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Vom Hoffnungsträger zum Prügelknaben (eBook)

Die Treuhandanstalt zwischen wirtschaftlichen Erwartungen und politischen Zwängen 1989-1994

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
752 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-520-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Vom Hoffnungsträger zum Prügelknaben - Andreas Malycha
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Eine Vermessung der Treuhandanstalt

Welche Erwartungen und wirtschaftspolitischen Vorstellungen verknüpften sich mit der Gründung der Treuhandanstalt? Wie gestalteten sich Personalaufbau, Organisationsstruktur und Arbeitsweise? Andreas Malycha analysiert Aufbau und Entwicklung der viel diskutierten Institution.
Er lotet ihre Rolle im politischen Kräftefeld sowie ihre Handlungsspielräume und Zwänge aus. Von besonderer Bedeutung ist dabei das Verhältnis der Treuhandzentrale zu den Bundesbehörden in Bonn. Die Untersuchung reicht vom Herbst 1989 über die Phase der Umstrukturierung nach der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion unter Detlev Karsten Rohwedder bis zum Ende der Amtszeit Birgit Breuels im Dezember 1994. Nie zuvor wurde die umstrittene Anstalt so umfangreich in den Blick genommen.



Andreas Malycha, Jahrgang 1956, hat in Leipzig Geschichte studiert und anschließend an verschiedenen Universitäten und Forschungsinstituten zur Geschichte des politischen Systems der DDR sowie zur deutsch-deutschen Wissenschafts- und Wirtschaftsgeschichte gearbeitet. Seit 2010 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin. Gegenwärtig forscht er zur Geschichte der Treuhandanstalt. Wichtige Publikationen: 'Die SED. Geschichte ihrer Stalinisierung 1946-1953' (2000), 'Die SED in der Ära Honecker. Machtstrukturen, Entscheidungsmechanismen und Konfliktfelder in der Staatspartei 1971 bis 1989' (2014).

I. Wirtschaftsverwaltung im Übergang


Am Ende der 1980er-Jahre war die Wirtschafts- und Sozialpolitik der SED endgültig gescheitert. Der wirtschaftliche Verfall konnte nun nicht mehr übersehen und auch nicht mehr durch politische Propaganda schön geredet werden. Es hatte sich gezeigt, dass das Konzept, die kostspielige Sozialpolitik aus einem starken Wirtschaftswachstum heraus zu finanzieren, wegen der leistungsschwachen Wirtschaft nicht funktionierte. Letztlich führten neben wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen die Strukturfehler der zentralstaatlichen Planwirtschaft zu deren finaler Krise.1

Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der DDR reichte zudem nicht aus, um sich dauerhaft als staatlich eigenständiges Gebilde an der Grenze zur Bundesrepublik behaupten zu können. Der von SED-Chef Erich Honecker und dem Sekretär für Wirtschaft des Zentralkomitees (ZK) der SED, Günter Mittag, in den 1980er-Jahren unternommene Versuch, mit intensivierten deutsch-deutschen Handelsbeziehungen der DDR ein wirtschaftliches Überleben zu sichern, scheiterte nicht nur am ökonomischen Ungleichgewicht der Handelspartner, sondern insbesondere an der mangelnden politischen Legitimität der SED-Herrschaft.2

Eine wesentliche Rolle spielten auch die Entwicklungen auf dem Weltmarkt, in die die DDR-Wirtschaft trotz ihrer engen Handelsbeziehungen zur UdSSR stark eingebunden war. Die von der SED propagierte Strategie der Weltmarktintegration gelang nicht, obwohl die DDR versuchte, Anschluss an die internationale Technologieentwicklung zu finden. Diese Bemühungen liefen weitgehend ins Leere, weil die SED-Führung nicht bereit war, die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse den Erfordernissen moderner Technologien anzupassen.3 Partei- und Planbürokratie schufen eben keine günstigen strukturellen Voraussetzungen, um die importieren Technologien erfolgreich zu nutzen. So blieben die erhofften Effekte trotz immenser Förderung der Mikroelektronik aus.4 Innerhalb der Apparate von Partei und Staat kam man nicht auf den Gedanken, dass in modernen Gesellschaften wirtschaftliches Wachstum und wissenschaftliche Leistungsfähigkeit überwiegend auf nicht planbarer und voraussehbarer Innovation beruht. Das planwirtschaftliche System, so wie es bis zum Ende der DDR existierte, war darum eher ein Hemmnis als ein Vehikel wirtschaftlicher und wissenschaftlich-technischer Innovation.5

