Was mir von dir bleibt (eBook)
368 Seiten
Arctis Verlag
978-3-03880-122-1 (ISBN)
Adam Silvera wurde in der Bronx, New York, geboren. Bevor er mit dem Schreiben begann, arbeitete er als Buchhändler und Rezensent für Kinderbücher. Sein Roman Am Ende sterben wir sowieso steht seit vielen Monaten auf Platz 1 der New York Times-Paperback-Bestsellerliste und hat auch in Deutschland die SPIEGEL-Bestsellerliste erreicht. Silvera lebt in Los Angeles und hat inzwischen eine riesige internationale Fangemeinde; sein Werk wurde bis dato in über 30 Sprachen übersetzt.
Adam Silvera wurde in der Bronx, New York, geboren. Bevor er mit dem Schreiben begann, arbeitete er als Buchhändler und Rezensent für Kinderbücher. Sein Roman Am Ende sterben wir sowieso steht seit vielen Monaten auf Platz 1 der New York Times-Paperback-Bestsellerliste und hat auch in Deutschland die SPIEGEL-Bestsellerliste erreicht. Silvera lebt in Los Angeles und hat inzwischen eine riesige internationale Fangemeinde; sein Werk wurde bis dato in über 30 Sprachen übersetzt.
GESCHICHTE
SONNTAG, 8. JUNI 2014
Heute schreibe ich Geschichte.
Die Zeit rast schneller als die Züge der L-Linie, in der ich gerade sitze, trotzdem ist alles gut, denn mir gegenüber sitzt Theo McIntyre. Den ich seit der Unterstufe kenne, seit er in der Pause meinen Blick einfing, mich zu sich winkte und sagte: »Hilf mir mal, Griffin. Ich bau Pompeji wieder auf.« Die Puzzleversion aus hundert Teilen natürlich. Ich hatte keine Ahnung von Pompeji und hielt den Vesuv für die Machtzentrale irgendeines Comicbösewichts. Theos Hände aber, die die Teile nach Farben sortierten und so die gepflasterten Straßen von den aschebedeckten Trümmern trennten, zogen mich in ihren Bann. Ich half beim Himmel und vermurkste die Wolken. Mit dem Puzzle kamen wir an dem Tag nicht weit, aber seitdem sind wir unzertrennlich.
Heute wollen wir herausfinden, ob die verborgenen Schätze auf einem legendären Flohmarkt in Brooklyn tatsächlich so überteuert sind, wie alle sagen. Also lassen wir Manhatten hinter uns und machen uns auf den Weg ans andere Ufer. Doch ob Brooklyn oder Manhattan, ob unser Schulhof oder Pompeji: Heute, an diesem geradzahligen achten Juni, werde ich unsere Spielregeln ändern. Bleibt nur zu hoffen, dass Theo danach noch weiterspielen will.
»So ganz allein zu sitzen, ist doch auch mal angenehm«, sage ich.
Tatsächlich gähnt in unserm Waggon eine fast schon verdächtige Leere. Ich hinterfrage sie nicht. Träume stattdessen davon, für immer diesen und jeden anderen Raum mit Theo zu teilen, mit diesem Alleswisser, diesem Hobby-Kartografen, Puzzle-Champion, Animationskünstler und passionierten Leutegucker. In einer vollen Bahn quetschen wir uns meist eng zusammen, drücken Hüften und Arme aneinander wie bei einer Umarmung, nur dass ich nicht so schnell wieder loslassen muss. Blöd, dass er mir heute nur gegenübersitzt, aber immerhin hab ich eine herrliche Aussicht: blaue Augen, die in allem etwas Staunenswertes finden (selbst in U-Bahn-Werbung für Zahnbleaching), blonde Haare, die bei Regen einen Hauch dunkler werden, und heute dazu das Game of Thrones-Shirt, das ich ihm im Februar zum Geburtstag geschenkt habe.
