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Ferien am Waldsee - Carl Laszlo

Ferien am Waldsee (eBook)

Erinnerungen eines Überlebenden

(Autor)

Albert C. Eibl (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage 2020, Mit einem Geleitwort herausgegeben von Albert C. Eibl. Mit einem Nachwort von ...
DVB Verlag
978-3-903244-08-5 (ISBN)
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Carl Laszlo, geboren 1923 in Pécs, gestorben 2013 in Basel, war ein ungarisch-jüdischer Sammler, Kunsthändler, Psychoanalytiker, Literat und Lebemann. Nach einer sorgenfreien Kindheit in großbürgerlichem Ambiente und einem angefangenen Medizinstudium wird er 1944 mit seiner gesamten Familie nach Auschwitz deportiert. Nach seiner Befreiung bei Kriegsende flieht er nach Basel, wo er schnell eine neue Heimat findet. In den darauffolgenden Jahren studiert Laszlo Psychoanalyse bei Leopold Szondi, zieht kurzzeitig zu Allen Ginsberg und William S. Bourroughs nach New York, gründet Zeitschriften und schreibt Aufsehen erregende Theaterstücke und Manifeste. Durch Hans Arp inspiriert, gründet er 1962 eine Kunstgalerie in Basel, die schnell zu einem Drehkreuz des internationalen Kunsthandels und Jet-Sets avanciert. Christo und Andy Warhol geben sich hier ebenso die Klinke in die Hand, wie Patricia Highsmith und der Dalai Lama. Neben seinen zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Erinnerungsbänden 'Ferien am Waldsee' (1955) und 'Der Weg nach Auschwitz' (1987) zeugt seine nahezu 15.000 Exponate umfassende Sammlung, die Werke von René Magritte, Otto Dix, Andy Warhol und Salvador Dalí enthält, für die herausragende Bedeutung seines weitverzweigten Lebenswerks.

MENGELE KOMMT


»Und die sieben Engel mit den sieben Posaunen hatten sich gerüstet zu posaunen. Und der erste Engel posaunte; und es ward ein Hagel und Feuer, mit Blut gemengt, und fiel auf die Erde...«

Die Offenbarung des Johannes 8, 6-7

Im Konzentrationslager kam man meistens in der Nacht an. Wir mussten aus den Eisenbahnwagen aussteigen, standen auf einer Rampe – und schon wurden die Frauen von den Männern getrennt. Alle wurden von SS-Leuten vorwärts getrieben. Zur Seite brannten mehrere große Feuer. »Es werden wohl, aus hygienischen Gründen, die Kleider verbrannt«, dachten wir damals beim Anblick der Krematorien. Es war ziemlich dunkel auf der Rampe, man verlor leicht seine Angehörigen im großen Tumult, es ging alles sehr rasch vor sich, und man wurde ständig nur immer vorwärtsgejagt. Nach einigen Minuten hielt die Kolonne an einem beleuchteten Ort. Dort saß ein hoher, elegant und sauber gekleideter junger SS-Offizier, ein gutaussehender Mann, mit dunklen, vor sich hinstarrenden Augen und zusammengepressten Lippen, in aufrechter, etwas steifer Haltung, und dirigierte mit seinem rechten Zeigefinger die Vorbeigehenden einmal nach rechts, einmal nach links – die meisten nach links. Ich wurde mit wenigen anderen nach rechts kommandiert, unser Weg führte ins Bad; die anderen verloren wir aus den Augen. – So war die Ankunft. Wir wussten nicht, dass Dr. med. Mengele, der junge SS-Mann, der gelangweilt dort gesessen hatte, mit seinem Zeigefinger die Kandidaten für die Gaskammern nach links geschickt hatte.