Im Herbst 1989 hatte ein Großteil der Wirtschaftsfunktionäre in Partei und Staat den Glauben an die Reformfähigkeit des bestehenden Planungs- und Wirtschaftssystems verloren.6 Damit war eine zentrale Säule der SED-Herrschaft aufgeweicht. Die Resignation und der Unmut der Funktionäre über die starrsinnige Reformverweigerung der Parteispitze zählten letztlich zu den zentralen Faktoren der innerparteilichen Erosion, die dem Ende der SED-Herrschaft vorausging.7 Deren Ausmaß im Herrschaftsapparat der Partei bildete eine entscheidende Bedingung für den rasanten Zusammenbruch der SED-Herrschaft im Herbst 1989.

Zugleich machten die anschwellende Ausreisewelle, die Dynamik der Demonstrationsbewegung und der Massenproteste sowie die sich formierende Opposition im Oktober und November 1989 die fehlende Legitimation der SED-Diktatur nunmehr deutlich sichtbar.8 Die durch die Bedingungen einer Diktatur begrenzte Loyalität der Bevölkerung war endgültig aufgebraucht, als klar wurde, dass die SED ihr Versprechen einer besseren Zukunft nicht einlösen konnte. Die in der DDR aufgewachsene Generation wollte sich nicht mehr wie ihre Mütter und Väter auf eine ferne Zukunft vertrösten lassen. Bis weit in die Mitgliedschaft der SED hinein war im Laufe der 1980er-Jahre der Glaube an die Reformfähigkeit des Gesellschaftssystems in der DDR verloren gegangen.

Jetzt begann eine fieberhafte Suche nach wirtschaftspolitischen Alternativen und gesellschaftlichen Reformkonzepten. Der Ruf nach einer umfassenden Wirtschaftsreform blieb jedoch weitgehend inhaltsleer, weil auf einen Masterplan zur Reformierung der DDR-Wirtschaft nicht zurückgegriffen werden konnte. Zunächst kam es hauptsächlich darauf an, die kriselnde Wirtschaft rasch zu stabilisieren. An einen schnellen Übergang von der bisherigen Plan- zur Marktwirtschaft war vorerst nicht zu denken. Hinzu kam die Enttäuschung darüber, dass sich die SED-Führung nicht der Reformpolitik Michail Gorbatschows anschloss.9

1. Von der Zentralen Plankommission zum Wirtschaftskomitee


Im Herbst 1989 herrschte sowohl in der SED-Führung als auch in der Staatlichen Plankommission (SPK) allgemeine Ratlosigkeit. Wenngleich mit Egon Krenz als neuem SED-Generalsekretär seit Mitte Oktober 1989 die Warnungen des Vorsitzenden der Plankommission Gerhard Schürer vor dem wirtschaftlichen Niedergang ernster genommen wurden, hatten sich angesichts von Massenprotesten, Massenausreisen und dem Erstarken der politischen Opposition im Herbst 1989 die Aussichten für die Akzeptanz eines neuen Wirtschaftskurses, der mit einem rigiden Sparprogramm verbunden werden musste, stark verschlechtert.10 Auch für den Honecker-Nachfolger Krenz kam ein Umsteuern zugunsten produktiver Investitionen in der Industrie nur in Betracht, wenn dadurch die Versorgung der Bevölkerung nicht beeinträchtigt würde. Die wirtschaftspolitischen Alternativen, die Schürer im Politbüro in den Jahren zuvor immer wieder zur Diskussion gestellt hatte, taugten nun nicht mehr zur Krisenbewältigung, weil sie stärker als jede andere Variante auf eine drastische Verringerung des Lebensniveaus der Bevölkerung hinausliefen.11 Eine Politik nach der Devise »den Gürtel enger schnallen« war angesichts der Massenproteste nicht mehr durchführbar.

