Sturm im Wasserglas (eBook)
103 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7448-9327-5 (ISBN)
Der in Stuttgart geborene Schriftsteller Bruno Frank (1887 - 1945) verfasste zahlreiche Gedichte, Erzählungen und Bühnenstücke, die das kulturelle Leben in der Weimarer Republik beeinflussten. Bruno Frank starb am 20. Juni 1945 im Exil in Beverly Hills, Kalifornien.
Erster Akt
Zimmer bei Thoss. Elegant und behaglich, ohne jede Beimischung von Kleinstädtisch-Herkömmlichen. Ein paar gute neuere Bilder an den Wänden. Es ist ein Winternachmittag, die Lampen brennen schon. Ein Teetisch ist für zwei Personen gedeckt.
Viktoria Thoss ist allein. Sie ist eine reizende junge Frau, impulsiv, heiter und frei. Man merkt ihr an, dass sie gewartet hat. Sie schaut nach der Uhr, sagt mit Bedauern vor sich hin: „Na, dann allein“ und schickt sich an, ihren Tee zu trinken. In diesem Augenblick kommt das Mädchen und bringt eine Karte.
MÄDCHEN
Dieser Herr ist draußen.
VIKTORIA
(liest): Franz Burdach, Redakteur der Nachtpost ...
Ich lasse bitten.
(Mädchen ab. Lässt einen Augenblick darauf Burdach eintreten. Burdach ist ein junger Mensch von vielleicht achtundzwanzig, höchst unbekümmert und frisch, alles andere als „edel“ und pathetisch.)
BURDACH
(stutzt, blickt Viktoria an. Ein Augenblick vergeht, ehe er sagt):
Ich bitte um Verzeihung, gnädige Frau, ich suche Doktor Thoss.
VIKTORIA
Mein Mann muss jeden Augenblick hier sein. Darf ich wissen, um was es sich handelt?
BURDACH
Um ein Interview. Herr Quilling, unser Herausgeber, hat das mit Doktor Thoss verabredet. Ich werde warten.
VIKTORIA
Ja, bitte.
BURDACH
Es tut mir leid, dass ich gestört habe. (Er verbeugt sich und will sich zurückziehen.)
VIKTORIA
Was, Sie wollen sich doch nicht draußen im Korridor hinsetzen? Kommen Sie her, trinken Sie Tee mit mir.
BURDACH
(sieht sie an): Geht das?
VIKTORIA
Warum soll das nicht gehen? Es stehen doch zwei Tassen da.
BURDACH
Sehr gern.
(Beide nehmen Platz. Kleine Pause. Burdach betrachtet Viktoria.)
VIKTORIA
(bedient): Rum?
BURDACH
Bitte.
VIKTORIA
Viel?
BURDACH
Viel. (Kleine Pause.)
Woher stammen Sie, gnädige Frau? Aus dieser Stadt gewiss nicht.
VIKTORIA
Weil ich Sie auffordere, mit mir Tee zu trinken? Na, wissen Sie! Einen Mann von der Presse! Einen Botschafter der siebenten Großmacht ...
BURDACH
Ja, ja, so nennt die Presse sich selbst ...
VIKTORIA
Eben! Ein Staat erklärt sich selber so lang zur Großmacht, bis die Welt es ihm glaubt. Und auf einmal ist er’s wirklich.
BURDACH
(nickt): Dafür gibt’s Beispiele. (Er schaut sie an.)
Politik interessiert Sie?
VIKTORIA
Ja. Aber nur solche, die mindestens zweihundert Jahre vorbei ist.
BURDACH
Versteh schon. Aus der Entfernung sind die Helden wirklich Helden ...
VIKTORIA
Und die Gemeinheiten haben Patina angesetzt.
BURDACH
Jetzt werden Sie sich das bald nicht mehr aussuchen können.
VIKTORIA
Wieso?
BURDACH
Nun – die aktuelle Politik wird in greifbare Nähe rücken und wird sich nicht mehr abweisen lassen.
Wenn Doktor Thoss erst gewählt ist ...
VIKTORIA
Wird er gewählt?
BURDACH
Daran zweifelt niemand. Ein so kluger Herr hätte seine Kandidatur sonst gar nicht laut werden lassen. Das Abstimmungsverhältnis im Magistrat ist vollkommen klar.
VIKTORIA
(nickt befriedigt): Hm.
BURDACH
Eine erfreuliche Aussicht. Oberhaupt einer großen Stadt, die sich weitet und Zukunft hat ... Sieben Jahre freie Bahn vor ihm. Und wer weiß, ob er sie zu Ende geht!
VIKTORIA
Wie meinen Sie das?
BURDACH
Oh, die Chancen sind gewaltig. Von der Kommunalpolitik steigt heute die große Leiter auf. Die Beispiele sind zahlreich. (Er sieht Viktoria an.) Ich denke Sie mir mit Vergnügen in einem Ministerpalais an der Wilhelmstraße.
VIKTORIA
Sie haben Phantasie.
BURDACH
Wenn ich was zu sagen hätte ... ich würde unbedingt dafür stimmen, aber unbedingt. Ministerfrauen sind meistens schrecklich ...
VIKTORIA
(unterbricht ihn): Noch Tee?
BURDACH
Bitte.
VIKTORIA
Aber Rum kriegen Sie keinen mehr, den vertragen Sie nicht.
BURDACH
Gnädige Frau, mein Eindruck wird sich nicht ändern und wenn Sie mir nichts als Milch zu trinken geben. (Kleine Pause.) Aber besser ist’s natürlich, Herr Thoss wird nicht Minister.
