Sammelband der göttlichen Dilogie (Night and Shadows) (eBook)
910 Seiten
Impress (Verlag)
978-3-646-60866-3 (ISBN)
Linda Winter, 1985 in Deutschland geboren, zog es früh in die Ferne. Nach einem Auslandsjahr in Australien studierte sie Archäologie und Interkulturelle Kommunikation und arbeitete bei den Vereinten Nationen, ehe sie ihre Liebe für das Schreiben wiederentdeckte. Heute lebt sie in ihrer Wahlheimat Wien, reist am liebsten durch die Welt und schreibt fantastische Geschichten für Jugendliche.
Linda Winter, 1985 in Deutschland geboren, zog es früh in die Ferne. Nach einem Auslandsjahr in Australien studierte sie Archäologie und Interkulturelle Kommunikation und arbeitete bei den Vereinten Nationen, ehe sie ihre Liebe für das Schreiben wiederentdeckte. Heute lebt sie in ihrer Wahlheimat Wien, reist am liebsten durch die Welt und schreibt fantastische Geschichten für Jugendliche.
BEFREIUNG
Eine halbe Ewigkeit hatte sie in der Dunkelheit verbracht. Diese Reaktion war zu erwarten gewesen, obgleich sie gehofft hatte, fünf Jahre Gefangenschaft und Folter hätten ihre Sinne abgestumpft und sie gegen alles abgehärtet, was kommen möge. Doch die vergangenen Qualen waren nichts im Vergleich zu dem Schmerz, der hinter ihrer Stirn explodierte, als die ersten Sonnenstrahlen ihr Gesicht trafen.
Sie zuckte vor dem gleißenden Licht zurück wie eine Spinne vor saurem Essig, kniff krampfhaft die Augen zusammen. In purer Verzweiflung krallte sie sich in die dicken Vorhänge des Gefährts.
Wo war sie? War sie tot? War das ihr ganz persönliches Jenseits?
Panik erfasste sie. Sie wollte umkehren, zurück in den Fels. Zurück in die Dunkelheit. Alles war besser als das hier.
Doch die Götter zeigten kein Erbarmen. Unsanft stieß man sie vorwärts und der vermeintlich rettende Stoff entglitt ihren Fingern.
Nun denn. Sie musste sich wohl oder übel ihrem Schicksal ergeben. Wieder einmal. Man sollte meinen, sie hätte sich mittlerweile daran gewöhnt, keine Kontrolle über ihr Leben zu haben. Doch mit Fremdbestimmung war das so eine Sache. Man war nicht mit dem Herzen dabei. Sie verstand, warum man ihr die Freiheit nahm, und sie wollte gehorchen. Leider war sie kein gewöhnliches Geschöpf. Gehorsam lief ihrer Natur zuwider.
Glücklicherweise war sie geübt darin, ihre Natur zu verleugnen. Denn es war besser so. Für sie, für diese Welt und für die Götter.
Also biss sie die Zähne zusammen und tastete mit ihren Zehen nach den Wagenstufen. Doch sie fand keinen Halt auf der wackeligen Holztreppe. Die schweren Metallringe um ihre Knöchel behinderten sie und ihre nackten Füße waren schwitzig und noch blutig von dem langen Marsch über die Brücke der ewigen Finsternis. Es kam, wie es kommen musste und ihre Ferse rutschte an der Stufenkante ab. Kurz wog sie ab, ob es schmerzhafter wäre, auf dem knochigen Hintern, statt auf dem Gesicht zu landen, da hatte die Anziehungskraft bereits für sie entschieden. Sie kippte nach vorn und riss im letzten Moment die Arme über den Kopf. Handballen und Knie trafen auf harten Stein. Die Bodenplatten waren heiß wie die gusseisernen Klappen eines Steinofens. Doch der Schmerz blieb aus, die folternde Sonne blockierte alle anderen Empfindungen.
War dies ihr Ende? Wollte man sie bei lebendigem Leib verbrennen?