»Leute gucken ohne Leute ist gar nicht so leicht«, sagt Theo und blickt mich scharf an. »Dann muss ich wohl mit dir vorliebnehmen.«
»Auf dem Flohmarkt kriegst du bestimmt noch genug interessante Leute zu sehen. Hipster zum Beispiel.«
»Das sind doch keine Leute, das sind Poser.«
»Ach, komm schon, ein paar von denen haben echte Gefühle unter ihren Vintage-Beanies und Karohemden.«
Theo steht auf und macht einen kläglichen Klimmzug an einer der Haltestangen. Zu Höhenflügen verhilft ihm eindeutig sein Hirn und nicht sein Bizeps. Deswegen gibt er auch schnell wieder auf und schwingt dafür zwischen den Sitzen vor und zurück, als wäre er ein U-Bahn-Trapezkünstler. Wenn es nach mir ginge, würde er mit einem Salto auf den Platz an meiner Seite fliegen und basta. Aber er schwingt weiter und streckt ein Bein zum Sitz neben mir aus. Dabei rutscht ihm sein Shirt hoch, und obwohl meine Augen eigentlich seinem Grinsen treu bleiben wollen, müssen sie insgeheim seine entblößte Haut betrachten. Wer weiß, vielleicht bekommen sie nach heute nie wieder Gelegenheit dazu.
Mit einem Ruck hält die Bahn an und wir steigen aus. Endlich.
Klar, Manhattan ist unser Zuhause und deswegen zieht Theo auch nie drüber her, trotzdem weiß ich, dass er die besprayten Häuserwände hier in Brooklyn lieber mag. Auf dem Weg zum Flohmarkt zeigt er mir seine Lieblingswände, die uns heute in der Sommersonne umso farbenfroher entgegenstrahlen: ein kleiner Junge in Schwarz-Weiß, der über die bunten Blockbuchstaben des Wortes TRAUM spaziert; ein leerer Spiegel, der in einer so abgefahren perfekten Schreibschrift, dass sie der von Theo Konkurrenz macht, die Schönste im ganzen Land finden will; ein Passagierflieger, der Neptun umkreist und daher gerade irreal genug ist, um meine Flugangst nicht zu wecken; eine Handvoll Ritter, die wie die Tafelrunde um den Planeten Erde herumsitzen. Was das alles bedeuten soll, kapieren weder Theo noch ich, aber egal, wir finden’s verdammt cool.
Der Weg zu dem Flohmarkt am East River zieht sich ganz schön in dieser Hitze. Irgendwann entdeckt Theo einen Eiswagen, und wir investieren zehn Dollar in zwei Slushys, deren Geschmack aber gegen null geht, sodass wir genau genommen nur Eismatsch zu kauen bekommen.
Als wir endlich da sind, bleibt Theo vor einem Tisch voller Star Wars-Artikel stehen und dreht sich mit gerümpfter Nase zu mir um. »Siebzig Dollar für das Spielzeug-Lichtschwert da?«
Flüstern ist ein Fremdwort für Theo. Was ein echtes Problem ist.
Die Mittvierzigerin, die das Teil verkaufen möchte, blickt auf. »Ist ein Rückrufartikel«, informiert sie uns schnippisch. »Voll selten, eigentlich sollte ich viel mehr verlangen.« Auf ihrem T-Shirt sagt Prinzessin Leia: SUCH DIR WOANDERS NE JUNGFER IN NÖTEN!
Theo lächelt entspannt in ihre angenervte Miene. »Hat damit einer ’nen Obi-Wan abgezogen und wem den Arm abgehaun?«
Mein Wissen über Star Wars hält sich sehr in Grenzen, das Gleiche gilt bei Theo für Harry Potter. Theo ist der einzige mir bekannte Sechzehnjährige, der nicht über unser aller Lieblingszauberer Bescheid weiß. Einmal haben wir nachts eine geschlagene Stunde darüber gestritten, wie ein Duell zwischen Lord Voldemort und Darth Vader ausgehen würde. Ein Wunder, dass wir überhaupt noch Freunde sind.
»Die Klappe vom Batteriefach bricht leicht ab und Kinder stecken sich die Dinger offenbar ständig in den Mund«, sagt die Frau gerade und spricht aber nicht mehr mit Theo, sondern mit einem ähnlich glücklosen Altersgenossen von ihr, der planlos einen R2-D2-Wecker in den Händen dreht.
»Also dann.« Theo tippt zum Abschied die Hand an die Schläfe und geht weiter.
Wir schlendern ein paar Minuten umher (sechs Minuten, um genau zu sein). »Sind wir hier fertig?«, frage ich. Es ist heiß, ich zerfließe und wir konnten uns definitiv davon überzeugen, dass viele der Schätze hier weit mehr kosten, als erlaubt sein sollte.
