Die großen Stücke (eBook)
408 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43813-1 (ISBN)
Euripides (ca. 480 v.Chr. - 406 v.Chr.) war ein Tragödiendichter im klassischen Griechenland. Er führte auf Salamis, fernab der Metropole Athen, das zurückgezogene Leben eines Gelehrten und Schriftstellers. Man weiß, dass er zweimal verheiratet war, drei Söhne hatte und mit Sokrates befreundet war. In der Geschichte des Dramas gilt er als Avantgardist, der die neuen Ideen seiner Zeit auf die Bühne brachte. So entfaltete sich seine Wirkung auch erst nach seinem Tod. Von seinem Werk überliefert sind 92 Stücke, 55 Fragmente, 17 Tragödien und ein Satyrspiel.
Euripides (ca. 480 v.Chr. – 406 v.Chr.) war ein Tragödiendichter im klassischen Griechenland. Er führte auf Salamis, fernab der Metropole Athen, das zurückgezogene Leben eines Gelehrten und Schriftstellers. Man weiß, dass er zweimal verheiratet war, drei Söhne hatte und mit Sokrates befreundet war. In der Geschichte des Dramas gilt er als Avantgardist, der die neuen Ideen seiner Zeit auf die Bühne brachte. So entfaltete sich seine Wirkung auch erst nach seinem Tod. Von seinem Werk überliefert sind 92 Stücke, 55 Fragmente, 17 Tragödien und ein Satyrspiel.
IV
eine DIENERIN
tritt auf
B
Aber da kommt eine dienerin, augen schwarz geweint.
A
Gute frau – dass man für seinen hausherren so mitzittert
ist völlig normal. Nun hör aber bitte auf zu weinen und sag:
ist Alkestis noch am leben? Oder ist sie schon gestorben?
DIENERIN
Sie lebt – und war dennoch schon lange tot.
C
Wie kann sie denn tot und gleichzeitig am leben sein?
DIENERIN
Ihr kennt wohl das haus und seinen herren nicht.
Aber jetzt kann sie es einfach nicht mehr länger ertragen.
Ihre arme hängen schlaff herab, vornüber gebückt, kopf
wie auf einen altar gelegt, mund weit offen, presst sie
das leben aus sich heraus – während er sie aufrecht hält.
C
Ach – unser armer herr! Was für ein guter ehemann –
und dann so eine frau zu verlieren! Seine ganze stütze!
DIENERIN
Wie gut sie wirklich ist, weiss er gar nicht.
Ich glaube, er erfasst überhaupt nicht, was da geschieht –
er wird es erst begreifen, wenn ers am eignen leibe spürt.
B
Es gibt also gar keine möglichkeit mehr, sie zu retten?
DIENERIN
Es ist zu spät. Sie trug diesen tag seit langem
mit sich herum – und irgendwie wirkt sie beinah erleichtert.
A
Heisst das, dass nun alles getan wird – wie es sich gehört?
DIENERIN
Das totenkleid, in dem ihr gatte sie bestatten wird
liegt samt all dem schmuck und den grabbeigaben für sie bereit.
A
Dann kannst du ihr ausrichten, dass ihr tod ihr ehre machen wird:
von allen frauen, die es auf der welt geben mag, ist sie weitaus die beste!
DIENERIN
Natürlich ist sie die beste! Das hat nie jemand in frage gestellt.
Oder kennt ihr etwa eine, die ihrem mann eine loyalere frau gewesen wäre?
Keine gattin hat mehr als sie bewiesen, dass sie den bund der ehe heiligt –
denn welche frau sonst ginge für ihren mann freiwillig in den tod??
Die ganze stadt weiss, was sie für ihn alles auf sich genommen hat –
aber erst wie sie die letzten stunden verbrachte, zeigt ihren charakter.
