Miss Dior (eBook)
400 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-2957-1 (ISBN)
Das bewegende Schicksal der Catherine Dior: Widerstandskämpferin, Modeberaterin und Rosenzüchterin.
Als der französische Designer Christian Dior 1947 in Paris seine erste Kollektion präsentiert, revolutioniert er die Modewelt. Seine Kreationen vereinen Romantik, Weiblichkeit und Luxus und machen ihn über Nacht weltberühmt. Diors Schwester Catherine prägte seine Vision dabei mehr als jede andere - das Parfüm Miss Dior hat er nach ihr benannt. Doch ihre bewegende Geschichte wurde noch nie erzählt: Im besetzten Frankreich, als Christian seine Couture-Fähigkeiten verfeinerte, widmete sich Catherine dem Widerstand und wurde von der Gestapo verhaftet und nach Ravensbrück verschleppt ...
Justine Picardie war in zahlreichen Archiven und reiste zu den wichtigsten Orten in Catherines Leben. Sie zeichnet das Bild einer unerschrockenen Frau und zwei mutigen Geschwistern, die schließlich in Paris wieder zusammen fanden und die Modewelt für immer veränderten.
Justine Picardie ist die ehemalige Chefredakteurin der britischen Ausgabe von »Harper's Bazaar«. Sie war auch als Feuilleton-Redakteurin der britischen »Vogue« und als Redakteurin des »Observer Magazine« tätig. Sie ist Autorin mehrerer Bücher, darunter der von der Kritik gefeierten Biographie von Coco Chanel, die zum Bestseller der »Sunday Times« wurde. Justine Picardie lebt in London. Helmut Ettinger ist Dolmetscher und Übersetzer für Russisch, Englisch und Chinesisch. Er übersetzte Ilja Ilf und Jewgeni Petrow, Polina Daschkowa, Gusel Jachina, Michail Gorbatschow, Henry Kissinger und viele andere ins Deutsche.
2
Ein Irrgarten
Catherine Dior 1947 im Alter von 30 Jahren.
Sanfter Regen fällt auf die Sommerrosen, die im Garten von Les Rhumbs blühen. Von See her kommt Nebel auf, der die Umrisse des Hauses verschwimmen lässt. In der großen Villa von Ende des 19. Jahrhunderts hoch über der Stadt Granville in der Normandie mit freiem Blick über den Ärmelkanal verbrachte Christian Dior seine Kindheit. Das ist der Grund, weshalb man dort ein Museum eingerichtet hat, um sein Erbe zu würdigen. Der von seiner Mutter angelegte Garten, der das Haus umgibt, ist heute eine für jedermann offene Parkanlage. An diesem Morgen ist es überraschend still auf dem Gelände, was an dem feuchten Wetter liegen kann. Ein paar Dutzend Besucher sind gekommen, um sich die neue Ausstellung anzusehen, die Fürstin Gracia von Monaco gewidmet ist und Kleider zeigt, die Christian Dior für sie entworfen hat.
Soeben bin ich durch die Ausstellung geführt worden. Jede Abteilung nimmt einen Raum ein, den Familie Dior im frühen 20. Jahrhundert bewohnt hat. Dabei vermischen sich in meinem Kopf die Zeiten auf wundersame Weise: Während ich Fürstin Gracias Outfits aus den 1950er Jahren bewundere und sie in den Roben, die jetzt leblos in Glasvitrinen stehen, durch Filmausschnitte gleiten sehe, suche ich in den Mauern des Gebäudes nach Spuren von Catherine Dior. Auf den Bildschirmen schreitet die tote Fürstin durch ihren Palast in Monaco und lockt mich in ihr vergangenes Leben wie in ein Gruselmärchen. Aber ich will mich nicht verführen lassen – weder von ihrer gespenstischen Präsenz, noch von ihren Hinterlassenschaften in Samt und Seide.
Vielmehr hoffe ich die so lange zurückliegende Zeit wiederzuentdecken, da Catherine ein Kind war. Doch ich spüre nichts von ihrer Anwesenheit, nicht einmal in dem kleinen Zimmer, das ihr gehörte und wo ein kurzer Text ihre Rolle in Christian Diors Lebensgeschichte so erklärt:
Catherine war Christians Lieblingsschwester. Als er 1947 sein erstes Parfüm präsentierte, nannte er es ihr zu Ehren Miss Dior und beschrieb es als den »Duft der Liebe«.
