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Die großen Stücke (eBook)

Alkestis, Bakchen, Elektra, Orestes

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
408 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43813-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die großen Stücke -  Euripides
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Mit Raoul Schrott entdecken, wie modern Euripides ist Liebe und Leidenschaft, Mord und Heimtücke, Zweifel und Verantwortung - Euripides' Tragödien sind Fundament der Weltliteratur und von verblüffender Aktualität: >Alkestis< ist das erste feministische Drama der Weltgeschichte, seine >Bakchen< analysieren das Sektenwesen und seine >Orestie< - die hier erstmals seit der Antike wieder präsentiert wird - ist nach wie vor eines der besten Stücke über Terrorismus und Populismus. Raoul Schrott macht sie mit großer sprachlicher Virtuosität zu Dramen von heute: mitreißend, modern, monumental.

Euripides (ca. 480 v.Chr. - 406 v.Chr.) war ein Tragödiendichter im klassischen Griechenland. Er führte auf Salamis, fernab der Metropole Athen, das zurückgezogene Leben eines Gelehrten und Schriftstellers. Man weiß, dass er zweimal verheiratet war, drei Söhne hatte und mit Sokrates befreundet war. In der Geschichte des Dramas gilt er als Avantgardist, der die neuen Ideen seiner Zeit auf die Bühne brachte. So entfaltete sich seine Wirkung auch erst nach seinem Tod. Von seinem Werk überliefert sind 92 Stücke, 55 Fragmente, 17 Tragödien und ein Satyrspiel.

Euripides (ca. 480 v.Chr. – 406 v.Chr.) war ein Tragödiendichter im klassischen Griechenland. Er führte auf Salamis, fernab der Metropole Athen, das zurückgezogene Leben eines Gelehrten und Schriftstellers. Man weiß, dass er zweimal verheiratet war, drei Söhne hatte und mit Sokrates befreundet war. In der Geschichte des Dramas gilt er als Avantgardist, der die neuen Ideen seiner Zeit auf die Bühne brachte. So entfaltete sich seine Wirkung auch erst nach seinem Tod. Von seinem Werk überliefert sind 92 Stücke, 55 Fragmente, 17 Tragödien und ein Satyrspiel.

IV


eine DIENERIN
tritt auf

B

Aber da kommt eine dienerin, augen schwarz geweint.

A

Gute frau – dass man für seinen hausherren so mitzittert

ist völlig normal. Nun hör aber bitte auf zu weinen und sag:

ist Alkestis noch am leben? Oder ist sie schon gestorben?

DIENERIN

Sie lebt – und war dennoch schon lange tot.

C

Wie kann sie denn tot und gleichzeitig am leben sein?

DIENERIN

Ihr kennt wohl das haus und seinen herren nicht.

Aber jetzt kann sie es einfach nicht mehr länger ertragen.

Ihre arme hängen schlaff herab, vornüber gebückt, kopf

wie auf einen altar gelegt, mund weit offen, presst sie

das leben aus sich heraus – während er sie aufrecht hält.

C

Ach – unser armer herr! Was für ein guter ehemann –

und dann so eine frau zu verlieren! Seine ganze stütze!

DIENERIN

Wie gut sie wirklich ist, weiss er gar nicht.

Ich glaube, er erfasst überhaupt nicht, was da geschieht –

er wird es erst begreifen, wenn ers am eignen leibe spürt.

B

Es gibt also gar keine möglichkeit mehr, sie zu retten?

DIENERIN

Es ist zu spät. Sie trug diesen tag seit langem

mit sich herum – und irgendwie wirkt sie beinah erleichtert.

A

Heisst das, dass nun alles getan wird – wie es sich gehört?

DIENERIN

Das totenkleid, in dem ihr gatte sie bestatten wird

liegt samt all dem schmuck und den grabbeigaben für sie bereit.

A

Dann kannst du ihr ausrichten, dass ihr tod ihr ehre machen wird:

von allen frauen, die es auf der welt geben mag, ist sie weitaus die beste!

DIENERIN

Natürlich ist sie die beste! Das hat nie jemand in frage gestellt.

Oder kennt ihr etwa eine, die ihrem mann eine loyalere frau gewesen wäre?

