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Morgen wartet eine neue Welt (eBook)

Frühling 1945 - der lange Weg nach Hause
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
304 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-2586-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Morgen wartet eine neue Welt -  Henriette Roosenburg
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Eine der bemerkenswertesten Geschichten über das Ende des Zweiten Weltkriegs. Frühling 1945: drei junge Widerstandskämpferinnen auf dem abenteuerlichen Heimweg quer durch Deutschland Henriette, genannt Zip, und ihre Freundinnen Joke und Nell sind im besetzten Holland in die Fänge der Nazis geraten und als sogenannte Nacht-und-Nebel-Häftlinge nach Deutschland verschleppt worden. Als die Tür ihrer Zelle in Waldheim eines Tages von einem sowjetischen Soldaten geöffnet wird, beschließen sie mit Dries, einem jungen Landsmann, sofort den Heimweg anzutreten: per Boot, die Elbe entlang. Aber wie soll eine solche Odyssee gelingen in einem Land, in dem Soldaten marodieren und Lebensmittel Mangelware sind? Wem kann man trauen? Doch sie sind davon überzeugt: Solange sie zusammenhalten, können sie es schaffen. Eine wahre Geschichte, die 1957 in den USA sofort zum Bestseller wurde. »Ein Sinnbild für grenzenlosen Mut und Durchhaltewillen, die durch den unstillbaren Drang nach Freiheit am Leben gehalten werden.« THE SATURDAY REVIEW



HENRIETTE ROOSENBURG, geboren 1916 in Den Haag, war Europakorrespondentin für Time, Life und Fortune in Paris. In New York arbeitete sie u. a. für den New Yorker. 1940 ging sie im besetzten Holland in den Widerstand, 1944 wurde sie verraten und verhaftet. 1950 erhielt sie als erste Frau den »Bronzenen Löwen«, eine Auszeichnung für mutiges Auftreten gegenüber dem Feind. Sie starb 1972 in Südfrankreich. HANS-CHRISTIAN OESER, geboren 1950 in Wiesbaden, ist Literaturübersetzer, Herausgeber und Reisebuchautor. Er lebt in Berlin und Dublin. 2014 erhielt er den Helmut-M.-Braem-Übersetzerpreis für »Meine geheime Autobiographie« von Mark Twain. 2020 wurde sein Lebenswerk mit dem Straelener Übersetzerpreis ausgezeichnet.

Einleitung


Die folgende Geschichte schildert die Befreiung und den schwierigen Heimweg von vier niederländischen politischen Gefangenen nach Holland. Sowjetische Soldaten hatten sie in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs aus der Frauenanstalt des Zuchthauses von Waldheim, einer Kleinstadt im Sächsischen, befreit. Die vier Personen sind:

Nell, dreißig Jahre alt, Amtsträgerin der niederländischen Pfadfinderbewegung, deren Organisationstalent im Widerstand von großem Nutzen war. Bevor die Gestapo im Herbst 1943 ihrer habhaft wurde, hatte sie ein Netz von Verstecken für über Holland abgeschossene alliierte Piloten organisiert. Darüber hinaus war sie an der Organisation des niederländischen Abschnitts einer vluchtlijn (Fluchtroute) beteiligt, die durch Belgien und Frankreich nach Spanien und Portugal führte und deren Zweck es war, die betreffenden Flieger dort, wo sie am meisten benötigt wurden, wieder zum Einsatz zu bringen.

Joke (ausgesprochen »Yoku«), zwanzig Jahre alt. Kaum der höheren Schule entwachsen, stürzte sich Joke beherzt in die Arbeit einer örtlichen Widerstandsgruppe, die sich ebenfalls darauf konzentrierte, alliierte Piloten, die über den Mooren um ihr Dorf abgeschossen worden waren, ausfindig zu machen und in Verstecken unterzubringen. Schon bald schloss sie sich einer landesweiten Bewegung an und lernte auf diese Weise Nell und andere Menschen auf den vluchtlijnen kennen. Mehrere alliierte Flieger eskortierte sie über die niederländisch-belgische Grenze. Joke wurde im Mai 1944 gefasst und zum Tode verurteilt.

Zip, achtundzwanzig Jahre alt, Erzählerin dieser Geschichte. Als Studentin der niederländischen und französischen Literatur an der Universität Leiden begann sie in den frühen Tagen des Krieges für die Untergrundpresse zu arbeiten und wurde schließlich für Belgien, Frankreich und die Schweiz zuständige Kurierin einer Widerstandsgruppe, die der niederländischen Regierung in London Informationen über deutsche Truppenbewegungen und andere Angelegenheiten übermittelte. Als Kurierin hatte sie unweigerlich mit einigen der Fluchtrouten zu tun und half gelegentlich alliierten Piloten, wenn diese irgendwo festsaßen. Auf diese Weise lernte sie Nell und Joke kennen. Sie wurde im März 1944 aufgegriffen und zum Tode verurteilt.