Die Liquidierung der Häftlinge war in den Konzentrationslagern den SS-Ärzten übertragen. Ihre Aufgabe beschränkte sich auf zwei Dinge: einmal auf die sofortige Vernichtung der großen Masse der Ankommenden, bestehend in erster Linie aus Kindern und älteren Leuten, schwangeren Frauen und Kranken; diesem Zwecke dienten in den letzten Jahren des deutschen Konzentrationslagerbetriebes und in den technisch ausgebauten Lagern die Gaskammern und Krematorien; zum anderen bestand die ärztliche Tätigkeit dieser SS-Offiziere in der weiteren Ausrottung derjenigen, die durch das erste Sieb durchgeschlüpft waren. Dieses zweite Vernichtungssystem innerhalb des Lagers baute sich wieder auf zwei Faktoren auf: auf den schlechten Lebensbedingungen, dem Fehlen von ausreichender Nahrung und Kleidung und auf dem gegenseitigen Kampf ums Dasein der Häftlinge. Die prekären Lebensbedingungen haben ihrerseits schon sehr viel zur Schaffung einer Kampfsituation, durch die fast unmögliche Erreichbarkeit der seltenen Güter, beigetragen. Dieser Kampf wurde von seiten der SS-Leute nicht nur in keiner Weise eingeschränkt, sondern entschieden unterstützt, im besten Falle wohlwollend geduldet. Im Lager waren diesseits des elektrisch geladenen Stacheldrahtes größte soziale Unterschiede zu finden. Zwar war den SS-Leuten gegenüber jeder Häftling nicht mehr als irgendein Schlachtvieh – oder eher weniger –, untereinander bestand eine raffiniert ausgebaute Hierarchie, deren Spitzen häufig wechselten. Es gab innerhalb des Lagers Stellungen, wie die des Lagerältesten, die fast unbeschränkte Macht bedeuteten, ferner vorzügliches Essen, elegante – in gewissen Fällen nach eigenem Geschmack verfertigte – Kleider, Alkohol, Frauen auf Schleichwegen. Diese Stellungen währten solange, als die SS-Leute nicht unzufrieden wurden, das Lager nicht aufgelöst wurde und die Intrigen von Seiten anderer Häftlinge nicht zum Erfolg führten. Eine ähnliche Stellung wie die des Lagerältesten hatten die Kapos (Abkürzung von Kameradschaftspolizei! ). Meistens waren sie mit Stöcken bewaffnet. Sie waren die Stützen der inneren Ordnung im Lager, ihre Dienste nahmen die SS-Leute besonders bei Zwangsarbeiten und bei der Zusammenstellung von Transporten für die Gaskammern und für andere Lager in Anspruch. Alte Häftlinge erzählten, dass der Einfluss der Kapos früher noch viel größer gewesen sei, zu den Zeiten, als sie noch so viele Lebensmittelportionen erwerben konnten, wie sie Häftlinge am Tag totgeschlagen hatten. Weitere »Staatsangestellte« waren: der Lagerschreiber und die Blockschreiber, die hauptsächlich beim Appell, dem täglichen zweimaligen Abgezähltwerden ihre Funktionen hatten; das Küchenpersonal, das im Überfluss zu essen gehabt hätte, wäre von der zehnstündigen Arbeit täglich im Dampf der Appetit nicht gänzlich vergangen; die Magaziner, die die schönsten Kleider hatten und sich dafür auch Lebensmittel eintauschen konnten; dazu kam der sogenannte Krankenbau, der erst im letzten Jahr des Krieges errichtet wurde und zur Aufnahme schwacher und erkrankter, zur Vergasung bestimmter Häftlinge diente.

Die große und fast ausschließliche Möglichkeit, zu überleben, lag in der Eroberung dieser Posten. Die Mehrzahl der Häftlinge strebte mit aller Kraft, List und Ausdauer nach ihnen. Die Mehrzahl der Häftlinge, denn die dazu aus Schwäche oder aus Moralität Unfähigen waren meistens nicht mehr am Leben. Auch in dieser Hinsicht gab es natürlich einzelne wenn auch sehr spärliche Ausnahmen – so den Dr. Heller aus Berlin, der seine Machtposition zur Rettung von anderen Häftlingen »missbrauchte«. Es gab mancherlei Ausnahmen. Ich sah im Lager, am jüdischen Versöhnungstag, fastende Judenknaben aus Ruthenien. Sie gehörten zu den seltenen Ausnahmen, die im Lager noch religiöse Vorschriften befolgten. Auch gab es in den Lagern Gruppen von Russen, Polen, Kommunisten, die eine gewisse innere Ordnung aufgerichtet hatten, allerdings kam diese Ordnung hauptsächlich den Angehörigen der jeweiligen Gruppe zugute. Ich traf einen ungarischen Journalisten im Lager, er hieß von Barankay, der mit viel Mühe einen zuckerkranken Knaben durch alle Lebensgefahren hindurch zu retten versuchte und erklärte, dies sei eine doppelt schöne und schwierige Aufgabe. Manche fanden Gefallen an hübschen zarten Jungen und wendeten ihnen viel Liebe und Sorgfalt zu. Gelegentlich versuchte man namhafte Leute aus Eitelkeit und Berechnung zu retten. Dies führte dann hie und da zu komischen Situationen, wie im Falle eines nicht besonders bekannten, ehemaligen ungarischen Abgeordneten namens Fabian, der sich vor den anderen Häftlingen als Minister ausgab, es mit viel Klage und dunkelsten Machenschaften zu wichtigen Posten im Lager brachte und zu einem der unangenehmsten und gemeinsten Lagerfunktionäre wurde.

