Die letzte Geliebte (eBook)
656 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31995-8 (ISBN)
Christof Weigold, geboren 1966, schrieb Theaterstücke und war von 1996 bis 1999 fester Autor bei der »Harald-Schmidt-Show« in Köln, für die er auch vor der Kamera stand. Seit 2000 arbeitet er als freier Drehbuchautor für Film und Fernsehen. 2018 erschien der erste Band der Reihe um den deutschen Privatermittler Hardy Engel, »Der Mann, der nicht mitspielt«. Er wurde für den Glauser-Preis nominiert und mit dem Preis des Mordharz-Festivals ausgezeichnet. 2019 folgte der zweite Band »Der blutrote Teppich«. Christof Weigold lebt in München.
Christof Weigold, geboren 1966, schrieb Theaterstücke und war von 1996 bis 1999 fester Autor bei der »Harald-Schmidt-Show« in Köln, für die er auch vor der Kamera stand. Seit 2000 arbeitet er als freier Drehbuchautor für Film und Fernsehen. 2018 erschien der erste Band der Reihe um den deutschen Privatermittler Hardy Engel, »Der Mann, der nicht mitspielt«. Er wurde für den Glauser-Preis nominiert und mit dem Preis des Mordharz-Festivals ausgezeichnet. 2019 folgte der zweite Band »Der blutrote Teppich«. Christof Weigold lebt in München.
2
Ich erinnerte mich daran, wie sich an jenem Tag Will Harrison Hays in der ersten Reihe zu voller Größe erhob und zum Rednerpult schritt, um den Verstorbenen zu lobpreisen. Wer seine Trauerreden bereits kannte, sah dem sowieso schon mit gewissen Befürchtungen entgegen. Und wer so wie ich mit Wallys Vorgeschichte vertraut war und nun nach Veröffentlichung all der Schlagzeilen auf Hays’ Version wartete, umso mehr.
Ganz vorne auf dem Platz neben ihm hatte Dorothy Reid gesessen, ihr Gesicht mit dem schwarzen Schleier ihres Hutes bedeckt, und das war wohl auch besser so. Denn die Reporter – darunter mein alter Bekannter Arthur Blowfish vom Los Angeles Examiner, ein schlauer kleiner Intrigant – beobachteten jede ihrer Regungen. Sie standen seitlich aufgereiht wie eine Schar Geier, und ich ihnen auf der anderen Seite gegenüber. Und ja, nun erinnerte ich mich daran, neben Dorothy auch Herbert Somborn gesehen zu haben, der ihr Beistand leistete. Er kümmerte sich auch um ihre Kinder, den sechsjährigen Benjamin und ein noch nicht vier Jahre altes Mädchen, Betty.
Es war schon spät am Nachmittag und die tief stehende Sonne leuchtete durch die bunten Fenster der First Congregational Church herein auf die Hunderte Trauernden, die dicht gedrängt in der Kirche Platz gefunden hatten. Draußen standen noch Tausende. Der mit violettem Samt verkleidete Sarg mit den goldenen Griffen, der vorne in einem Meer von Blumen unter Wallace Reids schönstem Foto stand, war zuvor durch ganz Hollywood gefahren worden. Sämtliche Filmstudios in Los Angeles ließen den Betrieb an diesem Tag ruhen und hatten ihren Angestellten freigegeben. Hunderttausende hatten den Hollywood Boulevard gesäumt, weinend, Blumen werfend, betend, und viele die Absperrungen durchbrochen, um den Sarg zu berühren. Der Pferdewagen mit der offenen Lafette hatte immer wieder stoppen müssen, bis Polizisten die Straße freigeräumt hatten.
Will Hays war dreiundvierzig Jahre alt und von kleiner Gestalt. Er hatte ein markantes, eckiges Gesicht und abstehende Ohren, der Boss der hier versammelten Schönen Hollywoods stellte einen krassen Kontrast zu diesen dar, doch der frühere Politiker bewegte sich stets wie selbstverständlich und mit vergleichbarer Eitelkeit unter ihnen.
In seinem Nachruf stellte Hays mit durchdringender, meckernder Stimme, die durch ein Mikrofon verstärkt und über Lautsprecher übertragen wurde, praktisch alles, was Dorothy mir nun erzählt hatte, ganz anders dar. Ich erinnerte mich fast an jedes Wort seiner Rede, die vor Pathos triefte.