Heut, am tag ihres angekündigten todes, dem morgen ihres sterbens
ging sie beim ersten licht hinaus, um im fluss zu baden; sie tauchte
ihren so fahlen weissen körper in seinen klaren und breiten strom –
dann legte sie den schmuck um, den sie aus der zedergetäfelten
schatzkammer geholt hatte, und zog sich die schwere robe an
in der sie aufgebahrt werden wollte. Ruhige entschlossenheit
in ihrem gesicht, schritt sie darauf in die mitte des hauses
zum feuer, das nie ausgeht, die glut in die tiefe brennend
der rauch hoch zum himmel steigend, und betete am altar:
Hestia, herrin! Da ich heute unter die erde gehe
knie ich jetzt ein allerletztes mal vor dir und flehe:
nimm dich meiner kinder an, die nun waisen werden.
Ich kann ihnen weder eine braut noch einen bräutigam
mehr erwählen und ihnen auch keine hochzeit ausrichten:
darum lass meinen sohn einmal eine liebevolle frau finden
und meine tochter einen ehemann, der sie in ehren hält –
damit sie nicht wie ihre mutter schon zeit ihres lebens
in ihrem haus erstickt, um so hinzusiechen wie ich …
Schenk ihnen, anders als mir, alles glück dieser welt!
Danach trat sie auch vor all die anderen ältäre im innenhof
schmückte sie mit immergrüner myrte, duftenden zweigen
voller heller blüten, die sie selbst vom ast gebrochen hatte
und betete – doch ohne dass ihr ein laut über die lippen kam.
Keine träne lief ihr über die wange – ihr antlitz blieb bleich
wie es war – regungslos; nichts darin verriet ihr seelenleid.
Dann jedoch lief sie plötzlich in ihr schlafzimmer
warf sich auf das lager und verkrampfte sich dort weinend:
Dieses bett hier sah, dass ich meinem mann zuerst
die jungfräulichkeit, schliesslich das leben opferte.
Dennoch hasse ich ihn nicht – ich habe ihn geliebt
obwohl mich diese ehe mit ihm gebrochen hat …
Die schönste tochter meines vaters war ich einmal;
er wollte mich keinem lassen: Admetus hielt zwar
um meine hand an, erhielt sie aber nur dank Apollon
diesem gott, der ihm schon damals so gewogen war.
Dafür aber fand ich am abend meines hochzeitstags
die kammer voller schlangen, schwarz sich ringelnd.
Bis der tod euch scheidet – ja; dieses schwurs wegen
werde ich meinen gatten nicht verraten und sterben.
Bald wird eine andere frau auf diesen laken liegen
und mit ihm fröhlich ihre zukunftspläne schmieden:
weniger aufrecht als ich, dafür aber wohl glücklicher.
Sie sank auf den boden herab auf die knie, küsste das ehebett
und weinte so bitter, finger in den leinenen überwurf gekrallt
dass es dunkel vor nass wurde. Als ihr die tränen ausblieben
riss sie sich wieder los, stand auf, versuchte ein paar schritte
taumelnd und den kopf auf der brust, sah zurück, drehte um
und begrub ihr gesicht erneut im lager. So ging es wieder
und wieder – und ihre kinder, an ihre robe geklammert
weinten mit ihr. Sie nahm jedes von ihnen in den arm
drückte es an sich und küsste es, um ihnen zu sagen
dass sie nun sterben werde.
Und überall im hause
zeigten auch wir diener anteil an ihrem schicksal
und weinten. Alkestis, sie reichte jedem von uns
ihre rechte hand – und da war keiner, für den sie
nicht ein nettes wort fand und bei ihm nachfragte:
selbst den niedersten noch zeigte sich ihre gütige art.
Ein schatten liegt jetzt über dem haus des Admetus.
Hätte er sich seinem tod gestellt, hätte er es längst
hinter sich – dafür aber ein ehrenhaftes andenken
bei seinen mitmenschen hinterlassen. So jedoch
rennt er seinem schicksal feig davon. Ein mann
der seinen posten im stich lässt, wird nur ein leben
in schande führen, um am ende trotzdem zu sterben –
wie auch Admetus von nun an gequält werden wird
von seinem gewissen. Die erinnerung daran, sag ich
sie wird ihn bis an das ende seines lebens foltern.