Eine grauenhafte Vorstellung. Dennoch zerrte sie nur halbherzig an den Fesseln, die ihre Handgelenke in einem ebenso eisernen Gefängnis hielten wie ihre Fußknöchel. Schließlich gab sie auch ihre letzte schwache Gegenwehr auf und legte ihre Stirn erschöpft auf dem heißen Boden ab, durchforstete ihre Bewusstseinsebenen nach einer, in der es dunkel und kalt war. Es war erträglicher, den Schmerz anzunehmen, als ihn zu bekämpfen. Das wusste sie aus langjähriger Erfahrung.
»So lass mich ihr doch Wasser geben, Vater! Siehst du nicht, dass sie Wasser braucht?«
Sie hob ihren Kopf, vergaß für einen Moment zu atmen. Die Stimme drang mühelos durch Schichten aus Schmerz, Erinnerungen und ewig kreisenden Gedanken. Es waren die ersten Worte, die sie nach einhundertdreizehn Tagen vernahm. Und trotz der Dringlichkeit, die ihnen nachhallte, wurden sie von einer sanften Melodie getragen, die eine ähnlich beruhigende Wirkung auf ihre Nerven hatte wie plätscherndes Wasser.
Es waren Worte in der Sprache des Wassers.
»Wir alle brauchen Wasser«, ertönte eine zweite Stimme, die weder sanft noch plätschernd war, sondern monoton, durchdringend und dabei irgendwie leidend. Eine unangenehme Kombination. »Aus diesem Grund haben wir sie befreit. Soll sie die Folgen des Krieges ihrer Mutter am eigenen Leib zu spüren bekommen.«
Aus reinem Instinkt wollte sie ihre Ohren mit den Händen schützen. Warum ließ man sie mit ihren Qualen nicht wenigstens allein? Ihre Arme jedoch gehorchten ihrem Befehl nicht. Die Muskeln waren müde und die schweren Ringe aus Iridium um ihre Handgelenke gruben tiefe Wunden in ihr Fleisch. Ein Stöhnen entkam ihrer rauen Kehle und sie krallte ihre abgekauten Fingernägel in eine Bodenfuge. Bringt mich zurück. Bitte.
Sie nahm lieber die Dunkelheit als das Licht.
»Wenn sie verdurstet, wird sie uns nicht mehr helfen können, Vater«, erklang wieder die erste Stimme. »Ich bitte dich.«
Sie wünschte, sie könnte mit ihm um Wasser flehen. Aber ihre Lippen waren ausgetrocknet und klebten aufeinander und ihre Stimmbänder hatte sie so lange nicht mehr benutzt, dass sie an ihrer Funktionstüchtigkeit zweifelte.
»Chaotal, bringe meinen Sohn auf seine Gemächer«, befahl die unangenehme Stimme.
Vater und Sohn. Sprache des Wassers. Dieser Hinweis war bedeutsam, doch ihr träges Gehirn kam mit der Erklärung nicht hinterher.
»Aber Vater, diese Angelegenheit betrifft mich ebenso, wie sie dich betrifft. Lass mich ihr …«
»Ruhe!«, schnitt sein Vater ihm das Wort ab. »Gehe auf deine Gemächer, Avan. Ich werde dich rufen, sobald ich dich brauche.«
Avan. Sie kannte diesen Namen.
Sie vernahm noch ein gedämpftes, leicht verärgertes Murmeln, gefolgt von leisen Schritten, die sich entfernten. Es beschlich sie das beklemmende Gefühl, dass auch jegliche Aussicht auf Wasser mit ihnen verschwand. Ehe sie eine durstige Verzweiflungstat begehen konnte, griffen Hände unter ihre Achseln und zerrten sie auf die Füße. Die glühende Feuerkugel am Himmel brannte sich weiter erbarmungslos durch die Lider in ihre Netzhaut. Sie hätte Meerwasser getrunken, hätte man es ihr angeboten. Tränen rollten über ihre Wangen, obwohl sie aufs Äußerste dehydriert war.
Sie wünschte, sie besäße kein Augenlicht. Im Fels hatte sie es nicht gebraucht. Und sie hatte ihren Frieden mit der ewigen Dunkelheit geschlossen. Hatte sich im Geiste von ihren Sternen verabschiedet. Warum entzog man sie dieser friedlichen Finsternis?
»Vorwärts!«, befahl eine raue Männerstimme an ihrem Ohr. Eine üble Alkoholfahne erreichte sie. Der Arme musste sich ordentlich einen angetrunken haben, bevor er dazu verdonnert worden war, sie abzuholen. Sie empfand Mitleid. Und Schuldgefühle.