»Wally war der Liebling Amerikas«, rief Hays aus. »Er hatte alles, eine liebende Frau und zwei wundervolle Kinder!« Er zeigte mit großer Geste auf sie.
Dann erzählte er die Geschichte, dass Wallys Sucht mit einem Unfall bei Dreharbeiten begonnen habe, dass dieser jedoch selbst darauf bestand, weiterzudrehen, und sich deshalb Morphin geben ließ. Es war eine Lüge, wie ich wusste, die Paramount hatte erfinden lassen, um den kursierenden Gerüchten zu begegnen, doch Hays wiederholte sie mit dem Habitus, die schonungslose Wahrheit zu berichten.
»Die körperliche Abhängigkeit setzte bald ein«, fuhr Hays fort, salbungsvoll wie ein Prediger, »und der unschuldige Wally war ihr hilflos ausgesetzt, denn die Drogenpest und die, die sie verbreiten, die Dealer, sind Hyänen. In wen sie sich einmal verbissen haben, den lassen sie nicht mehr los. Wallace Reid machte sich schnell überall Freunde, doch unter diesen waren leider falsche Freunde.«
In mir stieg immer stärker Übelkeit auf. Ich wusste bereits damals nur zu gut, dass das Studio seine Stars selbst mit Drogen versorgte und so um jeden Preis bei der Stange hielt. Mein Gott, mein allererster Job als Detektiv hatte damit begonnen, dass ich einen solchen Kurierdienst übernehmen sollte.
Jemand stupste mich am Ellbogen an und reichte mir eine kleine silberne Flasche. Es war Polly Brandeis. Sie war einundzwanzig, hatte braune Locken und dunkle Augen und sah auch in einem Trauerkleid hinreißend aus.
»Hier, Hardy«, raunte sie mir zu. »Anders hält man diese Beerdigungen ja einfach nicht aus!«
Polly arbeitete als Drehbuchautorin bei Paramount und wusste genau über die Skandale dort Bescheid. Im letzten Jahr waren wir gemeinsam in einen von ihnen geraten und sie hatte sich als begabte und risikofreudige Ermittlerin erwiesen.
Ihr feinster selbst gebrannter Badewannen-Gin war in der Flasche, die wir durch ein Taschentuch verdeckt hin und her reichten und zum Mund führten, während wir Hays weiter zuhörten.
Ich sah in die erste Reihe, wo neben der zur Salzsäule erstarrten Witwe die Paramount-Bosse Jesse Lasky und Adolph Zukor saßen und Trauermienen zur Schau trugen. Im weiteren Publikum sah ich zahlreiche Superstars – Gloria Swanson, Charlie Chaplin, Douglas Fairbanks, Mary Pickford – und Regisseure wie Cecil B. DeMille und D.W. Griffith. Sämtliche anwesenden Schauspielerinnen hatten sich ziemlich aufgetakelt, trugen ihre vorteilhafteste schwarze Garderobe und es war sonnenklar, warum: Jenseits von Filmpremieren waren Beerdigungen die besten Gelegenheiten, bei denen sie von aller Welt gesehen wurden und ihren Marktwert steigern konnten.
Dies war das würdige Publikum für Hays’ Rede – in der er nun behauptete, dass das Studio Wally freigegeben habe, um eine Entziehungskur zu machen. Und dass dieser im Anschluss, als ihm die Ärzte zu Morphin als einziger Überlebenschance rieten, es strikt abgelehnt habe.
»Er wollte lieber sterben, so sagte er es seiner geliebten Frau, als nochmals der Droge anheimzufallen. Wenn er schon gehen müsse, dann wolle er sauber und drogenfrei von dieser Welt scheiden. Und so musste die arme Dorothy seinen heldenhaften Entschluss akzeptieren!«
Ich erinnerte mich nun, es Dorothy regelrecht angesehen zu haben, dass sie Hays am liebsten laut angeschrien hätte. Doch sie war eine gute Schauspielerin, und sie wusste, was von ihr verlangt wurde. Sie neigte den umschleierten Kopf leicht in seine Richtung, wie zum Dank.
Ich erinnerte mich auch an den Schluss von Hays’ Rede, die mir im Rückblick wie blanker Hohn erschien: »Aber sie tat es nur unter einer Bedingung, die sie ihrem Mann am Sterbebett abrang: dass sie der Welt die Wahrheit verkünden dürfe. Und er gestattete es ihr buchstäblich mit seinem letzten Atemzug!«
Die Menge seufzte auf. Polly Brandeis, der jeglicher Kitsch zuwider war, verdrehte die Augen und schnappte sich die Flasche.
