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Little Brother - Homeland (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2013
448 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-11244-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Little Brother - Homeland - Cory Doctorow
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Vor einigen Jahren hat sich Marcus Yallow mit Homeland Security angelegt - und gewonnen. Nun ist er Webmaster für einen aufstrebenden Politiker, der dem von Wirtschaftskrisen gebeutelten Kalifornien Reformen verspricht und gegen die staatliche Überwachung vorgehen will. Doch dann bekommt Marcus von Masha, seiner früheren Gegenspielerin, einen USB-Stick mit brandheißen und streng vertraulichen Daten zugesteckt, die er veröffentlichen soll. Er zögert, denn wenn er sich dazu bekennt, kostet ihn das seinen Job. Wenn er aber nicht mitspielt, machen die Behörden munter weiter. Was soll er tun? Und dann sind da auch noch die verdächtigen Gestalten, die Marcus immer enger beschatten ...

Cory Doctorow, 1971 in Toronto geboren, ist Schriftsteller, Journalist und Internet-Ikone. Mit dem Blog boingboing.net und seinem Kampf für ein faires Copyright hat er weltweite Bekanntheit erlangt. Seine »Little Brother«-Romane wurden internationale Bestseller. Cory Doctorow ist verheiratet, hat eine Tochter und lebt in Los Angeles.

1

Beim Burning Man war ich gleichzeitig einer der meistfotografierten und am wenigsten überwachten Menschen der Welt.

Ich zog meinen Burnus höher, sodass er Mund und Nase bedeckte, und steckte ihn unter den Rand meiner großen, verkratzten Schutzbrille. Die Sonne stand hoch am Himmel, es waren fast vierzig Grad, und durch das bestickte Baumwolltuch war die Hitze noch drückender. Doch der Wind hatte gerade aufgefrischt und wirbelte eine Menge Staub in der Playa auf einer Salztonebene voll feinem Gipssand, trügerisch pulverig und weich, aber alkalisch genug, dass einem die Augen brannten und die Haut völlig austrocknete. Nach zwei Tagen in der Wüste hatte ich gelernt, dass Schwitzen immer noch besser war, als zu ersticken.

So ziemlich jeder auf dem Festival hatte irgendeine Kamera dabei natürlich vor allem Smartphones, aber auch große Spiegelreflexapparate, altmodische Rollfilmkameras und sogar eine uralte Plattenkamera, deren Besitzer sich vor dem Staub unter ein riesiges schwarzes Tuch geflüchtet hatte. Allein beim Gedanken daran wurde mir heiß. Alles hier war staubgeschützt; am besten, man steckte seine Sachen einfach in einen Schnellverschlussbeutel, so wie ich das auch mit meinem Handy getan hatte. Langsam drehte ich mich um die eigene Achse, versuchte, ein Panoramabild aufzunehmen, und merkte, dass der Mann, der gerade hinter mir vorbeilief, eine Schnur hielt, die zu einem großen Heliumballon gut hundert Meter über ihm führte. Am Ballon hatte er eine Videokamera montiert. Außerdem war der Mann völlig nackt.

Na ja, nicht ganz er trug schon noch Schuhe. Das war verständlich, denn der alkalische Staub hier konnte wirklich fies sein. Die Füße werden so trocken, dass die Haut ganz rissig wird und sogar abblättert. Alle hier waren sich einig, dass so was richtig scheiße war.

Burning Man ist ein Festival, das jedes Jahr im September, am Wochenende vor dem Labor Day mitten in der Black Rock Desert in Nevada stattfindet. Dann versammeln sich fünfzigtausend Menschen in dieser unglaublich heißen, staubigen Landschaft und bauen gemeinsam eine Stadt: Black Rock City. Jeder in der Stadt ist automatisch auch Teilnehmer. »Zuschauer« ist gleichbedeutend mit »Gaffer« und ein übles Schimpfwort in Black Rock City. Von jedem hier wird erwartet, dass er irgendwas macht und den anderen die verdiente Aufmerksamkeit schenkt (daher auch die vielen Kameras). Beim Burning Man ist jeder Teil der Show.

Ich war zwar nicht nackt, hatte mir heute früh aber mit farbigem Zinkstift ein paar aufwendige Mandalas auf die unbedeckten Stellen meiner Haut malen lassen. Die Künstlerin eine ältere Frau in einem Batik-Brautkleid, die meine Mutter hätte sein können hatte wirklich gute Arbeit geleistet. Das ist noch so was Typisches beim Burning Man: Alles läuft auf der Basis von Geschenken, sodass man ständig wildfremden Leuten kleine Gefallen anbietet und sich im Gegenzug wirklich wohl in der Stadt fühlt.

