufgabe erledigt sie immer selbst und mit größter Sorgfalt. Sie legt das Besteck so sanft hin, als wäre es aus Glas, sie hält die Abstände millimetergenau ein, in die Mitte kommt der Salzstreuer – Pfeffer ist, da schädlich für die Gesundheit, von Großpapa verboten –, und dann legt sie das geschnittene Brot ins Körbchen. Beim Tischdecken wirkt sie konzentriert, als studierte sie aufmerksam jede ihrer Bewegungen. Ihr ganzer Körper wird sichtbar mit dem schwarz glänzenden, im Nacken zu einem schweren Knoten zusammengebundenen Haar.

»Mutter …«

Ihre Taille ist nicht mehr so schlank wie früher, auch ihre Hüften sind runder geworden. Obwohl ihre Wangen etwas blass sind, wirkt sie immer noch jung und schön.

»Hast du mich erschreckt!«, ruft sie aus. »Wann bist du hereingekommen? Ich hab dich gar nicht bemerkt.«

Und als sie meine nackten Füße sieht: »Wieder barfuß? Wo hast du deine Sandalen?«

Ich erkläre ihr, dass ich im Garten gegossen habe und dann bei den Kühen, den Hühnern und Romeo war. Mavroukos’ Grab erwähne ich nicht.

»Heute weiß ich gar nichts mit mir anzufangen, Mutter. Ich fühle mich so …« Meine Stimme zittert.

»Bist du krank?«

Ich lege mich bäuchlings auf die Chaiselongue. Sie kommt und legt mir die Hand auf die Stirn. Ich wünschte, sie würde mich in den Arm nehmen, mich an die Brust legen und stillen wie ein Baby. Sie sieht doch, dass ich nicht krank bin. Warum fragt sie? Wenn sie wirklich wissen wollte, was los ist, würde ich es ihr erzählen. Die Frage liegt ihr schon auf der Zunge, ihre Stimme wird wärmer und liebevoller, aber dann stockt sie. Zwischen uns stand schon immer ein angstvolles Zögern. Wir können einander unsere Geheimnisse nicht enthüllen, selbst wenn wir gar keine haben.

»Wahrscheinlich warst du zu lang in der Sonne«, sagt sie schließlich.

Wie schade, Mutter, ich hätte dir so gern vom Land der Houyhnhnms, von Mavroukos’ Grab und auch davon erzählt, was ich vom Nussbaum aus alles sehen kann.

»Rodia!«, ruft sie. »Eine Limonade für Katerina!«

Sie wirft einen letzten Blick auf den Esstisch und korrigiert die Position eines Messers, das weiter entfernt vom Teller liegt als die übrigen. Ein tiefer Seufzer dringt aus ihrer Brust. Da hat man Kinder und weiß nicht, was für Geheimnisse sie vor einem verbergen.

»Was hast du, Mutter?«

»Nichts.«

»Aber du hast doch geseufzt.«

»Nein, nur Luft geholt.«

Und kurz darauf: »Mir ist schleierhaft, warum du so überspannt bist. Ich frage mich, woher du das hast. Dein Vater und ich sind doch …«

»Und was ist mit der polnischen Großmama?«

Sie fährt herum, mit zornigem und keineswegs mütterlichem Blick.

»Du wagst es!«

Das Blut ist ihr in den Kopf geschossen.

»Ja und abermals ja!«, rufe ich. »Ihr alle hier hasst sie. Ich bin die Einzige, die sie mag. Weil sie schön war, weil sie anders Musik gespielt hat als du, weil sie querfeldein galoppiert ist.«

Ich zapple auf der Chaiselongue wie ein junges, unbändiges Fohlen. Meine Unterlippe zittert vor lauter Nervosität. Mutter wird kreidebleich. Vielleicht denkt sie jetzt, sie hätte sich umsonst aufgeopfert, sie hätte wieder heiraten, sie hätte ihr Leben selbst in die Hand nehmen sollen. Und diejenigen, um derentwillen sie geblieben ist, bewundern die andere, die sich aus dem Staub gemacht hat.

Sie tut mir leid. Am liebsten würde ich ihr die Hände küssen, Danke und nochmals Danke sagen.

»Katerina, komm her«, wispert sie. »Setz dich zu mir, du kennst doch die ganze Geschichte. Man soll seine Eltern nicht kritisieren, aber die polnische Großmama war keine gute Mutter. Sie ist mit einem fremden Mann durchgebrannt und mit ihm, ohne ein Zuhause, ohne eine Heimat zu haben, durch die Welt gezogen.«

»Aber sie war frei und glücklich.«

»Das weiß man nicht. Komm, beruhig dich, Kleines. Morgen habe ich die Schneiderin für dein gelbes Kleid zur Anprobe bestellt.«

Sie streicht mir übers Haar und gibt mir einen Kuss. Aber ich darf nicht klein beigeben.

»Ich jedenfalls mag sie«, sage ich. »Und nichts kann mich davon abbringen.«

In diesem Moment läutet es unten an der Tür. Es ist Leda, Marios’ kleine Schwester.