VIKTORIA
So? Warum?
BURDACH
Nun, sehr einfach: weil Sie dann hierbleiben müssen. (Da Viktoria die Brauen hochzieht): Weil man Sie dann bei allen offiziellen Gelegenheiten sehen wird. Da weiß so ein armer Journalist doch wenigstens, wo er bei den langweiligen Reden hinschauen muss.
VIKTORIA
(lacht): Sie meinen, da muss ich jetzt überall mit dabei sein?
BURDACH
Na, überall nicht. Aber wenn zum Beispiel irgendwas eingeweiht wird, dann schon.
VIKTORIA
(mit leichter Resignation): Ja, ja.
BURDACH
Oder wenn die Stadt ein Bankett gibt für einen greisen Dichter.
VIKTORIA
Dann sitz’ ich neben dem Greis. Das wird lustig!
BURDACH
Für den Greis wird das sogar sehr lustig. Da weiß er wenigsten, warum er so alt geworden ist ... Oder sagen wir – es wird eine Ausstellung eröffnet ...
VIKTORIA
Das kommt ja nicht so häufig vor.
BURDACH
Jede bessere Stadt hat im Sommer ihre Ausstellung. Wenn Sie dabei sind, dann denkt niemand an das Defizit.
VIKTORIA
Ganz unlogisch, was Sie da sagen! Das Defizit merkt man doch nicht bei der Eröffnung, das merkt man am Schluss.
BURDACH
Aber sicher ist’s schon bei der Eröffnung.
VIKTORIA
Sagen Sie einmal, wollen Sie Ihr Interview auch auf diesen Ton stellen?
BURDACH
Soll ich? Sie brauchen es nur zu wünschen.
VIKTORIA
Wozu überhaupt diese Vorbereitung durch die Presse? Wozu die Versammlung morgen Abend? Die Wahl vollzieht der Magistrat, nicht wahr? Die Bevölkerung hat dabei doch gar keine Stimme.
BURDACH
Die Bevölkerung muss aber da Gefühl haben, dass sie den neuen Mann selbst gewünscht hat.
VIKTORIA
Und dazu muss man ihr den Wunsch zuerst suggerieren?
BURDACH
Natürlich. Daraus besteht Politik.
MÄDCHEN
(kommt): Gnädige Frau, eine Dame ist draußen.
VIKTORIA
Eine Dame? Wer denn?
MÄDCHEN
Vielmehr keine richtige Dame. Eher eine Frau.
VIKTORIA
Sie machen aber feine Unterschiede, Betty!
MÄDCHEN
Eigentlich fast schon ein Weib.
VIKTORIA
(lacht): Ein Weib! Führen Sie sie herein!
(Das Mädchen lässt Frau VogI eintreten, eine Frau um die Fünfzig, derb, mit allen Kennzeichen großer Gutmütigkeit. Jetzt sehr erregt. Sie trägt keinen Hut.)
FRAU VOGL
Ja, da wär i! I bin die Frau VogI. (Da das nicht die erwartete Wirkung ausübt): Die Frau Vogl bin ich, Herr Stadtrat! (Ohne eine Unterbrechung zuzulassen): Nein, sagen’s nur gar nix! G’setz is G’setz, i woaß scho, und Ausnahmen ko ma net machn und die Zeit’n san schwer und d’ Stadt braucht aa ihr Geld ...
VIKTORIA
Frau Vogl, hören Sie einmal ...
FRAU VOGL
Naa (= nein)! BaI i zuhör’, is’s scho g’fehlt. Dann redt der Herr Stadtrat so g’scheit, dass i Ja sag’ und abzieh. Und mit mei’n Toni is aus!
BURDACH
Aber Sie irren sich ja!
FRAU VOGL
Naa, i irr mi net. Jetz bin i amal da und jetz sag i mei’ Sach. A zwoats Mallass’n S’ mi doch nimmer eini. (In anderem Ton): Herr Stadtrat, i bitt Sie, ich bitt Sie um alls in der Welt: I ko’s doch net zahln, es is halt zu viel, was soll i denn macha. Hab’n S’ halt a Einseh’n!
BURDACH
(fast schreiend): Frau Vogl!
FRAU VOGL
Naa, nix Frau Vogl! I hör nix, i siech nix! I woaß bloß, dass ‘s um mei’n Toni geht, und mei Toni is doch mei Alles. Herr Stadtrat, i bitt Sie ...
BURDACH
(schreiend): Ich bin aber nicht der Herr Stadtrat!
FRAU VOGL
(in ganz anderem Ton, nicht mehr laut): Sso! Sie san gar net der Herr Stadtrat! Was sitzen S’ denn nachher da und trinken Kaffee mit der gnädigen Frau?
VIKTORIA
(sehr freundlich): Sie, Frau Vogl, das ist eigentlich mehr unsere Sache.
FRAU VOGL
Da haben S’ Recht, gnä Frau, da ham Sie vollkommen Recht. I mein bloß, dös hätt er ja sag’n könna. Was lasst er mi denn red’n und red’n und is es überhaupts net. Er is überhaupt no viel z’ jung. Der ko’ ja gar kei Stadtrat net sein.
BURDACH
(gutmütig): Ich werd schon älter werden, Frau Vogl.
VIKTORIA
(alles ohne jede Ungeduld): Mein...
Erscheint lt. Verlag | 9.10.2017 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Dramatik / Theater |
ISBN-10 | 3-7448-9327-8 / 3744893278 |
ISBN-13 | 978-3-7448-9327-5 / 9783744893275 |
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