»Und noch etwas versprach Dorothy Wally, bevor sie ihn gehen ließ«, kam Hays’ Stimme von vorne und gleichzeitig von allen Seiten scheppernd aus den Lautsprechern. »Sie würde die Geschichte seiner Drogensucht nicht nur der Presse erzählen – sie würde, um die Jugend Amerikas zu warnen und zu schützen, auch einen Film drehen, der die Drogenpest zum Thema hat. Sie, Mrs. Wallace Reid, wird das Drehbuch schreiben, ihn produzieren und selbst darin die Hauptrolle übernehmen. Er wird Human Wreckage heißen und sie wird mit dieser Anklage gegen menschlichen Abschaum durch ganz Amerika reisen!«
Er streckte die Hand aus und zeigte auf sie. Lauter Applaus brandete auf – so unpassend er auf einer Trauerfeier auch war. Die gesamte Gemeinde erhob sich und klatschte wie besessen in Richtung der Witwe. Dorothy blieb versteinert sitzen, neben ihr weinend die Kinder. Ich konnte damals nur ahnen, wie es in ihr aussah, jedenfalls stieß mir die Idee eines solchen Films am Sterbebett als sehr seltsam auf. Inzwischen wusste ich, warum sie sich nicht hatte wehren können.
Hays bat noch einmal um Ruhe und sprach seine letzten Sätze: »Und ich als oberster Filmzensor, der sich die Säuberung Hollywoods von Drogen und allem anderen Übel auf die Fahnen geschrieben hat, kann Dorothy nur meine Unterstützung für diesen mutigen Wunsch zusagen! Bravo!«
Wieder brach lauter Applaus los.
Will Hays bat Dorothy zu sich nach vorne, neben den Sarg ihres Mannes, wohin ihr Freund – Herbert Somborn – sie begleitete. Sie gab Hays wortlos die Hand, als hätte es ihr die Sprache verschlagen.
Während die Trauernden nun eine Schlange bildeten und sich am Sarg zum Kondolieren aufstellten, leerten Polly und ich die Flasche.
»Eine schreckliche Rede zu einem schrecklichen Tod«, sagte sie leise. Sie streifte mich sanft und ich musste an die große Narbe direkt neben ihrem Herzen denken. »Ich fühle mich, als wäre ich in Schleim gebadet worden. Ich muss hier weg, Hardy«, meinte sie und schüttelte die Locken. »Du kennst mich, sonst entschlüpft mir noch irgendetwas irrsinnig Unpassendes!«
»Wem sagst du das«, antwortete ich.
Als ich ihr folgen wollte, verstellte mir plötzlich jemand den Weg. Mein alter Bekannter Will Hays sah zu mir hoch. Er verzog das Gesicht zu einem Grinsen und legte so die Ruinen seines lückenhaften Gebisses frei.
»Mr Engel«, sagte er. »Habe ich doch richtig gesehen! Wie schön, dass auch Sie Wallace Reid die letzte Ehre erweisen.«
»Natürlich, Mr Hays«, sagte ich und blieb stehen. »Im Tod sind wir schließlich alle gleich, wer wüsste das besser als ein gläubiger Christ wie Sie.«
»Ich wundere mich nur«, fuhr er fort, »weil ich gehört zu haben glaubte, dass Sie mit der Filmbranche nichts mehr zu tun haben wollten.«
»Im Gegenteil«, antwortete ich und riss mich gewaltig zusammen dabei. »Gerade hier in Hollywood muss jemand auf der Seite derer stehen, die nicht so...
Erscheint lt. Verlag | 20.8.2020 |
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Reihe/Serie | Hollywood - Hardy Engel ermittelt |
Hollywood - Hardy Engel ermittelt | Hollywood - Hardy Engel ermittelt |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Historische Kriminalromane | |
Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller | |
Schlagworte | Der blutrote Teppich • Filmgeschichte • Filmindustrie • Hardy Engel • Hollywood • Klu-Klux-Klan • Roaring Twenties • True Crime • Will Hays • Zwanziger Jahre |
ISBN-10 | 3-462-31995-7 / 3462319957 |
ISBN-13 | 978-3-462-31995-8 / 9783462319958 |
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Größe: 2,3 MB
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