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Es ist nie zu spät, unpünktlich zu sein (eBook)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
280 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2120-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Es ist nie zu spät, unpünktlich zu sein -  Torsten Sträter
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Hui, endlich: das neue Buch von Torsten Sträter! Sie wissen schon: der Mann aus dem Ruhrgebiet. Mit der Mütze. Diesmal geht's echt um alles: die Macht der Entspannung, Urlaub in Namibia und Botswana, Erziehung, Sex, Bratwurst, wegfliegende Flummis, die heilende Kraft der Musik und den Vater des Gedanken. Er heißt Günter. Ach ja, und es geht um die Zeit! Was sie macht, wie sie funktioniert, wonach sie riecht und ob man sie umtauschen kann.

Torsten Sträter, Jahrgang 1966, wohnhaft in Waltrop bei Dortmund, arbeitet in einer Möbelspedition, hilft in einer Buchhandlung aus und trägt seit 2008 auf Poetry Slams und in Solo-Shows selbstgeschriebene Texte vor. Geringste Zuschauerzahl: 9. Höchste Zuschauerzahl: über 4000.

Torsten Sträter, Jahrgang 1966, wohnhaft in Waltrop bei Dortmund, arbeitet in einer Möbelspedition, hilft in einer Buchhandlung aus und trägt seit 2008 auf Poetry Slams und in Solo-Shows selbstgeschriebene Texte vor. Geringste Zuschauerzahl: 9. Höchste Zuschauerzahl: über 4000.

Erhöhter Gesprächsbedarf


Diese Geschichte habe ich für Jürgen von der Lippes Buch DER KÖNIG DER TIERE geschrieben.

Ich erwache ahnungslos. Wobei »erwachen« jetzt irgendwie impliziert, ich hätte da ein System, aber im Prinzip ist es, als versuchte ich, mit einem Motorradhelm auf dem Schädel durch den Geburtskanal einer Elefantenkuh zu kriechen. Wie immer, wenn ich ein bisschen was getrunken habe.

Aber heute ist es anders.

Alles ist anders.

Zuerst einmal wäre da das Kopfteil vom Bett, das gestern noch nicht so hoch war.

Zum anderen bin ich komplett bekleidet. Das kommt in den besten Familien vor. Derartige Phrasen sage ich mir immer, wenn es nicht ganz rund läuft oder gelaufen ist. Oder laufen wird. Das kommt in den besten Familien vor, ein Indianer kennt keinen Schmerz, und aus einer Igelhaut macht man kein Brusttuch. Was immer das bedeuten soll.

Ich erhebe mich.

Aha, denke ich. Verstehe.

Das Kopfteil vom Bett kam mir deswegen so hoch vor, weil ich hinter dem Sofa geschlafen habe. Dass ich vollständig bekleidet bin, dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass ich gestern kurz kegeln war.

So sage ich das immer meiner Gattin: »Frau! Harre nicht meiner. Ich bin kurz kegeln.«

Kurz war es allerdings nicht, so viel steht fest. Der Rest meiner Erinnerungen ist, als würde man SPARTACUS durch mehrere Schichten Feinstrumpfhose gucken. Junge, Junge. Das war was. Eigentlich sollte der Begriff »Kegeln« durch einen maritimen Terminus ersetzt werden – so oft, wie die Scheiße aus dem Ruder läuft.

Das wird jetzt wieder zu erhöhtem Gesprächsbedarf führen. Den hat meine Frau nämlich öfter mal – erhöhten Gesprächsbedarf.

Mein Kopf fühlt sich innen, so auf Höhe des Präfrontallappens, ein bisschen wund an. Kopfschmerztablette wäre jetzt gut. Und Kaffee. Behelfsweise würde ich mir auch eine Tube Bepanthen durch die Nasenlöcher ins Hirn drücken.

Ich nutze die fünf Sekunden Ruhe, bevor der Ärger losgeht, um mich zu sammeln. Dann sage ich mit fester Stimme: »Frau. Ich bin erwacht.«

Nix.

Sonderbar.

Üblicherweise schwallt nun ein hochfrequenter Impulsvortrag über Geschicklichkeitsspiele und Alkoholmissbrauch über mich herein. Doch heute dominiert Stille die Wohnung. Mir ist warm. Ich ziehe den Parka aus.

Dann suche ich meine Gattin. In der Küche steht eine benutzte Tasse mit kaltem Kaffee. Keine Frau.

