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Epilog mit Enten (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
576 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43044-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Epilog mit Enten -  Sabine Friedrich
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Die Geschichte einer großen, unmöglichen Liebe »Berlin, 1976: ein Jahrhundertsommer. Ich war achtzehn, eine Schülerin aus dem Westen, du fünfundzwanzig, ein kleiner Dealer. Es begann, wie solche Lieben eben beginnen, besessen, verrückt, als ein großer Rausch.« Fast vierzig Jahre später blickt sie zurück: auf die Reisen auf dem Hippie Trail durch Indien und Afghanistan, auf Versöhnungen, Trennungen, die Ehe in Norwegen, die Geburt der Tochter. Sie verlieren einander aus den Augen, doch dann erkrankt er an Krebs. Und sie versuchen ein letztes Mal, ihre gemeinsame Geschichte zu einem guten Ende zu führen.

Sabine Friedrich, 1958 in Coburg geboren, studierte Germanistik und Anglistik und promovierte 1989 in München. Seit 1996 lebt sie mit ihrer Familie wieder in Coburg. Ihr erster Roman >Das Puppenhaus< wurde 1997 veröffentlicht. Es folgten >Familiensilber< (2005), >Immerwahr< (2007), >Epilog mit Enten< (2016) und 2012 ihr großer Roman über den deutschen Widerstand >Wer wir sind<.

Sabine Friedrich, 1958 in Coburg geboren, studierte Germanistik und Anglistik und promovierte 1989 in München. Seit 1996 lebt sie mit ihrer Familie wieder in Coburg. Ihr erster Roman ›Das Puppenhaus‹ wurde 1997 veröffentlicht. Es folgten ›Familiensilber‹ (2005), ›Immerwahr‹ (2007), ›Epilog mit Enten‹ (2016) und 2012 ihr großer Roman über den deutschen Widerstand ›Wer wir sind‹.

TEIL I


Epilog


Einen Tag nach deinem Tod ist heute Morgen eine Ente im Garten gelandet. Es war ein weibliches Tier, eine dieser braunen Enten, die es überall gibt, halb wild und halb zahm – wild insofern, als sie keinem gehören, zahm, weil sie Menschen nicht nur nicht fürchten, sondern in ihrer Nähe leben, ihre Nähe suchen, oft genug an ihrer Nähe zugrunde gehen, wenn nämlich das Überangebot an altem Brot und anderen gebackenen Abfällen zu einer unnatürlichen Ballung von Enten in stillen oder fließenden Gewässern führt, sodass natürliche Grenzen nicht mehr eingehalten, die Paarbildungen nicht respektiert und weibliche Enten zu Tode vergewaltigt werden.

Diese Ente aber war allein. Ich war ein wenig erstaunt, dass es eine weibliche war. In der Nähe des Hauses, in dem ich mit meinem Mann lebe, fließt ein Bächlein an den Bahnschienen entlang, über die ein paarmal am Tag ein langsamer Zug die Schulkinder des Landkreises in die Stadt und wieder zurück bringt, und in diesem Bächlein lebte zwischen allerlei Kräutern und Unkräutern, zwischen alten Chipstüten und großen grauen Steinen ziemlich lange ein Entenpärchen, es kam im Frühjahr und blieb bis zum Sommer nach der Brut. Oder kam es nach der Brut, blieb übers Jahr und flog im Frühjahr zum neuerlichen Brüten fort? Schon weiß ich es nicht mehr.

Aber ich weiß, dass bei der Renovierung und Verbreiterung des Teerwegs, der parallel zu Bächlein und Bahngleisen verläuft, die weibliche Ente überfahren worden und der Erpel daraufhin fortgezogen ist. Ich habe den Vorgang selbst nicht gesehen (nur das Blut auf der Straße), aber eine Nachbarin hat mir die Sache erzählt.

Damals ebenso wie heute, als die Ente am Tag nach deinem Tod im Garten landete, fiel mir ein, wie ich an einem Sommertag vor achtzehn Jahren auf dem Heimweg in einen Stau geriet. Ich war unterwegs von Frogner nach Bygdøy, zu dem Haus, das wir beide, du und ich, damals unser Zuhause nannten, und auf der Brücke, die die Halbinsel mit dem Festland verbindet, hatte ein Fahrzeug eine Ente überrollt. Sie war nicht tot, aber es herrschte Einigkeit, dass sie es angesichts der Lage besser hätte sein sollen. Der Erpel, der bei ihr stand und raue Entenlaute ausstieß, nahm keine Notiz von den Umstehenden, die über ihr weiteres Schicksal berieten. Inzwischen stauten sich die Autos bis zum Drammensveien. Es ging gegen Mittag, und die Leute wollten zum Essen nach Hause, zu Hühnerbrust und Kalbsschnitzel, Schweine- und Rinderbraten, gedünstetem Lachs und gebratenem Dorsch. Aber keiner zeigte Ungeduld, jeder stellte angesichts des Geschehens seinen Hunger zurück. So offenbart sich die Macht einer großen Geschichte.