Dries, der einzige Mann in der Gruppe, sechsundzwanzig Jahre alt. Als der Krieg ausbrach, weilte der Handelsmatrose zufällig auf Urlaub in Holland. Im Frühjahr 1944 versuchte er zusammen mit drei Freunden, von einem niederländischen Strand aus den Ärmelkanal zu überqueren. So tollkühn der Versuch auch war (denn die Deutschen bewachten die Küste so genau, dass es unmöglich war, ein gut ausgestattetes und seetüchtiges Boot zu Wasser zu lassen), hatten sie die Strecke doch fast zur Hälfte zurückgelegt, bevor sie von deutschen Kriegsschiffen umzingelt und schmachvoll zurückgeschleppt wurden. Dries wurde im April 1944 verhaftet und zum Tode verurteilt.

Die Nazis behandelten ihre politischen Gefangenen auf ganz unterschiedliche, rational nicht nachvollziehbare Weise. Viele Häftlinge wurden standrechtlich erschossen. Andere ließ man an Hunger, Ruhr, Tuberkulose und anderen in Konzentrationslagern und Gefängnissen grassierenden Krankheiten zugrunde gehen. Einige, wie die vier in dieser Geschichte, wurden zwar offiziell vor ein Kriegsgericht gestellt, doch diese Kriegsgerichte waren eine Farce: Vor der Urteilsverkündung durfte der von den Nazis bestellte Strafverteidiger die Gefangenen nicht sehen. Seine einzige Rolle bestand darin, während der Verhängung des Todesurteils anwesend zu sein – eine erbärmliche Erinnerung daran, dass Deutschland einst zu den zivilisierten Nationen gezählt hatte und wusste, was ein rechtskonformes Verfahren war.

Aber auch nach einem offiziellen Kriegsgerichtsprozess fiel die Behandlung unterschiedlich aus. Manchmal wurden die zum Tode Verurteilten tags darauf im Morgengrauen aus dem Gefängnis geholt und an einem geeigneten Ort in der Nähe erschossen. Manchmal wurden sie der sogenannten »Nacht-und-Nebel-Gruppe« zugeteilt (von Häftlingen und Wachen NN genannt) und von einem Gefängnis zum anderen verschoben, immer weiter von der Front entfernt. Die vier Hauptfiguren dieser Geschichte zählten zu den »NN-Häftlingen«.

In Zuchthäusern oder Konzentrationslagern angekommen, waren die NN-Häftlinge die niedrigste Häftlingskategorie. An der Spitze standen die deutschen Kriminellen, denen begehrte Kalfaktorenaufgaben wie Küchenarbeiten und die Verteilung von Lebensmitteln und Kleidungsstücken (das Beste behielten sie für sich) zugewiesen wurden. Als Nächstes kam eine bunte Mischung aus Prostituierten, Schwarzhändlern und Kleinkriminellen aller Nationen unter deutscher Besatzung. Sie waren die Assistenten der Aufseher, dienten als Botengänger und Spitzel in den Arbeitskommandos. Die dritte Kategorie bestand aus den politischen Gefangenen – vom unglücklichen Unschuldigen, der wegen Anhörens von BBC denunziert worden war, bis hin zum aktiven Widerstandskämpfer, der bei einem Sabotageakt ertappt worden war, eine illegale Zeitung verbreitet, Juden oder Mitgliedern seiner Untergrundorganisation Unterschlupf gewährt oder eine der tausend anderen von den Nazis verbotenen Handlungen begangen hatte. Sie waren diejenigen, die zum Arbeitseinsatz abkommandiert wurden. Ihre Arbeit konnte aus allem Möglichen bestehen: Holz schlagen in einem Sumpfgebiet, Präzisionsarbeit an Zeitzündern, Müll entsorgen, Gräber ausheben. Es hing sowohl davon ab, was das Lager oder das Gefängnis selbst benötigte, als auch von der Nähe zu Fabriken, die an Arbeitskräftemangel litten. Die »Politischen« genossen keine Privilegien, erhielten keine zusätzliche Nahrung oder Kleidung. Ihr einziger Vorteil war ein unbeabsichtigter: Sie durften sich umherbewegen. In den Fabriken, denen sie zugeteilt waren, hatten sie Kontakt mit deutschen Arbeitern oder mit Zwangsarbeitern; wenn sie in den Gefängniswerkstätten arbeiteten, mit Kriminellen und Prostituierten, die die täglichen Aufgaben verteilten. Manchmal bekamen sie eine deutsche Zeitung in die Finger, denen sie zwischen den Zeilen wichtige Nachrichten entnehmen konnten. Ihr »Flurfunk« funktionierte ausgezeichnet, und gewöhnlich lebten, arbeiteten und starben sie in sehr kleinen loyalen Gruppen.

