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Nicht mein Antirassismus (eBook)

Warum wir einander zuhören sollten, statt uns gegenseitig den Mund zu verbieten. Eine Ermutigung.

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
224 Seiten
Quadriga (Verlag)
978-3-7517-1835-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Nicht mein Antirassismus -  Canan Topçu
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Es vergeht kaum ein Tag, an dem die Debatte um Identitätspolitik und Rassismus keinen neuen Aufschlag bekommt. Waren es gestern noch 'alte, weiße Männer', die unter Beschuss gerieten, so wird heute darüber gestritten, wer Amanda Gorman übersetzen oder wer für diverse Charaktere in Film und Theater gecastet werden darf. Der Ton: wütend, aggressiv, spaltend. Längst geht es nicht mehr um Gleichbehandlung, sondern Deutungshoheit: Wer hat hier das Sagen und darf mitreden?

Die türkischstämmige Journalistin und Autorin Canan Topçu sagt: 'Das ist nicht mein Antirassismus.' Sie begibt sich auf Spurensuche ihrer ganz persönlichen Identitätsentwicklung und wehrt sich gegen Denkverbote und Tabus. Stattdessen streitet sie für den Dialog, für das Besonnen-Miteinander-Umgehen und dafür, die eigene Meinung nicht zum alleinigen Maß der Dinge zu machen.





Canan Topçu, geboren in der Türkei, ist Journalistin und Dozentin mit Schwerpunkt auf die Themen Migration, Integration, Teilhabe und muslimisches Leben in Deutschland. Sie arbeitet für die Hochschule Darmstadt und die Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung. Darüber hinaus engagiert sie sich seit vielen Jahren ehrenamtlich in Stiftungen und Organisationen für Integration und Chancengleichheit. Mit ihren Positionen zu Teilhabe, Zugehörigkeit und Diskriminierung eckt sie immer wieder bei sogenannten People of Color und Minderheitengruppen an, weil sie nicht bereit ist, Schwarz-Weiß-Malerei zu betreiben und Opfernarrative zu reproduzieren.

Canan Topçu, geboren in der Türkei, ist Journalistin und Dozentin mit Schwerpunkt auf die Themen Migration, Integration, Teilhabe und muslimisches Leben in Deutschland. Sie arbeitet für die Hochschule Darmstadt und die Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung. Darüber hinaus engagiert sie sich seit vielen Jahren ehrenamtlich in Stiftungen und Organisationen für Integration und Chancengleichheit. Mit ihren Positionen zu Teilhabe, Zugehörigkeit und Diskriminierung eckt sie immer wieder bei sogenannten People of Color und Minderheitengruppen an, weil sie nicht bereit ist, Schwarz-Weiß-Malerei zu betreiben und Opfernarrative zu reproduzieren.

Einleitung


Ende September 2020 erschien in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel »Nicht mein Antirassismus« ein Essay von mir.1 Der Text beginnt so: »Stimmt mit mir was nicht?« Diese Frage beschäftigte mich ernsthaft. In knapp zweihundert Zeilen dachte ich darüber nach, was genau mir an den gegenwärtigen Debatten über Rassismus, Diskriminierung und Identitätspolitik Unbehagen bereitet. Die Stimmen aus den postmigrantischen Gruppen, die Deutschland als durch und durch rassistisch beschreiben, decken sich nur bedingt mit meiner Wahrnehmung. In dem SZ-Beitrag positionierte ich mich gegen diese Dämonisierung, weil ich eine Lanze brechen wollte für dieses Land, in dem ich seit meinem achten Lebensjahr sehr gerne lebe. Ich bin ermuntert worden, es nicht bei den zweihundert Zeilen zu belassen, sondern mein Nachdenken in einem Buch fortzusetzen. Ich habe mich auf dieses Experiment eingelassen.

Allah’ ın sevgili kulu – »Gottes geliebtes Kind«, mit dieser Redewendung wird im Türkischen ausgedrückt, dass man es gut getroffen hat. Ich und auch viele andere, die wie ich Kinder von Arbeitsmigranten sind, haben es hier gut; wir bekamen Chancen, die wir in den Herkunftsländern nicht gehabt hätten. Die Geschichten der »Gastarbeiter«-Kinder ähneln sich: Die Väter und Mütter wollten nur ein paar Jahre in Deutschland bleiben, so schnell wie möglich viel Geld verdienen und wieder zurückkehren in die Heimat. Das hatten auch meine Eltern vor, sie erkannten aber glücklicherweise – im Gegensatz zu manch anderen, die noch immer von der Rückkehr träumen – schnell, dass sich dieser Plan nicht umsetzen lassen würde. Und so holten sie ihre drei Töchter recht bald zu sich. Der Wechsel von der einen Welt in die andere hat Spuren hinterlassen. Das Trauma der Migration nagt an fast allen von uns. Auch an mir. Und trotzdem empfinde ich Dankbarkeit darüber, in Deutschland zu leben und all die Freiheiten zu haben, die sehr viele Menschen in sehr vielen anderen Ländern nicht haben.