Ich war natürlich ebenfalls ausgestiegen. Das Kind hatte ich im Auto gelassen. Ich hatte ihm gesagt, ich sei gleich zurück: unserem gemeinsamen weißblonden Töchterchen, damals noch nicht zweijährig, das ich nicht recht in Einklang bringen kann mit der Neunzehnjährigen, die hier in diesem Haus, in dem ich dies schreibe, im Nebenzimmer sitzt und dort ich weiß nicht was tut –

Sing über meinen Knochen!

 

Aber dieser Satz gehört in eine andere Geschichte. Oder? Er gehört in die Geschichte, die ich eigentlich verfassen wollte, eine Geschichte, die mit mir persönlich gar nichts zu tun hätte, außer dass ich ihr Autor wäre, was sich von dieser Geschichte hier nicht sagen lässt, die sich selbst erzählt oder genauer gesagt mich erzählt, solange ich, während ich schreibe, immer noch weiterlebe –

Ich jedenfalls, mein achtzehn Jahre jüngeres Ich, verschloss damals das Auto, bevor ich nachsehen ging, was auf der Brücke geschehen war, so, wie ich immer das Auto verschloss, wenn ich mein Kindchen einen Moment allein ließ.

Nie ließ ich den Kinderwagen vor dem kleinen Lebensmittelladen in Bygdøy stehen, wie das andere Mütter taten, nie ließ ich das Kind im Park ohne Aufsicht, immer lebte ich in der Angst, ihr könnte in den Augenblicken meiner Abwesenheit ein Leid geschehen: Der Falke könnte auf die Küken herabstoßen, der Hund könnte das Häslein reißen oder der Wolf –

Was ich sagen möchte, ist dies: Sie wusste nichts vom Unglück der Enten. Ich wollte das verhindern. Sie wusste ja ohnehin schon immer zu viel, spürte Dinge, hatte Ahnungen. Ich glaube fest, dass sie wusste, wir würden uns trennen. Mehr noch, sie wusste, dass sie dich dann verlieren würde, dass du keiner von den lieben, bemühten Besuchsrechtsvätern werden würdest, die pünktlich jedes zweite Wochenende vor der Tür ihrer Exfrau stehen und um ihre Kinder betteln, sondern du würdest dich benehmen wie ein Billigangebot im Supermarkt: Wenn weg, dann weg. Einmal von mir getrennt, würdest du dich einen feuchten Dreck um sie scheren, wie du dich seit je im Grunde auch um mich –

Aber so geht es nicht. Wenn die Räder, die uns durch diese Geschichte tragen sollen, in diese Schienen geraten, stürzen wir.

 

Was ich sagen möchte, ist dies: In dem Winter, bevor wir uns trennten, bevor ich dich verließ, bevor du begonnen hast, sie zu verlassen, wich sie dir keinen Moment mehr von der Seite. Sie hängte sich an dich: an ihren Vater, sie klammerte sich an diesen Vater, sie war nicht bereit, auch nur einen einzigen kostbaren Moment mit ihm zu verlieren, und an dem Sonntag, als sie und ich ein letztes Mal die königlich-norwegische Versuchsfarm Bygdø Kongsgård besuchten, wo wir so oft den Schäfchen und den Kälbchen und den Pferden zugesehen hatten, saß sie im Nieselregen in ihrem Kinderwagen und weinte. Dabei konnte sie wirklich nicht ahnen, dass dies das letzte Mal war. Ich selbst war mir ja noch nicht im Klaren darüber.

Aber als ich zum Auto zurückkehrte, an dem Tag auf der Brücke nach Bygdøy: Damals wusste sie nichts. Sie wusste nichts vom Verhängnis der Enten. Sondern sie sang, alleine im Auto, wie schon sehr kleine Kinder singen können.

Mamama dadada lalela –

 

Und also soll nichts widerrufen werden.