»Scheiße, nein, wir sind hier nicht fertig«, entgegnet Theo. »Wir können doch nicht mit leeren Händen zurückfahren.«
»Dann kauf dir halt was.«
»Warum kaufst du mir nicht was?«
»Mit dem Lichtschwert kannst du doch eh nichts anfangen.«
»Nein, Blödmann, was anderes.«
»Dann gehe ich aber recht in der Annahme, dass du mir auch was kaufst, oder?«
»Klingt fair«, stimmt Theo zu. Er guckt auf seine Sonnen-Armbanduhr des Todes, die echt gefährlich ist, das heißt im Klartext: »zum Tragen absolut ungeeignet«. Ich habe keine Ahnung, wie oder aus welchem Grund sie überhaupt hergestellt wurde, denn ihr spitzer Zeiger hat schon so viele Nichtsahnende – mich eingeschlossen – verletzt, dass Theo sie längst ins Feuer werfen und den Hersteller bis aufs letzte Hemd hätte verklagen sollen. Stattdessen trägt er sie trotzdem, weil sie eben so anders ist. »Okay, wir treffen uns in zwanzig Minuten am Eingang. Auf die Plätze, fertig …«
»Los.«
Theo stürmt davon und rennt dabei fast einen Mann mit Bart um, der ein kleines Mädchen auf den Schultern trägt. Innerhalb von Sekunden ist er außer Sichtweite. Ich überprüfe die Zeit auf meinem Handy – es ist 16:18 Uhr, gerade Minute – und flitze in die andere Richtung, tief hinein in dieses riesige Labyrinth aus käuflichen Relikten des menschlichen Alltags. Vorbei an Kisten voller ausgelatschter Turnschuhe, an einem schmuddeligen Kabinett aus verschmierten Spiegeln, an Blümchentüchern, die im Wind eines versteckten Ventilators wehen, und an Eimerchen voll Muscheln, aus denen Bastelpinsel ragen.
Die Muscheln sind ganz cool, schreien aber nicht zwangsläufig »Theo!«.
Wenig später lande ich endlich in einer Ecke, die definitiv nach Theos Geschmack ist. Hier ein Traumfänger in seinem Lieblingsgrün, dort ein ganzer Tisch voller Flaschenschiffe. Seit Kurzem verfolgt Theo die Idee, selbst so ein Flaschenschiff zu basteln, und er hat sich schon einiges dazu angelesen. Vermutlich kommt am Ende mindestens ein Flaschenraumschiff dabei raus, denn für Theo muss immer alles besonders sein. Selbst ein Flaschenschiff.
Mir bleibt noch alle Zeit der Welt, na ja, wenn der Welt nur noch zwölf Minuten bleiben. Zu blöd, dass Theo kein großer Fantasy-Fan ist, denn die Brieföffner hier sind echt cool, aber vielleicht hat er sie ja auch schon entdeckt und mir einen gekauft, am liebsten den, der aussieht wie eine Schwertscheide, oder den mit dem Knochengriff. Alles gut, mir bleibt noch alle Zeit der Welt … wobei, nein, doch nicht, denn laut Handy sind jetzt nur noch neun Minuten übrig. Krumme neun Minuten, die mich ziemlich nervös machen. Ich kratze hektisch meine schwitzigen Handflächen und renne weiter. Irgendwie gerate ich so allerdings nur wieder in eine Gegend, die mir überhaupt nicht weiterhilft. Schließlich braucht Theo, der morgens nur Cornflakes mit Orangensaft mampft, keine Töpfe oder Pfannen, um sich ein reichhaltiges Frühstück zuzubereiten, und auch Gartenwerkzeug würde er nur dann anfassen, wenn er damit Videospiele und Computerprogramme heranzüchten könnte.
Dann aber stoße ich auf den Jackpot.
Puzzles.
Blick aufs Handy: sechs Minuten noch. Meine Nervosität ist wie weggeblasen, stattdessen bin ich Feuer und Flamme. Ich hänge oft genug bei Theo rum, um zu wissen, dass er von denen hier noch kein einziges hat:...
Erscheint lt. Verlag | 22.3.2019 |
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Übersetzer | Christel Kröning, Hanna Christine Fliedner |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | becky albertalli • Bestseller • LGBT • Liebe • Trauer • Verlust |
ISBN-10 | 3-03880-122-4 / 3038801224 |
ISBN-13 | 978-3-03880-122-1 / 9783038801221 |
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Größe: 1,3 MB
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