Keine gattin hat mehr als sie bewiesen, dass sie den bund der ehe heiligt –

denn welche frau sonst ginge für ihren mann freiwillig in den tod??

Die ganze stadt weiss, was sie für ihn alles auf sich genommen hat –

aber erst wie sie die letzten stunden verbrachte, zeigt ihren charakter.

Heut, am tag ihres angekündigten todes, dem morgen ihres sterbens

ging sie beim ersten licht hinaus, um im fluss zu baden; sie tauchte

ihren so fahlen weissen körper in seinen klaren und breiten strom –

dann legte sie den schmuck um, den sie aus der zedergetäfelten

schatzkammer geholt hatte, und zog sich die schwere robe an

in der sie aufgebahrt werden wollte. Ruhige entschlossenheit

in ihrem gesicht, schritt sie darauf in die mitte des hauses

zum feuer, das nie ausgeht, die glut in die tiefe brennend

der rauch hoch zum himmel steigend, und betete am altar:

Hestia, herrin! Da ich heute unter die erde gehe

knie ich jetzt ein allerletztes mal vor dir und flehe:

nimm dich meiner kinder an, die nun waisen werden.

Ich kann ihnen weder eine braut noch einen bräutigam

mehr erwählen und ihnen auch keine hochzeit ausrichten:

darum lass meinen sohn einmal eine liebevolle frau finden

und meine tochter einen ehemann, der sie in ehren hält –

damit sie nicht wie ihre mutter schon zeit ihres lebens

in ihrem haus erstickt, um so hinzusiechen wie ich …

Schenk ihnen, anders als mir, alles glück dieser welt!

Danach trat sie auch vor all die anderen ältäre im innenhof

schmückte sie mit immergrüner myrte, duftenden zweigen

voller heller blüten, die sie selbst vom ast gebrochen hatte

und betete – doch ohne dass ihr ein laut über die lippen kam.

Keine träne lief ihr über die wange – ihr antlitz blieb bleich

wie es war – regungslos; nichts darin verriet ihr seelenleid.

Dann jedoch lief sie plötzlich in ihr schlafzimmer

warf sich auf das lager und verkrampfte sich dort weinend:

Dieses bett hier sah, dass ich meinem mann zuerst

die jungfräulichkeit, schliesslich das leben opferte.

Dennoch hasse ich ihn nicht – ich habe ihn geliebt

obwohl mich diese ehe mit ihm gebrochen hat …

Die schönste tochter meines vaters war ich einmal;

er wollte mich keinem lassen: Admetus hielt zwar

um meine hand an, erhielt sie aber nur dank Apollon

diesem gott, der ihm schon damals so gewogen war.

Dafür aber fand ich am abend meines hochzeitstags

die kammer voller schlangen, schwarz sich ringelnd.

Bis der tod euch scheidet – ja; dieses schwurs wegen

werde ich meinen gatten nicht verraten und sterben.

Bald wird eine andere frau auf diesen laken liegen

und mit ihm fröhlich ihre zukunftspläne schmieden:

weniger aufrecht als ich, dafür aber wohl glücklicher.

Sie sank auf den boden herab auf die knie, küsste das ehebett

und weinte so bitter, finger in den leinenen überwurf gekrallt

dass es dunkel vor nass wurde. Als ihr die tränen ausblieben

riss sie sich wieder los, stand auf, versuchte ein paar schritte

taumelnd und den kopf auf der brust, sah zurück, drehte um

und begrub ihr gesicht erneut im lager. So ging es wieder

und wieder – und ihre kinder, an ihre robe geklammert

weinten mit ihr. Sie nahm jedes von ihnen in den arm

drückte es an sich und küsste es, um ihnen zu sagen

dass sie nun sterben werde.

Und überall im hause

zeigten auch wir diener anteil an ihrem schicksal

und weinten. Alkestis, sie reichte jedem von uns

ihre rechte hand – und da war keiner, für den sie

nicht ein nettes wort fand und bei ihm nachfragte:

selbst den niedersten noch zeigte sich ihre gütige art.

Ein schatten liegt jetzt über dem haus des Admetus.