Es gibt dieses Kind, und damit erscheint unsere Begegnung zwingend. Die bestimmt vermeidbar gewesen wäre. Sicher hätten wir einander aus dem Weg gehen, einander im letzten Moment noch entkommen können, so wie all die anderen Paare, die zu ihrem Glück keine geworden sind: Sie betritt das Zimmer, das er soeben verlässt. Er sieht sie vom Riesenrad, wie sie Zuckerwatte kauft und in der Menge verschwindet. Sie nimmt an der Rezeption den Pass seiner Begleiterin entgegen. Er stirbt beim Versuch, sie aus dem Feuer zu retten, mit ihnen beiden geht die Titanic unter, sie zielt mit einem alten Armeerevolver auf seinen Kopf –

Und warst das wirklich jedes Mal du? Auch der im Lazarett, der im abfahrenden Zug, der ganz oben in den Zweigen des Kirschbaums?

Die Große Begegnung: ein Handeln unter Wiederholungszwang.

 

Denn das ist der schlimme Verdacht, der mich in den vielleicht vierzig Stunden, die seit deinem Tod vergangen sind, ergriffen hat. Was, wenn man einander niemals loswürde, in diesem Leben nicht und nicht im nächsten? Wenn man Leben für Leben nacheinander suchen müsste: ein Mann und eine Frau, die einander für immer verfehlen, immer wieder die Chance vertun, Mal um Mal einander zu spät erkennen, wieder ist der Falke aus großer Höhe herabgestürzt, Krähen haben ihn getötet, und nun findet das Königskind keine Freude mehr, wieder hat die Hindin der Pfeil durchbohrt, das helle Fell ist blutverklebt, und nun, zu spät, erkennt der Jäger ihre wahre Gestalt –

Eine Frau kauert auf der Bettkante im Hospiz, und sie sehen einander an.

Vergib, vergib.

 

Noch einmal sehen sie einander an, obschon seine Augen ihr Gesicht nur noch momentelang festhalten können, und in diesen Momenten ist es ihr, als wollte er sich ihre Züge einprägen, sie sich merken für das nächste Mal.

Was sie mit Entsetzen erfüllt.

Sie möchte keinesfalls, dass es noch einmal von vorn losgeht. Sie möchte sich befreien, die Last abwerfen und sie zusammen mit ihm beerdigen, sie möchte sich und ihm gestatten, Hauptfiguren in einer anderen Geschichte zu werden als in dieser, ihrer eigenen. Sie ist entschlossen, sich und ihm die Freiheit zu schenken und endlich an der Geschichte weiterzuarbeiten, die zu schreiben ich mir vorgenommen hatte, bevor uns dieser Quatsch dazwischengekommen ist, dieser Todesfall, der im Übrigen angekündigt war, seit sechs Jahren immer wieder angekündigt und immer wieder verschoben, offenbar gab es Terminfindungsschwierigkeiten.

Offenbar konnte Gevatter Tod sich nicht dazu durchringen, beherzt zu Ende zu führen, was der Familienrichter vor sechzehn Jahren angefangen hatte: die beiden zu scheiden, endlich den Strick zu durchschlagen, der sie aneinander fesselt.

Im Ernst? Ach komm.

Ja. Wohin?

Dorthin, wo der andere steht und ruft.

Bis zum nächsten Mal! Bis zum nächsten Mal –

 

Ich stehe am Teich. Der Teich ist winzig, eigentlich nur ein Tümpel, ein mit Folie ausgekleidetes Loch an der Stelle, wo vor ein paar Jahren der Wurzelstock des maroden Pflaumenbaums entfernt worden ist. Wahrscheinlich ist es der Teich, der die Ente angezogen hat. Der Hund sah sie zuerst. Er stand an der Glastür, hochbeinig, mit gesträubtem Widerrist, den Kopf schief gelegt, leise winselnd vor ungläubiger Begeisterung. In seiner Herkunftsregion, einer rauen Weltgegend, wo es selbst im Sommer nicht selten graupelt, gehört es zu seinen rassetypischen Aufgaben, nach geglücktem Schuss zügig das eisige Wasser anzunehmen, ohne sich jedoch unkontrolliert hineinzustürzen, und sodann ruhig, konzentriert und ohne...

Erscheint lt. Verlag 9.12.2016
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Afghanistan • Berlin • Frauenroman • Freie Liebe • Gesellschaftsroman • Goa • Hippies • Hippie-Trail • Indien • Iran • Jahrhundertsommer • Krebserkrankung • Lebensgeschichte • Liebesgeschichte • Nepal • Norwegen • Reiseerzählung • Reiseroman • Siebzigerjahre • West-Berlin
ISBN-10 3-423-43044-3 / 3423430443
ISBN-13 978-3-423-43044-9 / 9783423430449
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