Dazu passt, dass ich bei diesem Besuch in Granville dieses Parfüm trage. Nach der Terminologie der Parfümherstellung wird es als »grünes Chypre« klassifiziert, eine Mischung der Duftnoten von Galbanum (einem Pflanzenharz mit unverkennbarem Geruch), Bergamotte, Patchouli und Eichenmoos mit der Wärme von Jasmin und Rose als Herznote. In dem Raum, der einmal Catherines Zimmer war, spüre ich für einen Augenblick diesen einzigartigen Duft. Er geht nicht von mir selbst aus, sondern von einer anderen unsichtbaren Quelle … Vielleicht von dem riesigen Parfümflakon, das Christian Dior einst Fürstin Gracia schenkte und das draußen auf dem Gang ausgestellt ist?
Keiner der Räume von Les Rhumbs ist heute noch möbliert. Stattdessen stehen dort Schränke und Vitrinen aufgereiht, in denen Artefakte, Zeichnungen und Fotografien präsentiert werden – zur Zeit sämtlich mit Bezug auf Fürstin Gracias Garderobe. Wenn auch manches dieser Objekte schmerzliche Erinnerungen weckt – zum Beispiel das Bild der jungen Grace Kelly in einem himmlischen weißen Kleid auf dem Ball aus Anlass ihrer Verlobung mit Fürst Rainier 1956, da sie nicht ahnen konnte, dass sie nicht mehr lange zu leben hatte – bleibt Les Rhumbs doch der Ort des Gedenkens an eine fernere Vergangenheit. Denn hier haben sich Maurice und Madeleine Dior Anfang des 20. Jahrhunderts niedergelassen und ihre fünf Kinder großgezogen. Sie hatten 1898 geheiratet. Madeleine war damals ein hübsches neunzehnjähriges Mädchen. Maurice Dior, mit sechsundzwanzig bereits ein ehrgeiziger junger Mann, plante, die von seinem Großvater 1832 gegründete Düngemittelfirma zu erweitern. Ab 1905 führten er und sein Cousin Lucien den gutgehenden Betrieb gemeinsam, und dessen Erfolg brachte ihnen gesellschaftlichen Aufstieg. Lucien Dior ging in die Politik und war bis zu seinem Tod 1932 Parlamentsabgeordneter. Seine Frau Charlotte und Madeleine lagen offenbar permanent im Wettstreit miteinander, wer die besser gekleidete Herrin über den wohlhabenderen Hausstand sei.
Ich habe das zerlesene Taschenbuch von Christian Diors Autobiographie mitgebracht. Äußerlich bietet sich mir das Haus genauso dar, wie er es in seinen eindrucksvollen Erinnerungen an Les Rhumbs geschildert hat: »Das Haus meiner Jugend war in einem sanften, mit grauem Kies vermischten Rosaton getüncht, und diese beiden Farben sind in der Mode meine Lieblingsnuancen geblieben.« Doch die so sorgfältig gestaltete Inneneinrichtung, die er detailliert beschreibt, ist verschwunden: Die Schäferinnen aus Porzellan, die gläsernen Bonbonschalen und der übrige Zierrat, an den sich Christian in allen Einzelheiten erinnert.
Ich habe seine Autobiographie wieder und wieder gelesen, doch erst heute fällt mir auf, dass er darin seine Brüder und Schwestern nicht beim Namen nennt. Er erwähnt einen Bruder, und den nur kurz, dazu seine geliebte Catherine. Es ist, als hätten Raymond und Jacqueline nie existiert. Auf dem Familienfoto in der Eingangshalle des Museums sind die Geschwister dann doch vollzählig versammelt: Raymond, der Älteste, geboren am 27. Oktober 1899; Christian, der am 21. Januar 1905 zur Welt kam (in dem Jahr kaufte sein Vater Les Rhumbs); gefolgt von Jacqueline, geboren am 20. Juni 1908, Bernard, am 27. Oktober 1910 und Catherine, das Nesthäkchen der Familie, das sieben Jahre später, am 2. August 1917, das Licht der Welt erblickte.