Hätte er sich seinem tod gestellt, hätte er es längst

hinter sich – dafür aber ein ehrenhaftes andenken

bei seinen mitmenschen hinterlassen. So jedoch

rennt er seinem schicksal feig davon. Ein mann

der seinen posten im stich lässt, wird nur ein leben

in schande führen, um am ende trotzdem zu sterben –

wie auch Admetus von nun an gequält werden wird

von seinem gewissen. Die erinnerung daran, sag ich

sie wird ihn bis an das ende seines lebens foltern.

CHOR

Ja jammert er denn jetzt schon über sein los?

Schlimmer trifft ihn wohl, dass er seine frau verliert!

DIENERIN

Ja – weinen, das kann er. Doch sein verlust

ist grösser, als er weiss – blind und taub wie er sich stellt

dem unausweichlichen gegenüber. Er umschlingt sie

und bettelt sie hilflos an, ihn nicht im stich zu lassen

und das unmögliche zu versuchen – während Alkestis

dahinschwindet und das leben langsam aus ihr weicht.

Er hält sie in armen – aber sie ist bereits totes gewicht

die augen in die höhlen gesunken. Das blut kaum noch

fliessend, die haut kalt, ringt sie nach luft und ruft dann

nach licht – mehr licht! die sonne! Sie will nur ins freie

getragen werden, um einen letzten blick, den allerletzten

auf die sonne zu erlangen.

Admetus jedoch will, dass ihr

seine trauer mit ihm teilt. Nicht jeder mag meinen herrn

genug, um ihm in dieser bitteren zeit zur seite zu stehen –

ihr aber – ihr seid nun schon seit langem seine freunde.

geht ab

A

Im ganzen gesehen, ist das leben eines jeden eine tragödie –

einzeln besehen jedoch, ist das leben eines jeden eine komödie:

wie lächerlich ist doch der mensch – auch wenn ers selber nicht

zum lachen findet.

B

Doch erst seine tragik macht den menschen besser als er ist

denn gleich was ihm widerfährt – er gibt sein streben nicht auf:

er findet seine würde, indem er unterliegt – und glaubt dennoch

er kann obsiegen.

C

Seine komik aber liegt im streben danach, was nicht sein kann –

sie verlacht jede kreatur, die glaubt, sie könne zum gott werden –

denn in wahrheit ist er beides – und hat doch nichts von allem:

reinstes mittelmass.

CHOR

Ja ist denn gar keine erlösung von diesem leid denkbar?

Gibts denn wirklich keinen ausweg mehr für Admetus?

A

Wenn ihm jetzt keiner zuhilfe kommt

scheren wir uns besser das haar vom kopf

und legen uns die schwarzen mäntel um.

B

Es ist doch alles längst klar, völlig klar.

C

Beten wir trotzdem noch zu den göttern –

denn die macht der götter ist unermesslich.

B

Mächtiger als sie jedoch ist das schicksal:

es bleibt so unergründlich – wie ewig stumm.

C

Obwohl es uns jedes wort in den mund legt.

CHOR

Apollon, gott und heiler, spende unserm Admetus trost –

du hast ihm schon in der vergangenheit zweimal geholfen.

Nun erschein ein drittes mal und erlöse ihn von diesem tod.

der blutgier des Hades in seiner stadt der lebenden toten!

A

Welch schreckliches leid du erdulden musst, mit dem tod

deiner gattin jetzt – du, Admetus, der einzige sohn des Pheres!

B

Es ist schlimm – man möchte sich die kehle aufschlitzen

oder ein seil um den hals schlingen und sich dann aufhängen

um vor einem leeren himmel röchelnd im wind zu baumeln.

C

Du siehst deine frau, das liebste, das du auf der welt hast

heute sterben – ein leichnam dort bei den...

Erscheint lt. Verlag 19.2.2021
Übersetzer Raoul Schrott
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Schlagworte alkestis • Antike • Athen • Bakchen • Dionysos • Dionysus • Drama • Euripides • Griechenland • Mythologie • Nachdichtung • Orestie • Theater • Theben • Tragödie
ISBN-10 3-423-43813-4 / 3423438134
ISBN-13 978-3-423-43813-1 / 9783423438131
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