CHOR
Ja jammert er denn jetzt schon über sein los?
Schlimmer trifft ihn wohl, dass er seine frau verliert!
DIENERIN
Ja – weinen, das kann er. Doch sein verlust
ist grösser, als er weiss – blind und taub wie er sich stellt
dem unausweichlichen gegenüber. Er umschlingt sie
und bettelt sie hilflos an, ihn nicht im stich zu lassen
und das unmögliche zu versuchen – während Alkestis
dahinschwindet und das leben langsam aus ihr weicht.
Er hält sie in armen – aber sie ist bereits totes gewicht
die augen in die höhlen gesunken. Das blut kaum noch
fliessend, die haut kalt, ringt sie nach luft und ruft dann
nach licht – mehr licht! die sonne! Sie will nur ins freie
getragen werden, um einen letzten blick, den allerletzten
auf die sonne zu erlangen.
Admetus jedoch will, dass ihr
seine trauer mit ihm teilt. Nicht jeder mag meinen herrn
genug, um ihm in dieser bitteren zeit zur seite zu stehen –
ihr aber – ihr seid nun schon seit langem seine freunde.
geht ab
A
Im ganzen gesehen, ist das leben eines jeden eine tragödie –
einzeln besehen jedoch, ist das leben eines jeden eine komödie:
wie lächerlich ist doch der mensch – auch wenn ers selber nicht
zum lachen findet.
B
Doch erst seine tragik macht den menschen besser als er ist
denn gleich was ihm widerfährt – er gibt sein streben nicht auf:
er findet seine würde, indem er unterliegt – und glaubt dennoch
er kann obsiegen.
C
Seine komik aber liegt im streben danach, was nicht sein kann –
sie verlacht jede kreatur, die glaubt, sie könne zum gott werden –
denn in wahrheit ist er beides – und hat doch nichts von allem:
reinstes mittelmass.
CHOR
Ja ist denn gar keine erlösung von diesem leid denkbar?
Gibts denn wirklich keinen ausweg mehr für Admetus?
A
Wenn ihm jetzt keiner zuhilfe kommt
scheren wir uns besser das haar vom kopf
und legen uns die schwarzen mäntel um.
B
Es ist doch alles längst klar, völlig klar.
C
Beten wir trotzdem noch zu den göttern –
denn die macht der götter ist unermesslich.
B
Mächtiger als sie jedoch ist das schicksal:
es bleibt so unergründlich – wie ewig stumm.
C
Obwohl es uns jedes wort in den mund legt.
CHOR
Apollon, gott und heiler, spende unserm Admetus trost –
du hast ihm schon in der vergangenheit zweimal geholfen.
Nun erschein ein drittes mal und erlöse ihn von diesem tod.
der blutgier des Hades in seiner stadt der lebenden toten!
A
Welch schreckliches leid du erdulden musst, mit dem tod
deiner gattin jetzt – du, Admetus, der einzige sohn des Pheres!
B
Es ist schlimm – man möchte sich die kehle aufschlitzen
oder ein seil um den hals schlingen und sich dann aufhängen
um vor einem leeren himmel röchelnd im wind zu baumeln.
C
Du siehst deine frau, das liebste, das du auf der welt hast
heute sterben – ein leichnam dort bei den...
Erscheint lt. Verlag | 19.2.2021 |
---|---|
Übersetzer | Raoul Schrott |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Dramatik / Theater |
Schlagworte | alkestis • Antike • Athen • Bakchen • Dionysos • Dionysus • Drama • Euripides • Griechenland • Mythologie • Nachdichtung • Orestie • Theater • Theben • Tragödie |
ISBN-10 | 3-423-43813-4 / 3423438134 |
ISBN-13 | 978-3-423-43813-1 / 9783423438131 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 2,4 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich