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Die Republik der Träumer (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021
464 Seiten
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
978-3-446-26985-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Republik der Träumer - Alaa al-Aswani
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Hoffnung, Aufbegehren, Scheinheiligkeit und Unterdrückung - Der große Roman über die ägyptische Revolution zum 10. Jahrestag des Arabischen Frühlings
Kairo, 25. Januar 2011, 25.000 Menschen demonstrieren gegen Mubarak. Sie träumen von der großen Veränderung, doch während in der euphorischen Menge Liebesbeziehungen aufblühen, wird der Bürgerrechtler Khaled vor den Augen aller ermordet. Seine Freundin Dania will ihren Widerstand nicht aufgeben - und sei es gegen den eigenen Vater, den bigotten Geheimdienstchef, der islamische Werte predigt und heimlich Pornos schaut. Al-Aswanis Figuren verkörpern in diesem mitreißenden Buch, das in Ägypten verboten wurde, alle Facetten der Revolution, die für jede von ihnen einen Wendepunkt in ihrem Schicksal bedeutet. Ein unvergessliches Porträt der modernen ägyptischen Gesellschaft.

Alaa al-Aswani, 1957 geboren, ist Zahnarzt, Journalist und Schriftsteller und lebt im Exil in New York. Er beteiligt sich aktiv an der Oppositionsbewegung 'Kifaya', die das Leid Ägyptens den korrupten Eliten zuschreibt und den Staat und die religiösen Autoritäten herausfordert. Sein Roman Die Republik der Träumer wurde in Ägypten verboten. In deutscher Übersetzung erschienen bereits seine Romane Der Jakubijan-Bau (2007), Chicago (2008) und Der Automobilclub von Kairo (2015).

1


Generalmajor Ahmed Alwani braucht keinen Wecker.

Kaum dass der Ruf zum Morgengebet ertönt, wacht er von alleine auf. Mit offenen Augen bleibt er noch eine Weile im Bett liegen und spricht flüsternd die Worte des Gebetsrufs mit, erhebt sich dann und geht ins Bad, vollzieht schnell die rituelle Waschung und kämmt sein (bis auf zwei schmale, parallele graue Streifen, die er an beiden Schläfen hat stehen lassen) sorgfältig schwarz gefärbtes Haar, zieht dann seinen eleganten Trainingsanzug an und begibt sich zur benachbarten Moschee. Der Kommandant seiner Leibwache hat ihn schon mehrfach gedrängt, doch eine Moschee im Inneren seiner Privatvilla einrichten zu lassen, was seinen Schutz merklich erleichtern würde, doch Generalmajor Alwani hat stets abgelehnt, denn er liebt es, unter Leuten zu beten wie ein ganz gewöhnlicher Sterblicher. Zu Fuß überquert er die Straße, umringt von vier Leibwächtern, die mit entsicherter Waffe den Weg sondieren, bereit, jeden Augenblick das Feuer zu eröffnen. Am Portal der Moschee trennen sie sich, zwei bleiben draußen, während die anderen beiden in der Moschee über ihn wachen, da er sein Gebet verrichtet. In diesen leuchtenden, gesegneten Augenblicken verabschiedet sich Generalmajor Alwani in eine andere Welt, wird von einem Gefühl tiefer, aufrichtiger Demut übermannt, sieht weder seine Leibwächter noch die anderen Betenden, denkt nicht an sein Amt, seine Kinder oder Gattin, trägt seine Schuhe unter dem Arm wie jeder andere Beter auch, geht gesenkten Hauptes, bis er eine weit entfernte Ecke erreicht hat, wo er die beiden Gebetsformeln zur Begrüßung der Moschee betet, dann die beiden Rak’a der Morgenpflicht, dann das Gebet der Lobpreisungen und das Bittgebet für die Vergebung, ehe das gemeinschaftliche Gebet beginnt. Trotz des Drängens der anderen Frommen hat es Generalmajor Alwani stets abgelehnt, als ihr Vorbeter zu fungieren, und besteht darauf, sein Gebet in der hintersten Reihe zu verrichten. Demütig hält er den Kopf gesenkt und oft kommen ihm die Tränen, wenn der Imam mit seiner wohlklingenden Stimme die Verse des Korans rezitiert. Das Gebet befreit ihn und gibt ihm das Gefühl, ein neuer Mensch zu sein. Es reinigt seinen Geist und vertreibt die Sorgen, lässt ihn eine innere Ruhe empfinden, als sei das Gebet ein Schluck kühlen Wassers, der ihm gereicht wird in der Gluthitze des Sommers. Die Welt wird unbedeutend in seinen Augen und erscheint ihm weniger wert als ein Mückenflügel. Er wundert sich über den täglichen Kampf der Menschen um Vergünstigungen und Annehmlichkeiten und ihre Gier nach flüchtigen Genüssen. Wozu dieses verbissene Ringen und Konkurrenzdenken, und was nützen all die Verlogenheit, der Neid und die Intrigen? Sind wir nicht alle vergänglich? Werden wir nicht eines Tages für immer in der feuchten Erde ruhen und werden nicht unsere Seelen zu ihrem Schöpfer aufsteigen, der uns für unsere Taten zur Rechenschaft zieht?

Am Jüngsten Tag wird uns weder Ansehen noch Geld nützen, wird uns nichts als das rechtschaffene Tun erretten.

Seit achtundfünfzig Jahren schon lebt Seine Exzellenz, Generalmajor Alwani, gläubig und bekennend, versäumt weder Pflichtgebete noch traditionelle Ritualgebete, unternimmt keinen Schritt im Leben, ehe er sich nicht vergewissert hat, dass dieser nach religiösem Recht auch zulässig ist. Sein Lebtag hat er noch keinen Tropfen Alkohol getrunken oder einen Zug Haschisch inhaliert. Er raucht überhaupt nicht und wohnt keiner Frau bei, außer im eigenen Ehebett. (Abgesehen allein von ein paar unreifen sexuellen Abenteuern in seiner Jugend, für die er Gott noch immer um Vergebung bittet.) Schon zweimal ist er, Gott sei gelobt, nach Mekka gepilgert und hat bereits dreimal die ‘Umra, die kleinere Wallfahrt, dorthin vollzogen, und über seine Wohltätigkeit an den Armen ließe sich lange reden. Zehn ganze Familien leben von monatlichen Zuwendungen, für die er aus eigener Tasche aufkommt. Als einer von ihnen ihm dafür danken will, lächelt General Alwani und flüstert:

»Aber nicht doch, mein Junge. Aus meiner Tasche habe ich dir gar nichts gegeben. Das Geld ist Gottes Gabe und ich bin nur sein Wächter. Doch bitte, Bruder, bezieh mich in dein Gebet mit ein, auf dass Gott mir vergibt.«

Im Gegensatz zu vielen, die in unserem Land eine gehobene Stellung innehaben, zieht es Generalmajor Alwani auch vor, von den Leuten mit dem religiösen Titel »Hagg« angesprochen zu werden, und nicht mit »Herr Generalmajor« oder »Pascha«. Nach dem Gebet kehrt er nach Hause zurück und nimmt wie gewöhnlich im geräumigen Salon auf einem bequemen Sofa Platz, um im Koran zu lesen. Er beginnt mit den beiden letzten Suren des Korans, den Versen der Zuflucht, und einigen weiteren kurzen Suren, liest dann so viel, wie ihm möglich ist, aus der Sure al-Baqara, die ja auch in der Überlieferung über den Propheten erwähnt wird: »Wer sie bei Tage in seinem Haus liest, den wird der Teufel drei Tage nicht heimsuchen.« Nach dem Lobpreis Gottes und der Bitte um Vergebung steigt Generalmajor Alwani die Treppe zu seinem Trakt im zweiten Stock hoch. Dort nimmt er ein heißes Bad, schlüpft dann nackt in den Bademantel und begibt sich in die winzige Küche, um sich eigenhändig sein Frühstück zuzubereiten: Zwei große Löffel von dem vorzüglichen Berghonig, mit dem der jemenitische Botschafter in Kairo ihn regelmäßig bedenkt, dazu eine Scheibe getoastetes Weißbrot, dick belegt mit Schweizer Käse, den er liebt, und zuletzt mehrere Pancakes mit Erdbeeren und Schokoladensauce. Dazu trinkt er einen riesigen Becher Tee mit Milch, gefolgt von einem gesüßten Mokka.

Und was tut der Generalmajor hernach?

Über das Erlaubte zu sprechen ist nicht unstatthaft: Generalmajor Ahmed Alwani gehört zu denen, die sich am Morgen gerne sexuell betätigen, eine Angewohnheit, die vielleicht auf seine vielen Nachtschichten und die Arbeit bis in die frühen Morgenstunden zurückzuführen ist. Schon sitzt er auf der Bettkante, während Hagga Tahani, seine Frau, noch tief und fest schläft. Er streckt die Hand nach der Fernbedienung aus und schaltet einen der Pornokanäle an, stellt die Lautstärke so ein, dass man sie außerhalb des Zimmers nicht hörte. Dann starrt er auf das Treiben auf dem Bildschirm, bis er nicht mehr imstande ist, die Sinnesreizung zu ertragen, streift den Bademantel ab, fällt über seine Frau her, küsst sie verlangend, erkundet ihren gewaltigen Körper und ist überrascht von ihrer sofortigen und erhitzten Reaktion. (Wahrscheinlich hat sie den Film schon unter der Decke mitverfolgt.) Die Rechtschaffenheit unseres Generalmajors Alwani und sein Leben ohne Ausschweifungen, seine militärische Ausbildung und der regelmäßige Sport, das Achten auf eine vollwertige Ernährung — all dies hat ihm (auch ohne Stimulanzien) seine Potenz bewahrt, und während er noch über Szenen aus dem Pornostreifen nachsinnt, turnt und tummelt er sich auf dem Bett, als wäre er höchstens vierzig.

Sicher wird mancher fragen: Wie kann ein gottesfürchtiger Muslim wie Generalmajor Alwani sich Pornos anschauen?

Eine Frage, die nur ein Ignorant stellen kann oder jemand, der missgünstig ist. Gewiss verpönt das religiöse Gesetz den Pornokonsum, doch zählt er nicht zu den schweren Vergehen wie Totschlag, Ehebruch oder der Konsum von Alkohol. Auch mag es gestattet sein, zuweilen etwas Verpöntes zu tun, wenn es den Gläubigen davon abhält, schwere Sünden zu begehen, ganz nach dem Grundsatz »der Zweck heiligt die Mittel«. Kraft seines Amtes als Chef des Inlandsgeheimdienstes hat Generalmajor Alwani tagtäglich mit den schönsten Frauen Ägyptens zu tun, die ihn in Beziehungen locken und seinen Einfluss ausnutzen wollen. Auch stellen ihm ausländische Geheimdienste oft verführerische Frauen in den Weg, um ihn zu erpressen oder Staatsgeheimnisse auszuspionieren. Alles dies sind ernste Gefahren, die ihm da auflauern, und im Kampf gegen die Versuchung berückend hübscher Frauen hat er nur seine verdienstvolle Ehefrau, die Hagga Tahani Talima, die auch schon die fünfzig überschritten hat und deren Gesicht von Falten zerfurcht ist, die aber eine Schönheitsoperation ablehnt, da sie ja im Islam verboten ist. Hagga Tahanis Körper ist wabbelig und hat reichlich Fett angesetzt — mittlerweile wiegt sie einhundertzwanzig Kilo — und ihr einen gewaltigen Bauch beschert, der unmittelbar unter ihren erschöpft herabhängenden Brüsten beginnt und seine größte Ausdehnung am Nabel erfährt, um alsdann nach unten hin abzufallen und so einen Halbkreis zu vollenden. Dieser einzigartige, beinahe männlich anmutende Bauch allein wäre ein Garant, um der Begierde des Generalmajors Alwani endgültig den Garaus zu machen, wären da nicht die Pornofilme. Seinen Freunden hat der Geheimdienstchef einmal anvertraut:

»Wenn du gezwungen...

Erscheint lt. Verlag 25.1.2021
Übersetzer Lemke Markus
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Jumhūriyyah kaʾan
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 21. Jahrhundert • Ägypten • Demokratie • Diktatur • Gerechtigkeit • Islam • Jugend • Kairo • Machfus • mahfuz • Militär • Mubarak • Muslimbrüder • Revolution • Romane • Tahrir
ISBN-10 3-446-26985-1 / 3446269851
ISBN-13 978-3-446-26985-9 / 9783446269859
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