Ich erkannte mich selbst kaum wieder, nachdem die Malerin mit mir fertig war, und auf meinem Weg nach Neun Uhr waren haufenweise Handys auf mich gerichtet.

Black Rock City ist wie eine richtige Stadt: Es gibt sanitäre Einrichtungen (Toilettenhäuschen mit dreckigen Gedichten, die einen ermahnen, ja nichts außer Klopapier reinzuwerfen), Strom und Internet (auf Sechs Uhr, im Zentrum der ringförmigen Stadt), so was Ähnliches wie eine Regierung (die Veranstalter), mehrere kleine Zeitungen (von denen jede bessere Arbeit leistet als die großen Blätter da draußen!), ein Dutzend Radiosender, eine freiwillige Polizei (die Black Rock Rangers, die auf dem Gelände in Tutus, Glitzerfarbe und Hühnerkostümen patrouillieren) und zahllose Annehmlichkeiten der modernen Welt.

Es gibt aber keine allgemeine Überwachung: keine Sicherheitskameras, keine Straßensperren abgesehen vom Einlass am Haupttor, wo die Eintrittskarten eingesammelt werden , keine Ausweiskontrollen, keine Durchsuchungen, keine Kontrolle auf Schritt und Tritt durch RFID-Chips oder den eigenen Netzbetreiber. Allerdings gibt es dafür auch kein Handynetz. Die einzigen motorisierten Fahrzeuge sind die vorab registrierten Mutantenautos, die verrückten Art Cars, sodass auch die Überwachung via Nummernschild oder elektronischem Mautsystem wegfällt. Das WLAN ist unverschlüsselt, und der Datenverkehr wird nicht protokolliert. Die Fotos, die man macht, dürfen nur für private Zwecke verwendet werden, und es gilt einfach als höflich, die Leute vorher zu fragen, ehe man eine Nahaufnahme von ihnen macht.

So lief ich also im Schutz meines silberblauen Burnus, unter dem ein Schlauch zu der Wasserflasche an meinem Gürtel führte, durch die Staubwolken und war gleichermaßen Fotograf wie Motiv, beobachtet, doch nicht überwacht, und es fühlte sich herrlich an.

»Juhu!«, rief ich dem Staub zu, den Art Cars, den Nackten und der riesigen Holzfigur, die mitten in der Wüste mit ausgebreiteten Armen auf einer Pyramide stand. Das war er der Mann, den wir am Samstagabend verbrennen würden, deshalb hieß das Festival ja auch Burning Man. Ich konnte es kaum noch erwarten.

»Bist ja gut drauf«, stellte da ein Jawa neben mir fest. Trotz des Verzerrers in der Atemmaske hätte ich die Stimme des kapuzentragenden Wüstenbewohners jederzeit erkannt.

»Ange?« Wir hatten uns den ganzen Tag über verpasst. Ich war eine Stunde vor ihr aufgewacht und hatte mich aus dem Zelt gestohlen, um den Sonnenaufgang anzusehen (ist eine unglaubliche Erfahrung). Seitdem hatten wir uns immer Nachrichten hinterlassen, wo wir als Nächstes hingingen.

Den ganzen Sommer über hatte Ange an diesem Umhang gearbeitet: Tücher nahmen den Schweiß auf und leiteten ihn über die Haut, sodass er beim Verdunsten für zusätzliche Kühlung sorgte. Darüber lag der charakteristische, fleckig-braune Stoff, der ein wenig an eine Mönchskutte erinnerte, selbst geschneidert und gefärbt. Zwei einander überkreuzende Patronengurte betonten ihre Brüste, wodurch das ganze Outfit ganz schön kriegerisch und einfach umwerfend wirkte. Es war das erste Mal, dass sie es in der Öffentlichkeit trug, aber hier, im blendend hellen Staub, war sie ungelogen der überzeugendste Wüstenbewohner, der mir je untergekommen war. Wir umarmten uns, und sie drückte so fest, dass ich kaum noch Luft bekam einer ihrer gefürchteten Knuddel-Griffe.

»Ich hab deine Farbe verschmiert«, stellte sie durch den Verzerrer fest.