Als Nächste – und zuunterst – kamen die NN-Häftlinge. Sie waren in Zellen eingesperrt, und wenn sie, etwa zweimal die Woche, für eine halbe Stunde auf den Hof geführt wurden, wurde besonders darauf geachtet, dass kein anderer Gefangener sie zu Gesicht bekam. Einige der Werkstätten hatten verglaste Türen zum Gefängnisflur. Wenn die NN-Häftlinge Hofgang hatten, wurden diese Türen mit schwarzen Tüchern verhängt. Ursprünglich wurden die NNs in Einzelhaft gehalten; erst im letzten Kriegsjahr, als die deutschen Haftanstalten unvorstellbar überfüllt waren, wurde diese Regel gelockert – bis zu dem Punkt, dass sechs NNs in eine Einzelzelle gepfercht wurden. Wenn die Politischen hartnäckig genug waren und ausreichend Krach schlugen, konnten sie sich beim Gefängnisdirektor über schlechte Verpflegung, unzureichende Unterkünfte, Diebstahl durch die Kalfaktoren (»Funktionshäftlinge«) usw. beschweren; zwar erreichten sie nicht immer was, aber ihre Beschwerden trugen doch dazu bei, dass sich die Zustände nicht weiter verschlechterten. Den NNs wurde ausdrücklich gesagt, dass sie kein Recht hätten, sich an irgendjemanden zu wenden; daher waren sie mehr als alle anderen dem Risiko ausgesetzt, von den Kalfaktoren bestohlen und von den Wachen schlecht behandelt zu werden.

Dieses für alle Gefangenen gültige System (mit Ausnahme der Juden, die in die Vernichtungslager geschickt wurden) brach in den letzten Kriegsjahren in den meisten großen Konzentrationslagern zusammen. Die Kalfaktoren erwiesen sich als zu unzuverlässig, und den Politischen gelang es dank ihres höheren Intellekts und ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit, die Verwaltung der Lager und die meisten der einfacheren Arbeiten zu übernehmen. Oft verwischte sich auch die Trennlinie zwischen Politischen und NNs.

In den Gefängnissen jedoch, die wir vier durchliefen, wurde das System – abgesehen von Einzelhaft – rigide durchgesetzt, und die NNs zogen immer den Kürzeren. Nachdem wir drei Mädchen von Holland nach Deutschland überführt worden waren, verbrachten wir acht Monate in fünf verschiedenen deutschen Gefängnissen. In einigen blieben wir nur ein oder zwei Wochen, bevor wir weiterziehen mussten, in anderen drei Monate oder länger. In all den acht Monaten durften wir nur dreimal duschen.

Die Gefängnisroutine für NNs war in höchstem Maße monoton. Um 5 Uhr 30 ertönte durch eine laute, beharrliche Glocke das Wecksignal. Etwa eine halbe Stunde später kam eine Wärterin, öffnete die erste Zelle und ließ zwei Gefangene heraustreten, eine mit dem Toilettenkübel, die andere mit dem Wasserkrug. Die beiden gingen zum Waschraum auf der anderen Seite des Trakts, leerten den Kübel, füllten den Krug und kehrten zurück. Eine zweite Wärterin bewachte den Waschraum, damit wir anderen Häftlingen keine schriftlichen Mitteilungen hinterließen. Sie hatte keinen Erfolg, dafür sorgten wir. War die erste Wärterin in Eile, öffnete sie die Tür der nächsten Zelle, noch bevor die ersten beiden Gefangenen wieder weggesperrt waren, doch jedes Trödeln oder Reden während dieser morgendlichen Verrichtung wurde sofort strengstens geahndet, normalerweise mit Tritten und Schlägen, manchmal durch Nahrungsentzug.

Um acht Uhr kam die für die Essensverteilung zuständige deutsche Kriminelle mit einer großen...

Erscheint lt. Verlag 10.11.2020
Übersetzer Hans-Christian Oeser
Zusatzinfo Mit einer Karte und einem Faksimile
Sprache deutsch
Original-Titel The Walls Came Tumbling Down
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik 20. Jahrhundert bis 1945
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Schlagworte 1945 • Befreiung • Henriette Roosenburg • Nacht-und-Nebel-Flüchtlinge • Roosenburg • Stunde Null • Widerstand • Widerstand im Nationalsozialismus
ISBN-10 3-8412-2586-1 / 3841225861
ISBN-13 978-3-8412-2586-3 / 9783841225863
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