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Geheime Dienste (eBook)

Die politische Inlandsspionage des BND in der Ära Adenauer
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
1400 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-527-9 (ISBN)

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Geheime Dienste - Klaus-Dietmar Henke
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Reinhard Gehlen hat in der Öffentlichkeit stets bestritten, dass die von ihm geleitete Organisation politische Inlandsspionage betreibe. Tatsächlich gehörte dies jedoch zu ihren zentralen Tätigkeitsfeldern, wie in diesem Buch auf der Grundlage bislang geheimer Akten nachgewiesen wird. Ins Visier des BND-Vorläuferapparates gerieten dabei Institutionen, Personen und Milieus, die nicht in das konservativ-autoritäre Weltbild Gehlens und seiner Mitarbeiter passten oder dem Kurs von Bundeskanzler Adenauer kritisch gegenüberstanden. Sie wurden ausgeforscht und bekämpft - bis hin zum Rufmord. Dreh- und Angelpunkt dieser geheimen Dienste für Bonn war das symbiotische Verhältnis zwischen Gehlen, der 1956 zum BND-Präsidenten aufstieg, und Hans Globke, dem starken Mann im Bundeskanzleramt.
Klaus-Dietmar Henke gibt einen umfassenden Einblick in die illegalen Machenschaften der Organisation Gehlen. Dabei zeigt sich, dass deren kämpferischer Antikommunismus lediglich als Fassade für einen obrigkeitsstaatlichen Antiliberalismus diente, der sich gegen die allmähliche Demokratisierung der jungen Bundesrepublik stellte.
(Band 10 der Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945-1968)



Klaus-Dietmar Henke, Jahrgang 1947, Zeithistoriker; 1979-1992 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte München, ab 1986 stv. Chefredakteur der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte; 1992-1996 Abteilungsleiter Bildung und Forschung der Gauck-Behörde in Berlin; 1997-2012 Univ.-Prof. für Zeitgeschichte in Dresden, bis 2002 zugleich Direktor des Hannah-Arendt-Institus für Totalitarismusforschung; 2007-2021 Beiratsvorsitzender der Stiftung Berliner Mauer; 2011-2022 Sprecher der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des BND 1945-1968; zahlreiche Publikationen zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert.

II. Unendliche Konfliktgeschichte: BND gegen Verfassungsschutz


1. Rivalität von Anfang an


Nach dem von Hans Globke und Reinhard Gehlen gemeinsam gestarteten Versuch, die Zuständigkeiten für die äußere und innere Sicherheit in einem »Bundesministerium für das Sicherheitswesen« zusammenzuführen – er wurde vom Bundeskanzler gestoppt1 –, entspann sich mit dem Amtsantritt von Otto John als Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), wie dargelegt, eine verbissene persönliche Auseinandersetzung zwischen Gehlen und ihm.2 Darüber hinaus begann sich eine Konfliktgeschichte zwischen BND und BfV zu entfalten, bei der es im Kern darum ging, wie die Zuständigkeiten bei der Spionageabwehr und der Gegenspionage verteilt sein sollten. Ohne dass es zu einer befriedigenden Lösung gekommen wäre, wogte dieser Streit bis zum Ausscheiden Gehlens im Frühjahr 1968 hin und her. Wir haben es hier jedoch nicht nur mit einem gewöhnlichen Kompetenzstreit zu tun, wie er zwischen Behörden auf benachbarten Feldern eher die Regel als die Ausnahme ist. Vielmehr war es dem BND die gesamte Gehlen-Zeit über darum zu tun, sich möglichst lange auf dem Feld der Spionageabwehr zu behaupten, weil sie ihm als Deckmantel seiner politischen Inlandsspionage diente. Schließlich verlieh seine innenpolitische Zuarbeit für das Kanzleramt dem Dienst ein institutionelles Gewicht, das ihn weit über eine gewöhnliche Bundesoberbehörde hinaushob.