»Und ich deinen Umhang.«

Sie zuckte die Achseln. »Ist doch egal! Wir sehen beide toll aus. Also, was hast du erlebt, was hast du gemacht, und wo bist du gewesen, junger Mann?«

»Wo soll ich da anfangen?« Ich war durch die strahlenförmig angelegten Straßen gewandert und hatte mir die ganzen skurrilen Sachen angesehen. In einem Camp stellten die Leute mit einer gefährlich wirkenden Mühle aus riesigen Eisblöcken Speiseeis her. In einem anderen gab es eine linoleumbeschichtete Rutsche, die man auf einem fliegenden Plastikteppich runterrodeln konnte. Ein paar Liter Abwasser reichten schon, um auf dem Linoleum ordentlich Tempo zu kriegen, und nebenbei wurde man so auch gleich sein graues Wasser los (so nannte man das Wasser, das man zum Duschen, Geschirrspülen oder Händewaschen benutzt hatte schwarzes Wasser hieß es, wenn es Fäkalien enthielt). Eine der Regeln beim Burning Man lautet, keine Spuren zu hinterlassen wenn wir wieder gingen, würden wir jedes noch so kleine Stück von Black Rock City mit uns nehmen, auch das graue Wasser. Jeder Tropfen Wasser, der auf der Rutsche verdunstete, war also ein Tropfen, den wir nicht den ganzen Weg bis Reno würden mitnehmen müssen.

Es gab etwas speziellere Camps, in denen Pärchen lernen konnten, wie man einander fesselt; ein »Junkfood-Glory-Hole«, durch das man geheimnisvolles und meist sehr ungesundes Essen in den Mund geschoben bekam (bei mir waren es völlig überzuckerte Cornflakes, dazu Marshmallows mit Kokosgeschmack, in der Form von Sternzeichen); woanders konnte man sich Wüstenräder leihen, die zwar völlig staubverkrustet waren, aber auch liebevoll mit Glitzerteilchen, Kunstfell, Glöckchen und komischen Fetischen verziert; in einem Teehaus hatte ich eine japanische Sorte probiert, von der ich noch nie was gehört hatte (der Tee war etwas säuerlich, aber wirklich köstlich); es gab Camps voll mit verrücktem Krimskrams, andere widmeten sich der Physik oder optischen Täuschungen; es gab Camps für Männer und Frauen und auch ein relativ unbeaufsichtigtes Kindercamp, wo mit viel Gerenne und Geschrei gerade irgendein großes Spiel ablief so viele Dinge, die ich mir nie hätte träumen lassen.

Und dabei hatte ich erst einen kleinen Teil von Black Rock City kennengelernt.

Ich erzählte Ange, an was ich mich noch erinnern konnte, und sie nickte, sagte »ooh« und »aah« und wollte wissen, wo ich das alles gesehen hatte. Dann erzählte sie mir von ihrem Tag: von Frauen oben ohne, die einander die Brüste bemalten; von einer kompletten Blaskapelle; von einem mittelalterlichen Katapult, das uralte kaputte Klaviere verschoss, während die Zuschauer in Erwartung des finalen Klangs, mit dem jedes Klavier auf dem harten Wüstenboden zerschellte, den Atem anhielten.

»Es ist einfach unglaublich!« Sie sprang mehrmals aufgeregt hoch, sodass ihre Patronengurte klimperten.

»Ich weiß. Und wenn ich daran denke, dass wir’s fast nicht hierher geschafft hätten «

Ich hatte...

Erscheint lt. Verlag 30.9.2013
Reihe/Serie Little Brother
Little Brother
Übersetzer Oliver Plaschka
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Homeland
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch Kinderbücher bis 11 Jahre
Schlagworte ab 14 • Cory Doctorow • Cory Doctorow, Little Brother, Homeland, Internet, Wikileaks, Zukunft, Jugendthriller, Marcus Yallow, Überwachung, Sicherheitswahn • dystopie fantasy • eBooks • Edward Snowden • hacktivist • Homeland • Internet • Jugendbuch • Jugendbücher • Jugendthriller • Julian Assange • Korruption • Little Brother • Little Brother Reihe • Marcus Yallow • Sicherheitswahn • Überwachung • Überwachungsstaat • Widerstand • WikiLeaks • Young Adult • Zukunft
ISBN-10 3-641-11244-3 / 3641112443
ISBN-13 978-3-641-11244-8 / 9783641112448
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