Briefe aus Kurdistan 1954-1963 (eBook)

Zwischen Krieg und Idyll - Ein Leben im Straßenbau

Bernard Wittmann (Autor)

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2008 | 1. Auflage
267 Seiten
Verlag Hans Schiler
978-3-89930-303-2 (ISBN)

Infos

Bernard Wittmann: Ingenieur, Familienvater, ehemaliger Kz-Häftling und fleißiger Briefeschreiber. In einer Zeit, die der Brieftaube näher zu liegen scheint als dem Telefon, und die doch erst ein halbes Menschenleben entfernt ist, baute er im irakischen Kurdistan zehn Jahre lang Straßen, Brücken und Freundschaften. Kein soziologisches oder historisches Vorurteil, keine politische Agenda verstellt Wittmann den Zugang zu dieser fremden Gesellschaft: Ihm reichen gute Nerven, Karl-May-Lektüre und gesunder Menschenverstand um Kurdistan begreifen und schätzen zu lernen. Dann kommt die Revolution von 1958, der Barzani-Aufstand, Umstürze. Krieg in Kurdistan! Bald werden nicht nur Nachbardörfer ausradiert, auch das Camp der Straßenbauer gerät zwischen den Fronten unter täglichen Beschuß. Wittmanns Briefe nach Deutschland schwanken zwischen Idyll und Abgrund, zwischen Panik und dem Versuch die Familie daheim nicht zu beunruhigen. So entsteht ein berührend um Objektivität bemühtes, und doch urdeutsch-subjektives Bild einer Gesellschaft, die damals noch so unendlich weit entfernt schien.

Textauszug

Per Schwäb`scher Bimmelbahn" gen Norden (S. 16-17)

Niemand hatte mich darauf vorbereitet, daß ich innerhalb von nur 24 Stunden auf zwei grundverschiedene Völker und Kulturen stoßen würde, und sogar im selben Land! Mit dieser Erfahrung wurde ich gleich nach meiner Ankunft im Irak konfrontiert. Mitten in der Nacht landete mein Flugzeug in Baghdad, der Hauptstadt des arabischen Irak. Als rund 24 Stunden später mein Schlafwagenzug in Kirkuk einfuhr, fand ich mich im rein kurdischen Irak wieder, befand mich aber immer noch in dem arabischen Land Irak. Ich schluckte, rieb mir die Augen, aber selbst ein Neuling wie ich konnte sehen: Hier gibt es nur Kurden, kaum Araber.

Diese Erkenntnis war so überwältigend, daß ich meine Berichte aus dem Land der Kurden zu euch nach Deutschland mit dieser Erkenntnis beginnen mußte. Stellt euch vor, ich sei in München gelandet und müsse jetzt erst mal nach Hamburg rauf, um näher an meinen neuen Standort, ca. 4 Autostunden östlich von Hamburg zu kommen. Bei immer noch 30°,C bestieg ich abends den Zug nach Kirkuk. Unser Bähnle, Schmalspur, hatte 14 Wagen, davon 3 Schlafwagen. Nach 300 km und weiteren rund elf Stunden zogen wir in Kirkuk ein. Unterwegs: Wüste, Wüste, Wüste, Sand, Sand, Sand.

Wir ließen während der Fahrt eine herrliche Staubwolke hinter uns zurück. Auf der Taxifahrt ins Hotel fühlte ich mich erschlagen von dem Lärm, den Menschenmassen, der Menschenvielfalt: Kurden, Engländer, Franzosen, Amerikaner, und dazwischen Esel, Kamele, Ziegen, Autos jeder Type: VW, Mercedes, Cadillac, alte Pe, Ford und Pferdekutschen. Ich war gerädert und erschlagen, registrierte aber trotzdem zwei Dinge: Wie malerisch alles aussah, und daß es kaum Araber gab, ich war in eine Kurden-Stadt gekommen. Es war erst halb 8 Uhr morgens und doch brannte die Sonne schon unbarmherzig mit 32°,C im Schatten. Nach diesem Durcheinander erschien mir das Hotel am Bahnhof wie eine Oase: Palmen, gepflegter Rasen, Blumen.

Wie in Baghdad gab es nur eine Priorität für mich: Baden, umziehen, und ein gutes Frühstück. Eine Stunde später wurde mir aus Sulaimaniyah telefonisch mitgeteilt, daß ich um 16 Uhr abgeholt würde. Es blieb wenig Zeit mich ein wenig umzuschauen. Vieles sieht arm und schmutzig aus, aber im Basar gibt es wunderbares orientalisches Kupferhandwerk, Silberschmiede und Goldschmiede. Es ist ein Zanken und Feilschen, alles Armenier und Kurden, Araber selten. Frauen habe ich keine gesehen und wenn, dann nur verschleiert. Dafür gab es Kinder ohne Zahl, alle im "Nachtpölterchen", wie man in Westfalen sagt.

Sehr drollig sehen die Kleinen aus. Für ein Glas Tee in einer Tschaikana, d.h. einer Teestube, bezahlte ich 10 Pfg. Meine Schuhe ließ ich mir putzen: 15 Pfg. Selbst ich habe mir nie im Leben die Schuhe so toll putzen können. Per Pferdekutsche ließ ich mich ins Hotel zurückfahren, badete, schlief und pünktlich wie die Feuerwehr wurde ich 16 Uhr vom Firmenauto aus Sulaimaniyah abgeholt. Und jetzt wurde ich sogleich mit einer Sitte meines neuen Reiches vertraut gemacht."

Produkt-Details

• Erscheint lt. Verlag: 1.1.2008
• Sprache: deutsch
• Themenwelt: Literatur ► Romane / Erzählungen
• Themenwelt: Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung
• ISBN-10: 3-89930-303-2 / 3899303032
• ISBN-13: 978-3-89930-303-2 / 9783899303032