Es ging in diesem Streit außerdem immer auch um den Primat in Sicherheitsfragen. Bis zur »Legalisierung« der Organisation Gehlen als Bundesnachrichtendienst im Frühjahr 1956 war dieses Tauziehen insofern besonders delikat, als sich der Apparat einer fremden Macht in Pullach mit Rückendeckung des Kanzleramts in unmittelbare Konkurrenz zu der 1950 geschaffenen neuen Bundesoberbehörde in Köln begab. Diese Auseinandersetzung wurde sofort akut, da das Verfassungsschutzamt seine Fähigkeiten bei der Spionageabwehr »schneller als erwartet«3 zum Tragen bringen konnte. Das Tauziehen schien jedoch entschieden, als Otto John Mitte Juli 1954 plötzlich in Ost-Berlin auftauchte und das BfV in eine Existenzkrise stürzte. Sogleich versuchte die Organisation Gehlen die Katastrophe der Kölner Rivalen für sich zu nutzen, um endlich und endgültig die Oberhoheit zu gewinnen. Das markierte den Beginn der zweiten Etappe dieser unendlichen Konfliktgeschichte.

Das anfängliche Bestreben, den Verfassungsschutz aus dem Gehlen-Dienst heraus zu entwickeln, war mit dem vergeblichen Versuch des Bundeskanzlers gescheitert, der Alliierten Hohen Kommission Reinhard Gehlen als Präsidenten des neuen Amtes schmackhaft zu machen.4 Das bedeutete allerdings keineswegs das Ende der Bestrebungen von Globke und Gehlen, Inlands- und Auslandsnachrichtendienst nach Möglichkeit zu fusionieren, mindestens aber die Zuständigkeit der Organisation Gehlen bzw. des BND auch für die Spionageabwehr zu sichern, der Bekämpfung gegnerischer Geheimdienste im eigenen Land (III-C), die an sich Sache des Verfassungsschutzes war. Die Gegenspionage, das Eindringen in fremde Dienste (III-F), galt ohnehin als ureigene Domäne des Auslandsnachrichtendienstes. Während des Aufbaus des BfV hatte das Kanzleramt die Org explizit darum gebeten, sie möge vorübergehend bei der Aufklärungsarbeit gegen den Kommunismus aushelfen. Die erbetene Unterstützung für eine Übergangszeit legitimierte allerdings (wie gelegentlich behauptet) in keiner Weise den umfassenden Dominanzanspruch des Gehlen-Dienstes bei der Spionageabwehr/Gegenspionage, dem »III-Gebiet«. Das Bestreben Gehlens, auch bei der Spionageabwehr eine führende Rolle einzunehmen, mochte bis zu einem gewissen Grad aus deren typischer Verschränkung mit der Gegenspionage begründbar erscheinen. Mehr noch stand dahinter jedoch sein Wille, die massive Inlandsspionage fortzuführen und auszubauen, die seit 1946 ja unter der Flagge der »Spionageabwehr« betrieben wurde.

Ende 1950, der zunächst kommissarisch bestallte neue BfV-Präsident war erst wenige Tage im Amt, erteilte Gehlen die Weisung: »Alles über John sammeln«.5 Umgehend liefen die ersten Meldungen ein, und Kurt Kohler, Leiter der Spionageabwehr, beschrieb Gehlen sorgenvoll »unsere Situation im Hinblick auf das Erstarken des Bundesamtes für Verfassungsschutz«.6 Die eigene Spionageabwehr/Gegenspionage sei noch nicht gut entwickelt, hielt er fest, wohingegen das Amt bereits mit einer Tätigkeit hervortrete, »die geeignet ist, die Arbeit der eigenen Organisation in vielen Punkten zu überschneiden und zu überflügeln«. In Einzelfällen gehe das BfV sogar schon von der Spionageabwehr zur Gegenspionage über. Die Kölner drohten zum »gefährlichsten Konkurrenten« zu werden, »dem die eigene Organisation je gegenübergestanden« habe, vor allem bei der »gesamten innenpolitischen Berichterstattung«, die in der Tat der politische Trumpf Pullachs war. Bei der Spionageabwehr könne der Verfassungsschutz als offizielle Bundeseinrichtung »viel schneller, besser und rationeller« arbeiten als man selbst, hieß es zutreffend weiter; an vielen Informationen der Org zeige Köln schon gar kein Interesse mehr, da er besser im Bilde sei. Kohler stellte daher die naheliegende Frage, ob man auf den innenpolitischen Gebieten überhaupt noch tätig bleiben solle, »auf denen das BfV kraft seiner Autorität, seiner Möglichkeiten und seiner Rentabilität zu wesentlich besseren Ergebnissen kommen muss«, oder ob es nicht die klügere Option sei, stattdessen bei der Gegenspionage eine »Monopolstellung« zu erlangen. Dieser Vorschlag zur Selbstbescheidung stieß bei »Dr. Schneider« auf taube Ohren, hätte er den Dienst damit doch selbst eines tragenden Pfeilers beraubt.