Die Lagerleitung betrieben die SS-Leute eher von außen her und betraten das eigentliche Lagergebiet kaum. Eine Ausnahme bildete einer der SS-Ärzte, ein früherer Student des bekannten Professors Epstein an der deutschen Universität in Prag, der täglich ins Lager kam und sich von Epstein – den er hier zum Häftlingsleiter des Krankenbaus ernannt hatte, und der seine Vorzugsstellung tüchtig missbrauchte – persönliche Vorlesungen über Kinderheilkunde geben ließ.

Unter allen SS-Ärzten spielte Dr. Mengele, der uns schon bei der Ankunft auf der Rampe erwartet hatte, eine ganz besondere Rolle. Dieser, angeblich aus der Gegend von Stuttgart stammende, auffallend schöne Mann, der sogar auf die Häftlingsfrauen eine lähmend-faszinierende Wirkung ausübte, hatte einen großen Teil der Mord-Initiative an sich gerissen. Wie ein Todesengel war er unermüdlich im Töten und Zertreten; überall wo die Menschenvernichtung vor sich ging, war er anwesend. Er stand auf der Rampe und schied mit seinem Zeigefinger – wie ein Postbeamter seine Briefe sortiert – Tote von Weiterlebenden. Im Krankenbau und in den Baracken der Jugendlichen trennte er unermüdlich diese ewigen zwei Gruppen, immer nach links und nach rechts weisend, ohne Erbarmen, ohne Mitleid, ohne ein Zucken der Augenwimpern.

Mengele kam jede Woche mehrmals in unser Lager. Seinem Kommen eilte meistens die Nachricht voraus: »Mengele kommt!«. Sie verbreitete sich schlagartig im ganzen Lager. »Mengele kommt« genügte, um bei allen Lagerinsassen, ganz besonders aber im Krankenbau, entsetzliche Angst hervorzurufen. »Mengele kommt« war gleichbedeutend mit: »der Tod naht«, oder: »die letzte Stunde hat geschlagen«, oder auch: »alles war umsonst«. Bis zu seinem Gehen war niemand von den Häftlingen in Sicherheit. Es konnte passieren, dass er den Häftlingsarzt, der die Kranken vorstellte, aus einer Laune heraus mit in die Gaskammern schickte. Es war keine Seltenheit, dass er die Kapos, die mit Schlägen die Todeskandidaten auf die Lastwagen hinaufzwingen mussten, auch auf die Wagen jagte.

Mengele kam meistens allein ins Lager; von weitem schon sah man seine hohe, schlanke Gestalt. Er ging mit regelmäßigen Schritten durch das Lager, mit einem einzigen Revolver am Gürtel bewaffnet. In allen Blöcken wurde geflüstert: »Mengele kommt«; jeder versuchte ihm auszuweichen, die Kranken und die Jugendlichen zitterten in ihren Baracken. Mengele kam mit unbewegtem Gesicht. Seine schönen, regelmäßigen, wie aus Stein gemeißelten, kalten Züge schienen die Maske des Todes selber zu sein. Mit seinen glänzenden Stiefeln schritt er wie im Takt auf der Lagerstraße. Er kam fast nie in Begleitung. Es war ein – nachträglich – unfassbares Phänomen, dass niemand Mengele angegriffen hat. In die Köpfe der vielen Tausend Gefangenen kam niemals der Gedanke, ihn totzuschlagen, so groß waren Faszination und Schauer, so lähmend wirkten die Worte »Mengele kommt«. Dem Gerücht folgte er bald selber, schritt zum Block, wo er seine Selektion abhielt; er war so ruhig und selbstsicher, als würde er lediglich dem Befehl einer höheren Instanz folgen. Es konnte der Block der Jugendlichen sein, wo er die Vierzehn-, Sechzehnjährigen nackt an sich vorbeilaufen ließ. Die Mageren nach links, die anderen nach rechts weisend, stand er aufrecht da, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, magere Knaben in Gaskammern zu schicken. Meistens kam er zum Krankenbau, in wenigen Minuten mussten...

Erscheint lt. Verlag 1.11.2020
Nachwort Alexander von Schönburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Romane / Erzählungen
Geschichte Allgemeine Geschichte 1918 bis 1945
Schlagworte Auschwitz • Autobiographie • Fiktionalisierte Erinnerungen • Holocaust • Konzentrationslager • Nationalsozialismus • Überlebensbericht • Widerstand
ISBN-10 3-903244-08-2 / 3903244082
ISBN-13 978-3-903244-08-5 / 9783903244085
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