Das Bett im Schlafzimmer ist zerwühlt.

Schlüssel am Brettchen im Flur fehlt.

Dann ist sie einkaufen. Gut.

Das verschafft mir etwas Zeit. Ziehe mich aus, dusche, ziehe mich wieder an. Dann gehe ich vor die Tür, um die Zeitung reinzuholen. Allerdings ist keine Zeitung da.

Überhaupt ist niemand da. Die Straße vor unserem Haus ist leer und still. Kein Mensch zu sehen. Der Kiosk gegenüber ist geöffnet, aber unbesetzt. In der gesamten Siedlung ist keiner zu sehen.

Ich klingle beim Nachbarn und stelle fest, dass die Tür nur angelehnt ist. HALLO?

Keine Antwort.

Trete zurück auf die Straße und rufe erneut: HALLO?

Keine Antwort.

Ich versuche, die vergangene Nacht zu recherchieren, Puzzleteilchen zusammenzufügen.

Also noch mal von vorn:

Gegen acht aus dem Haus, kurz kegeln.

Mit den Jungs Schnitzel gegessen.

Dann Kegelbahn.

Dann komischen Schnaps getrunken. Eine Art Appenzeller Handkäs, nur als Getränk. Schlimm.

Dann kam dieser riesige Typ runter und meinte, wir sollten die Kegelbahn frei machen, wir seien schon Stunden zugange hier, und jetzt seien mal die Jungs vom »Motorrad-Club mit Aggressionsproblemen e. V.« an der Reihe.

Ich antworte: »Nicht in dem Ton, Frollein.«

Dann Handgemenge.

Der Rest liegt im Dunkel. Kann aber nicht so schlimm gewesen sein.

Immerhin machen wir seit einigen Jahren nicht mehr dieses Spiel, wo wir unsere mit Namen beschrifteten Haustürschlüssel in den Hut werfen und jeder zieht einen. Und dann fährt man mit dem Schlüssel zur Adresse, die auf dem Etikett steht und schläft da. Kamikaze-Partnertausch. Ist selten was Gutes bei rausgekommen.

Und dann, plötzlich, während ich völlig allein auf der menschenleeren Straße stehe, wird mir mit aller Deutlichkeit klar, was Sache ist.

Die Menschheit existiert nicht mehr.

Ich bin der Letzte meiner Art.

Die Erkenntnis rammt mich wie ein Bus.

Ich gehe zurück in die Wohnung. Setze mich auf die Couch. Versuche nachzudenken. Und dann denke ich: wozu denn? Ab jetzt ist es nur noch wichtig, Lebensmittel zu horten. Dann zu jagen, wenn alle Konserven aufgebraucht sind. Und Trinkwasser! Drehe den Wasserhahn auf. Läuft. Immerhin. Ich sitze eine Stunde regungslos da.

Wie ist das passiert? Und warum bin ich noch da?

Ich erinnere mich daran, dass die Regierung die Menschen zu Hamsterkäufen anregte. Das könnte was damit zu tun haben. Könnte natürlich auch sein, dass irgendwer von der CDU in den Vorstand von LIDL aufgerückt ist. Keine Ahnung.

Und wen sollte ich auch fragen?

In diesem Zusammenhang fällt mir auf, dass meine Frau mir fehlt. Eigentlich habe ich sie nie richtig verstanden. Das lag aber nicht nur daran, dass Männer und Frauen so unglaublich verschieden sind. Da war auch einfach ganz viel Desinteresse dabei. Da muss ich mal ehrlich zu mir selbst sein. Ich hab Frauen nie so richtig verstanden. Dieses ganze Menstruationsding – wer macht so was freiwillig?

Gehe auf den Balkon und rauche mir eine. Eigentlich rauche ich gar nicht, aber wen soll es jetzt noch interessieren? Diese Stille in den Vorgärten, die totale Abwesenheit von Menschen. Wahnsinn. Ich könnte mich dran gewöhnen. Muss ich auch.

Ich betrete das Schlafzimmer und öffne den Kleiderschrank. In der unteren Schublade liegt das heikle Zeug. Unsereins trägt ja ganz normale Unterwäsche. Wozu mit flirrenden Stoffen und raffinierten Schnitten für Reizüberflutung sorgen? Wenn er waschbar ist und sich nicht schleichend ins Gebälk sägt, hat für mich ein Schlüpfer alle Funktionen, die er braucht.

Die Gattin hätte da eine andere Herangehensweise. Was sie in der unteren Holzetage unseres Schranks hortet, ist ein ganz anderes Kaliber. Das gehört ganz klar in die Rubrik DESSOUS, wenn auch mit einem Schlenker in die Welt des Sanitätshauses. Greife mir ein Teil und rieche daran. Wunderbar. Es riecht nach ihr. Ich habe dieses Bedürfnis meiner Frau, nämlich für mich attraktiv zu sein, nie richtig anerkannt.

Schon witzig – jetzt, wo es zu spät ist, werde ich sensibel.

Ich ziehe mein Hemd aus und schlüpfe in das fliederfarbene Negligé. Ich spüre instinktiv, dass es mich näher mit meiner Frau zusammenbringt. Fühlt sich nicht übel an. Aber ich ermahne mich, jetzt nicht weich zu werden.

Ich muss mich vorbereiten. Jetzt im Moment ist alles gut, klar, aber in nicht allzu ferner Zukunft werden sämtliche Haustiere verwildern. Dann heißt es: Töte oder stirb. Baue mir in der Küche einen Speer. Besenstiel. Mit Klebeband ein Brotmesser dran. Liegt gut in der Hand.

Ich fühle mich zum vielleicht ersten Mal im Leben wie ein richtiger Mann. Sage laut: »Ihr fünf dort geht da lang, der Rest von euch kommt mit mir.«

Dann gehe ich wieder ins Schlafzimmer. Ich knie nachdenklich vorm Vermächtnis meiner Frau. Sinniere lange darüber nach, wozu Stringtangas jetzt konkret gut sind. Sie ergeben bekleidungstechnisch nicht den geringsten Sinn. Wo soll da der Vorteil sein, permanent die Pobacken an der frischen Luft zu haben? Vielleicht eben wegen der frischen Luft? Nein. Das könnte man diskreter haben, indem man sich bei Bedarf im stillen Kämmerlein den Arsch föhnt. Ich komme nicht dahinter. Also ziehe ich einen an. Oha, denke ich, das fühlt sich hintenrum auf eine Art angenehm an, die ich nicht gut finden möchte.

Andererseits fühle ich mich nicht schlecht. Ich bin ein freier Mann. Sicher, unter den schlimmstmöglichen Umständen, verdammt dazu, von nun an allein auf diesem Planeten zu wandeln. Aber das macht mich auch zum König der Erde, wenn man es recht bedenkt.

Was ich gestern noch war, zählt heute nicht mehr.

Ja.

Heute könnte ich meine Frau beschützen. Ich bin gewachsen. Bald werde ich meinen Rucksack packen und aufbrechen. Ich muss eine Frau finden. Das bin ich der Welt schuldig. Wir werden uns paaren, alles andere wäre nicht im Sinne der Menschheit. Optik ist nicht entscheidend, da bin ich Vernunftsmensch. Wenn ich jetzt nur ein Schimpansenweibchen finde … Gucken wir mal.

Eins aber steht fest: Erst jetzt, am Ende der Menschheit, bin ich zu dem geworden, der immer in mir verborgen war. Ich beherberge sowohl eine feminine Seite als auch das Herz eines Kriegers. Ich bin ebenso sexy wie tödlich. Ich bin Mann, Frau und Jäger. Mit dieser glühenden Erkenntnis und bis zum Zerreißen geschärften Sinnen marschiere ich vor die Tür.

Und wie ich da in den kalten Wind vor meiner Wohnung trete, höre ich eine elektronisch verstärkte Stimme:

»SIE KÖNNEN JETZT ALLE WIEDER IN IHRE WOHNUNGEN. WIR HABEN DIE FLIEGERBOMBE ENTSCHÄRFT.«

Und da sind auch meine Nachbarn.

Im Prinzip die ganze Siedlung.

Und meine...

Erscheint lt. Verlag 25.10.2019
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga Humor / Satire
Schlagworte Alltagskomik • Comedian als Autor • Comedy • die besten Geschichten • Dortmund • Humor • Humor Bücher • Humor Geschenkbücher • Humoristisch • humorous • Kabarett • Kurzgeschichten • Lustige Bücher • lustige geschichten aus dem leben • Nuhr im Ersten • Ruhrgebiet • Ruhrpott • Satire • Sträters Männerhaushalt • WDR • Witz
ISBN-10 3-8437-2120-3 / 3843721203
ISBN-13 978-3-8437-2120-2 / 9783843721202
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