Der Standort des Hauses ist geradezu spektakulär: Stolz erhebt sich Les Rhumbs auf einer Landspitze aus Granit mit überwältigendem Blick auf eine Meeresbucht. Ein Schiffseigner hat es erbaut, und der Name ist ein nautischer Begriff für die Markierung auf dem Kompass, die man landläufig Windrose nennt. Das Symbol findet sich in einem Fußbodenmosaik der Villa wieder, das im Original erhalten geblieben ist.
An diesem Tag ist der Himmel blassgrau gefärbt, in Diors Grau, das Himmel und Meer miteinander verschmelzen lässt. Nach dem Rundgang durch die Ausstellung erlaubt man mir, mich für den Rest des Tages zum Schreiben in ein Häuschen im Garten zurückzuziehen, wo einst die Kinder gespielt haben. Es steht, vor neugierigen Blicken verborgen, am Ende eines Pfades ein gutes Stück vom Haus entfernt. Von drinnen ist der Blick durch die Fenster einfach umwerfend. Zwei Seiten des Raumes sind verglast, und das Häuschen wirkt wie an den Rand eines steilen Absturzes gebaut, von wo man auf zerklüftete Felsen in der Tiefe blickt. Es herrscht Ebbe, die Sandbänke sind nackt und der Strand leer, Möwen gleiten darüber hin und lassen ihre klagenden Schreie ertönen.
Les Rhumbs, das Haus der Familie Dior, in Granville an der Küste der Normandie.
Wie mag dieser Blick die Hoffnungen und Träume der Kinder geprägt haben? Christian Dior hat sicher oft daran gedacht, als er 1956, ein Jahr vor seinem unerwartet frühen Tod in seine Autobiographie schrieb: »Das Haus in Granville … wie alle anglo-normannischen Bauten der Jahrhundertwende war es scheußlich. Dennoch bewahre ich ihm eine zärtliche und bewundernde Erinnerung. Mein Leben, mein Stil, fast alles verdanken sie seiner Lage und seiner Bauweise.«
Christians früheste Kindheitserinnerungen sind mit Les Rhumbs verbunden, das zu jener Zeit der Hauptsitz der Familie war, wenn sie auch einige Zeit in Paris verbrachte. 1911 erwarb Maurice Dior eine Wohnung im wohlhabenden 16. Arrondissement, doch während des Ersten Weltkriegs lebte die Familie nur noch in Granville. Erst 1919 kehrte sie nach Paris zurück und bezog eine größere Wohnung in der Rue Louis-David im selben Bezirk. Christian war damals bereits Gymnasiast und besuchte das nahegelegene Lycée Gerson. Catherine wurde zunächst von einer Gouvernante zu Hause unterrichtet und ging dann in eine Mädchenschule von Granville. Im Dior-Archiv finden sich mehrere Fotoaufnahmen davon, wie sie als Kind am Strand spielt. Sie muss Les Rhumbs sehr geliebt haben, denn von Anfang an unterstützte sie die Initiative, dort ein Museum einzurichten. Sie nahm 1997 an der Eröffnungsfeier teil und wirkte von 1999 bis zu ihrem Tod als dessen Ehrenpräsidentin. Nach ihren Erinnerungen wurde der Garten so weit wie möglich in der ursprünglichen Gestalt wiederhergestellt. In dem Gewächshaus an der Vorderseite der Villa pflanzte man Palmen und Farne, so wie ihre...
Erscheint lt. Verlag | 11.4.2022 |
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Übersetzer | Helmut Ettinger |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Miss Dior |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Geisteswissenschaften ► Geschichte | |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Biographie • Catherine Dior • Chanel • Christian Dior • Coco Chanel • Designer • Duft • Düfte • Geschwister • Gestapo • Givenchy • Guerlain • Haute Couture • KZ • Miss Dior • Mode • Modeschöpfer • Modewelt • Nazis • Parfüm • Paris • Ravensbrück • resistance • Rosenzucht • Vichy • Widerstand |
ISBN-10 | 3-8412-2957-3 / 3841229573 |
ISBN-13 | 978-3-8412-2957-1 / 9783841229571 |
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