Im Sommer 1951 hatten Globke und Gehlen ihre Versuche noch nicht aufgegeben, die endgültige Bestätigung von Otto John als Verfassungsschutzpräsident durch das Kabinett zu hintertreiben.7 Das schlug jedoch ebenso fehl wie der Versuch, die Stellung des »Doktors« durch einen organisatorischen Schachzug zu stärken. Das Memorandum über die wünschenswerte nachrichtendienstliche Spitzengliederung, das Globke bei Gehlen bestellt hatte, plädierte nämlich dafür, den Leiter der Org zum nachrichtendienstlichen Berater des Kanzlers zu machen. Damit würde er in Pullach zwar formell ausscheiden, den Zugriff auf seinen Apparat aber faktisch behalten – ein neuerlicher Anlauf, die »institutionelle Bündelung der Kompetenzen des Bundes auf dem Gebiet der äußeren und inneren Sicherheit« zu erreichen.8

Daraus konnte allerdings schon deswegen nichts werden, weil eine Verschmelzung von Inlands- und Auslandsnachrichtendienst für die drei Besatzungsmächte nicht in Frage kam. Nolens volens trafen sich Reinhard Gehlen und Otto John daher Mitte September 1951 und legten einige grobe Richtlinien ihrer Zusammenarbeit fest.9 Danach sollten sämtliche Informationen über die Wirtschaftslage und die Nachrichtendienste des Ostblocks sowie über die KPD ausgetauscht werden. Der Verfassungsschutz versprach, eigene Ausarbeitungen »über westliche politische Gruppen, Organisationen usw.« zur Kenntnis zu geben. Außerdem waren Begegnungen vorgesehen, bei denen sich die Mitarbeiter beschnuppern und gegenseitige Vorurteile abbauen sollten. Einiger praktischer Wert kam für Pullach der Absprache zu, dass sich die eigenen Mitarbeiter bei einer etwaigen Verhaftung gegenüber der Polizei als Mitarbeiter des Verfassungsschutzes ausgeben durften, um die Dinge anschließend in Ruhe bereinigen zu können. Das waren nützliche Absprachen, doch regelten sie weder das Verhältnis von Gehlen-Dienst und Verfassungsschutz zueinander noch den eigentlichen akuten Streitpunkt, wer welche Befugnisse auf dem »III-Gebiet« beanspruchen konnte.

Sechs Wochen nach diesem Agreement starteten Gehlen und Globke einen neuerlichen, einstweilen letzten Versuch, sich den Zugriff auf die reguläre Inlandsaufklärung offenzuhalten. Der vom starken Mann im Kanzleramt angeforderte »Vorschlag für Gliederung und Aufbau eines deutschen Nachrichtendienstes«10 von Anfang November argumentierte geschickter als das obsolete Plädoyer eines nachrichtendienstlichen Beraters des Bundeskanzlers. Auf den ersten Blick sprach sich das Memorandum auch für eine Trennung von Inlands- und Auslandsnachrichtendienst aus, suchte aber dennoch nach einer Möglichkeit, die umkämpfte, in die Kompetenz des BfV fallende Spionageabwehr im künftigen Bundesnachrichtendienst anzusiedeln. Semantisch geschah das mit dem Begriff der »Gegenaufklärung«. In dem Abschnitt über die Aufgaben der Abteilung Gegenspionage schrieb Gehlen nämlich, diese sei »das Führungsorgan des BND für die gesamte Gegenaufklärung und die Gegenspionage«. Mit dem neuen Begriff...

Erscheint lt. Verlag 24.5.2022
Reihe/Serie Veröffentlichungen der UHK zur BND-Geschichte
Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des BND
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Geisteswissenschaften Geschichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Adolf Eichmann • Bonner Republik • Bundeskanzleramt • Bundesrepublik • CDU • CSU • DDR • FDP • Geheimdienste • Hans Globke • Helmut Kohl • Inlandsspionage • Instrumentalisierung • KGB • Konrad Adenauer • Kurt Georg Kiesinger • Machtmissbrauch • Politische Gegner • Reinhard Gehlen • SED • SPD • Spionage • Theodor Oberländer • Verfassungsschutz • Watergate • Willy Brandt
ISBN-10 3-86284-527-3 / 3862845273
ISBN-13 978-3-86284-527-9 / 9783862845279
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