Also bemühte sie sich, ihm zu gehorchen. Bedauerlicherweise war sie des Laufens nicht mehr mächtig – zudem watete sie wie durch dichten Nebel, seitdem man ihr im Fels einen bitteren Trank eingeflößt hatte, der sie von einer Bewusstlosigkeit an die nächste übergeben hatte, ehe sie am Boden eines ratternden Gefährts wiedererwacht war. Noch jetzt vibrierten ihre Knochen.
Kurzerhand zogen die Männer sie wie einen Sack Kartoffeln mit sich, zerrten sie rücksichtslos eine Treppe hinauf. Ihre Fußrücken schleiften über scharfe Kanten. Es stank nach Staub und Blut. Sie hörte Fliegen um ihren Kopf surren.
Als ihre Füße über eine buckelige Erhebung gezogen wurden, verschwand die Sonnenscheibe hinter ihren Lidern. Innerlich seufzte sie vor Erleichterung. Die Helligkeit jedoch blieb, wurde gelegentlich durchbrochen von schemenhaften Schatten, die keine Schatten waren. Sie kannte echte Schatten. Sie war der Schatten.
»Auf die Knie!«, befahl der Vater. Schwere Hände legten sich auf ihre Schultern und sie wurde niedergedrückt. Ihre Beine klappten zusammen und sie landete mit einem dumpfen Aufprall auf ihren knochigen Knien.
»Gebt ihr den Trank.«
Ja, bitte. Gebt mir den Trank. Schickt mich zurück in die Finsternis. Bitte.
Finger vergruben sich in ihren Haaren, rissen ihren Kopf so brutal zurück, dass ihr Nacken ungesund knackte. Etwas wurde an ihre rissigen Lippen gesetzt, Feuchtigkeit benetzte sie. Ein unterdrückter Schmerzensschrei entkam ihrer Kehle, als sie ihre Lippen öffnete, um der rettenden Flüssigkeit Einlass zu gewähren. Gierig schluckte sie. Doch es war kein Wasser, das ihren Mund füllte. Es war alles andere als das. Der Trank schmeckte bitter und war kaum mehr als ein Tropfen.
Nicht schon wieder.
Ihr Magen zog sich krampfhaft zusammen und eine heftige Woge der Übelkeit übermannte sie. Der Griff um ihre Haare lockerte sich. Sie fiel vornüber, würgte und würgte – doch ihr Magen war leer und heraus kam nur bitterer Schleim.
»Schluss damit!«
Ihr Brechreiz versiegte nur langsam. Tränen und bittere Galle tropften von ihrem Kinn in die offenen Wunden an ihren Handgelenken, brannten wie Feuer. Die Bitterkeit breitete sich in ihrem Körper aus und ein stechender Kopfschmerz raubte ihr kurzzeitig die Sinne. Sie fühlte sich am Rand einer Ohnmacht. Wie gern würde sie sich über diesen Rand fallen lassen. Sie vermisste die Dunkelheit.
»Wie heißt du?«
War da was? Die Worte verflüchtigten sich in dem Nebel, der ihren Geist gefangen hielt, ehe ihre Bedeutung sie erreichte. Möglicherweise waren es ihre eigenen Stimmen. Die, mit denen sie fünf Jahre eine düstere Felshöhle am Rande der Welt geteilt hatte. Sie schüttelte verwirrt den Kopf, leckte sich mit bitterer Zunge über die aufgeplatzten Lippen.
»Ich fragte, wie dein Name lautet!« Die Worte waren nun so laut und durchdringend...
Erscheint lt. Verlag | 17.2.2022 |
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Reihe/Serie | Night and Shadows | Night and Shadows |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | Bundle • ebook bundle • Fantasy Liebesromane • fantasy romance deutsch • Götter Fantasy • götter liebesromane • götter liebesromane deutsch • High Fantasy Bücher • impressbundle • impress ebooks • Prinzessin Liebesroman deutsch • Romantasy Bücher • romantische Fantasy Bücher |
ISBN-10 | 3-646-60866-8 / 3646608668 |
ISBN-13 | 978-3-646-60866-3 / 9783646608663 |
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Größe: 7,4 MB
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