»Ich hab eine Nachricht für euch!«, sagt sie. »Marios lädt euch alle drei für nächste Woche ein. Die Einladung soll ich aber nur Maria persönlich übergeben. Das wird schön!« Dann flüstert sie, mit ihren knapp dreizehn Jahren, mir vertraulich an der Haustür zu: »Es werden auch große Jungen dabei sein, Kommilitonen von Marios.«

Das Haus der Familie Parigoris war das letzte in der Leoforos Anixeos. Groß und zweistöckig stach es unter den anderen Häusern hervor. Im Gegensatz zu ihnen gab es dort keine Nutztiere, weder Gemüsegarten noch Obstbäume. An der Nordseite stand eine Reihe von Zypressen, die als Windfang dienten, im Garten waren Mimosensträucher, Akazien und die unterschiedlichsten Blumen gepflanzt. Im vorderen Teil lag ein riesiges, rundes, kurz getrimmtes Rasenbeet von sattem Grün, aus dessen Mitte strahlenförmig sechs Reihen mit roten, weißen, rosafarbenen, gelben, pfirsichfarbenen und ganz bestimmten anderen Rosen ausgingen, deren Farbe man nur schwer beschreiben konnte. Sie erinnerte an hellen Tee oder an Wolken, die lange nach Sonnenuntergang vergessen am Himmel zurückbleiben.

Gleich zwei Jahre hintereinander waren Frau Parigoris Rosen bei der Gartenschau in Kifissia prämiert worden. Einmal hatte sie einen exotischen Kaktus präsentiert, groß wie ein Kindergesicht, das aussah, als würde es eine monströse Grimasse ziehen. Frau Parigori liebte Pflanzen und die Gartenarbeit, und sie liebte es, das Haus mit Blumen zu schmücken. Herr Parigoris wiederholte gern in scherzhafter Weise, er habe sich in seine Frau verliebt, als er sie beim Arrangieren eines Blumenstraußes beobachtete. Keiner ahnte, dass es die Wahrheit war. Sie waren bei gemeinsamen Freunden eingeladen, als ihm ihre Hände mit den langen, blassen Fingern auffielen, die mit sachten, sparsamen Bewegungen einen Bund Zyklamen in einer flachen Glasschale verteilten und deren aschgrüne Stängel ins Wasser tauchten. Immer wieder wanderte sein Blick zu diesen Fingern, die aussahen wie ein im Meer schwimmender Frauenkörper. Einen Monat später hielt er um ihre Hand an. Laura war überrascht. Sie liebte ihn nicht, kannte ihn nicht einmal näher. Doch ihre Mutter beharrte: »Er ist reich, er hat eine Zukunft, und er ist anständig. Ebenbürtig ist er uns zwar nicht …« Die Montelandis hielten sich zugute, dass sie zu den vornehmsten Familien der Ionischen Inseln zählten. »Leute unseres Standes wollen eine Mitgift sehen, und die hast du nicht.«

So wurde Laura seine Frau. Er bot ihr Zuneigung und ein bequemes Leben, sie brachte ihre Kontakte in die besseren Kreise und ihre zartgliedrigen, blassen Finger mit in die Ehe. Und die Kombination gelang. Nach kaum drei Jahren war Parigoris der bekannteste Arzt in ganz Athen. Er arbeitete hart und pendelte zwischen Krankenhaus, Hausbesuchen und Vorstandssitzungen hin und her. An den Abenden kehrte er bei Sonnenuntergang gern nach Hause aufs Land zurück, setzte sich in seinen Lehnstuhl, im Winter vor dem Kamin, im Sommer auf der Veranda, rauchte mit tiefen Zügen seine Zigarette und genoss das Zusammensein mit seiner Frau. Als Marios geboren wurde, änderte sich sein Glück. Lauras Stimme und Gesten drangen wie aus weiter Ferne zu ihm, doch die weinerliche Stimme des Sohnes, seine ersten Schritte waren seinem Herzen ganz nah. »Was für ein lieber Junge«, flüsterte er. »Der liebste Junge auf der ganzen Welt«, hörte er auch die Stimme seiner Frau sagen. Fast ärgerte er sich darüber, nur er allein durfte so etwas denken und aussprechen.

In der ersten Zeit ihrer Ehe ging Laura ganz in der Beziehung zu Giannis und im Haushalt auf. Danach wurden die Tage immer schwerer zu ertragen. Am Morgen ein wenig Lektüre, eine Stickerei, ein Blick auf die Blumen, aber die Nachmittage und die Abende zogen sich hin.

Marios kam zur rechten Zeit. Als sie sein Klopfen spürte wie einen ersten Gruß, sah sie einen langen, schnurgeraden und steinigen Weg ohne irgendeine Gabelung vor sich. Bis dahin lag die Erinnerung an ihre Jahre im Elternhaus, an die ersten Männerblicke in einem fahlen Licht, als hätte sie sich noch nicht entschieden, ob sie diesen Weg gehen wollte oder nicht. Es war Karfreitag, als sie Marios’ Botschaft im fünften Monat ihrer Schwangerschaft spürte. Die Glocken der nahe gelegenen Marienkirche verkündeten den Tod Christi. Sie lehnte sich aus dem Fenster und betrachtete den schweren Himmel. Immer war es bewölkt am Karfreitag, das konnte kein Zufall sein. Da spürte sie plötzlich das dumpfe Klopfen. Sie beugte sich über ihren Bauch, legte die Hände sanft, aber mit Nachdruck darauf, und da...

Erscheint lt. Verlag 18.3.2021
Übersetzer Michaela Prinzinger
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bestseller • Beziehung • Entdeckung • Ferrante • Frauen • Griechenland • Klassiker • Literatur • Schwestern • Sommer
ISBN-10 3-03790-132-2 / 3037901322
ISBN-13 978-3-03790-132-8 / 9783037901328
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