Das SED-Politbüro ohne Honecker sah zwar die enormen wirtschaftlichen Probleme, doch niemand im zentralen Führungsgremium der Partei konnte brauchbare Lösungen anbieten. Die Vorschläge, die Wirtschaftsexperten seit vielen Jahren diskutiert hatten und die von Schürer im Politbüro mehrfach eingebracht worden waren, wollte dessen Mehrheit aus Angst vor weiteren politischen Erschütterungen nicht akzeptieren.12 Einen realistischen Ausweg konnten die Abteilungsleiter der SPK, mit denen Schürer die Stimmung im Politbüro und die prekäre Wirtschaftslage beriet, ebenfalls nicht anbieten. Die Experten der Plankommission stellten unter anderem fest, dass seit 1971 in der Volkswirtschaft der Konsum schneller als die wirtschaftlichen Leistungen gewachsen und insgesamt mehr verbraucht als aus eigener Produktion erwirtschaftet worden sei.13 Insbesondere die unkontrollierte Devisenverschuldung hatte die wirtschaftlichen Probleme enorm verschärft.14 Auch die Staatsausgaben im Inland waren aus den Fugen geraten. Schürer sah die DDR im Herbst 1989 vor der Zahlungsunfähigkeit stehen, was zu langwierigen und für die DDR-Volkswirtschaft schmerzhaften Umschuldungsverhandlungen mit den westlichen Gläubigerbanken geführt hätte. Deshalb, so lautete die abschließende Schlussfolgerung aus der internen Gesamtanalyse über die wirtschaftliche Lage vom 30. Oktober 1989, komme man um eine deutliche Reduzierung der gesellschaftlichen und individuellen Konsumtion und eine Absenkung des Lebensstandards nicht herum.15 Das hatte Schürer allerdings schon seit Mitte der 1970er-Jahre gefordert und war damit stets am Generalsekretär und der Politbüromehrheit gescheitert.16 Da ein Umsteuern nur mithilfe eines drastischen Sparprogramms möglich schien, gab es mit Krenz an der Spitze der Partei wiederum keinen wirtschaftspolitischen Kurswechsel.

Innerhalb der DDR-Planwirtschaft hatte die Staatliche Plankommission als zentrale Wirtschaftsverwaltung noch immer funktionale Bedeutung.17 Sie war auf der Grundlage des Gesetzes über die Regierung der DDR vom 8. November 1950 gebildet worden und Nachfolgerin des im Oktober 1949 gegründeten Ministeriums für Planung.18 Unter dem Dach des Ministerrates der DDR war sie verantwortlich für die Ausarbeitung und Realisierung der Perspektiv- und Jahrespläne zur Entwicklung der Volkswirtschaft, die von der SED-Führung beschlossen und von der Volkskammer der DDR bestätigt wurden. Die Plankommission und die ihr zugeordneten Branchenministerien erwiesen sich jedoch in den fast vier Jahrzehnten ihrer Existenz nicht in der Lage, die Planung in den verschiedenen Industriezweigen sinnvoll zu koordinieren und nach den Kriterien wirtschaftlicher Rationalität auszurichten. Dies lag nicht allein an den häufig wechselnden und permanent überzogenen wirtschaftspolitischen Vorgaben, sondern auch an den bestehenden behördeninternen Konkurrenzverhältnissen und dem unkontrollierten Eingreifen zentraler und regionaler politischer Instanzen in den Wirtschaftsablauf.19

Seit dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker im Mai 1971 herrschte an der Spitze der Plankommission Skepsis über die ökonomische Umsetzbarkeit von Honeckers Sozialpolitik. Schürer und auch seine Stellvertreter bezweifelten, dass die ökonomische Basis für die Verwirklichung der ausufernden sozialpolitischen...

Erscheint lt. Verlag 11.4.2022
Reihe/Serie Studien zur Geschichte der Treuhandanstalt
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Schlagworte Ausverkauf • Birgit Breuel • Bundeskanzleramt • Bundesministerium • Bürgerrechtler • DDR • Finanzministerium • Kombinate • Marktwirtschaft • Planwirtschaft • Privatisierung • Rohwedder • Treuhand • VEB • Volkseigene Betriebe • Volkseigentum • Wirtschaftsministerium
ISBN-10 3-86284-520-6 / 3862845206
ISBN-13 978-3-86284-520-0 / 9783862845200
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