Wenn ich lese oder höre, dass man sich in dieser Gesellschaft als »Nicht-Weißer« in ständiger Lebensgefahr befinde und dass das Leben an einem seidenen Faden hänge, dann frage ich mich ernsthaft, ob ich mit denen, die solche Szenarien entwerfen, im selben Land lebe. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Antirassismus-Akteuren und eine Reihe von Menschen, die sich selbst als »People of Color« (dazu später mehr) beschreiben und in den Medien, in Workshops, Vorträgen und Podiumsgesprächen ein zu schlechtes Bild von Deutschland zeichnen. Manchmal stutze ich über das, was sie sagen und schreiben. Ich ertappe mich dabei, dass ich an mir zweifele und denke, sie haben recht und ich habe eine rosarote Brille auf, durch die ich mir dieses Land anschaue. Bei etlichen, die sich zu Wort melden, werde ich aber auch den Verdacht nicht los, dass sie zu dick auftragen mit Rassismus und Diskriminierung – aus Kalkül, Kränkung oder anderen Ressentiments heraus und möglicherweise gar, um das persönliche Scheitern zu überdecken.

Auch wenn mir vorgehalten wird, mich den Realitäten nicht zu stellen: Natürlich weiß ich um Diskriminierungen, um Mechanismen der Ausgrenzung. Keine Frage: Es gibt Rassismus, es gibt Gewalt gegen Menschen, die aufgrund ihres Äußeren oder ihres Namens als fremd wahrgenommen und vorverurteilt werden. Was mir Unbehagen bereitet: Es wird zu wenig differenziert und kaum in Erwägung gezogen, dass das wahrgenommene Schlecht-behandelt-Werden, das Benachteiligt-Werden und die Ausgrenzung – sei es schulisch, beruflich oder wo auch immer – nicht allein auf Rassismus zurückgeführt werden können. Es gibt viele andere Faktoren, die es zu berücksichtigen gilt. Rein persönliche Animositäten etwa, diese werden aber selten in Betracht gezogen. Die vermeintlich Schuldigen sind meist schnell gefunden: die »Weißen« und der Rassismus, der in jedweder Struktur dieser Gesellschaft steckt.

Es kann, muss aber nicht jede Abweisung damit zusammenhängen, dass mein Gegenüber rassistisch ist. Dieses Menschenbild ist nicht meines. Es ist nun einmal so, dass nicht jeder grundsätzlich Sympathie für jeden anderen Menschen empfindet. Wenn jemand mir gegenüber unfreundlich ist, mich schlecht behandelt und mir Steine in den Weg legt, dann kommen mir dafür nicht sogleich rassistische Motive in den Sinn. Das ist wohl das, was mich von manchen Antirassismus-Akteuren unterscheidet. Ich diagnostiziere nicht reflexartig Rassismus als Ursache aller Missstände. Ich plädiere dafür, einen kühlen Kopf zu behalten, nachzufragen, das Gespräch zu suchen über individuelle Erfahrungen und ihre Folgen. Im besten Falle wird so ein gegenseitiger Austausch ermöglicht. Zumal es ungeheuer schwer geworden ist, diesen Begriff anzuwenden, weil inzwischen unterschiedliche Formen und Strukturen von Rassismus differenziert werden – mit biologischen, religiösen, geografischen und ethnischen Bezugspunkten wie beispielsweise antischwarzer Rassismus, antimuslimischer Rassismus, antislawischer Rassismus und antikurdischer Rassismus.

Keine Frage: Es soll keine Ungleichbehandlung von Menschen geben. Dass Menschen unabhängig von ihrem Aussehen, ihrer Herkunft, ihrer Religion oder welchen Merkmalen auch immer gleich zu behandeln sind: Das gibt unsere Verfassung vor. Niemand soll übersehen oder angestarrt werden. Die Gleichheit des Menschen ist als Ideal derweil noch nicht allzu lange common sense, sondern eine Errungenschaft der Moderne. Dass alle Menschen als Gleiche unter Gleichen wahrgenommen werden – das ist leider, leider aus unterschiedlichen Gründen bis heute nicht in allen Köpfen angekommen. Diese Wahrnehmung und dieses Denken gilt es einzuüben. Und eben auch darauf hinzuwirken, dass Strukturen aufgebrochen werden, die diese Ungleichheit (re)produzieren und verfestigen. Hinter Strukturen stecken aber Menschen. Wer Strukturen verändern möchte, muss Menschen überzeugen.

Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass nicht alles super ist in Deutschland und dass es hier eine Menge Missstände gibt, die auf rassistisches Verhalten zurückgehen. Wenn ich all die Klagen und Kritik höre und lese, dann denke ich: Ja, all das gibt es. Aber: Es gibt auch noch vieles andere in diesem Land. Und ich konzentriere mich auf das, was gut gelaufen ist. Und gut läuft. Weil nur eine nüchterne, möglichst emotionsfreie Betrachtung der Gesellschaft ohne verständliche, aber zuweilen überbordende gegenseitige Vorwürfe uns hilft, unser Zusammenleben gemeinsam zu verbessern. Fronten und Widerstände schaden am Ende uns allen.

Ich bin für das Abwägen von Für und Wider und für das Besonnen-miteinander-Umgehen. Es ist wichtig, die eigene Perspektive mitzuteilen, sie aber nicht zum alleinigen Maß aller Dinge zu machen. Eine gut funktionierende Gesellschaft braucht Begegnungen und Austausch – sowohl Plaudereien als auch tiefsinnige Gespräche und auch Streit, sofern er in guter Absicht und konstruktiv ausgetragen wird. Wenn aber die einen sich von Ressentiments leiten lassen und andere als Nazis und Rassisten beschimpfen und wenn diese sich aufgrund der Generalanschuldigung davor scheuen, in Kontakt zu treten, dann bricht die Voraussetzung für den Dialog weg. Wenn aufgeschlossene Menschen sich schon nicht mehr trauen zu sprechen, weil sie verunsichert sind, ob sie die richtigen Worte finden oder was sie fragen dürfen und wie sie was sagen dürfen, dann ist es kaum möglich, die eigenen Vorbehalte zu hinterfragen und abzulegen.

Ich beobachte im privaten und beruflichen Umfeld: Die Unbefangenheit schwindet, die Begegnungen werden krampfhaft. Gerade aus der Neugier, die Menschen dazu brachte, mir Fragen zu stellen, entstanden tolle Gespräche und auch Freundschaften, öffneten sich Fenster in andere (Gedanken-)Welten. Es haben nicht nur die, die etwas über meine Herkunft wissen wollten, so manches Neue erfahren, sondern auch ich habe sehr viel von den anderen gelernt. Nicht zuletzt bin ich die, die ich bin, auch durch diese unbefangen geführten Unterhaltungen geworden: eine akkulturierte Frau türkischer Herkunft, die ihr Zuhause in Hanau gefunden hat. Ausgerechnet in der Stadt, die zum Symbol für den allgegenwärtigen Rassismus in Deutschland geworden ist, fühle ich mich sicher und wohl!

Wie können wir die zu Recht beanstandeten politischen und gesellschaftlichen Missstände zum Positiven verändern? Hinsehen, Beobachten, Zuhören, Nachdenken, das Wahrgenommene einordnen und die eigene Bewertung prüfen. Das sind erste Schritte, die helfen können – wie auch, Theorien und Ideologien nicht unhinterfragt als Analyse von Gesellschaft und Systemen zu übernehmen. Eine andere Sicht zuzulassen, die eigene Deutung und das eigene Handeln infrage stellen: Das würde sicher helfen. Doch wie können wir das hinbekommen? Einige Antirassismus-Akteure, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler scheinen sich zu sicher, wie der Weg in eine von Diskriminierung und Rassismus befreite Gesellschaft zu verlaufen hat.

Helfen die derzeit geführten akademischen Diskurse, Hass, Diskriminierung und rassistisches Handeln einzudämmen? Führt der Weg dahin wirklich über die aus den USA importierten Ansätze »Critical Race Theory« und »Post-Colonial-Studies«, die bei genauer Betrachtung auf die deutsche Migrationsgesellschaft nur bedingt übertragbar sind? Lässt sich respektvoller und wertschätzender Umgang nur in Antirassismus-Workshops oder Diversity-Trainings lernen? Sollte man Kurse besuchen, um durch den »schmerzhaften Prozess« zu erkennen, dass man als »weißer« Mensch Teil des rassistischen Systems ist? Teil eines Systems, das »Schwarze« und Minderheiten über Jahrhunderte unterdrückt und...

Erscheint lt. Verlag 29.10.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Geisteswissenschaften
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Antirassismus • Ausgrenzung • Denkverbot • Dialog • Diskriminierung • Diskussion • Gesellschaft • Gleichbehandlung • IdentitätEinwanderung • Identitätsdebatte • Identitätspolitik • Integration • Journalistin • muslimisches Leben • Rassismus • Shitstorm • Teilhabe • Topcu • Zugehörigkeit
ISBN-10 3-7517-1835-4 / 3751718354
ISBN-13 978-3-7517-1835-6 / 9783751718356
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