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Die letzten Byzantiner (eBook)

Die Vertreibung der Griechen vom Schwarzen Meer Eine Spurensuche

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
264 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-448-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die letzten Byzantiner - Mirko Heinemann
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Das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg: Am Abend des 9. August 1917 schießen Kriegsschiffe des verfeindeten Russlands die Kleinstadt Ordu an der Schwarzmeerküste in Brand. Da die christlichen Minderheiten des Reichs verdächtigt werden, den Kriegsgegner insgeheim zu unterstützen, fürchten die ortsansässigen Griechen die Rache ihrer türkischen Nachbarn. Panisch versuchen sie, an Bord der Schiffe zu gelangen. Eine, die es schafft, ist die 15-jährige Alexandra. Doch ihre Heimat sieht sie niemals wieder. Nach dem Krieg werden aus dem Gebiet der heutigen Türkei etwa 1,2 Millionen Griechen zwangsausgesiedelt.
100 Jahre später reist Alexandras Enkel Mirko Heinemann auf den Spuren seiner Familie und der sogenannten Pontos-Griechen durch den Norden der Türkei. Er erzählt, wie Griechen seit der Antike an den kleinasiatischen Küsten lebten, mit Byzanz das Erbe Roms antraten, bis sie in den letzten Jahren des Osmanischen Reichs erst dem aufgeschaukelten Nationalismus und schließlich den Interessen der Großmächte zum Opfer fielen. Eine hierzulande fast vergessene Geschichte, die bis heute das Verhältnis zwischen der Türkei und Europa prägt.



Jahrgang 1966, wurde als Sohn einer griechischen Mutter und eines deutschen Vaters in Thessaloniki geboren. Aufgewachsen ist er in Mönchengladbach, heute lebt er in Berlin. Als freier Redakteur konzipiert er Themenbeilagen in Zeit, Handelsblatt, Capital, Welt und WirtschaftsWoche und arbeitet für Printmedien wie taz, Das Parlament, FAZ und für den Hörfunk, etwa die Programme des Deutschlandfunks. Träger des Journalistenpreises der Pall-Mall-Foundation.

Jahrgang 1966, wurde als Sohn einer griechischen Mutter und eines deutschen Vaters in Thessaloniki geboren. Aufgewachsen ist er in Mönchengladbach, heute lebt er in Berlin. Als freier Redakteur konzipiert er Themenbeilagen in Zeit, Handelsblatt, Capital, Welt und WirtschaftsWoche und arbeitet für Printmedien wie taz, Das Parlament, FAZ und für den Hörfunk, etwa die Programme des Deutschlandfunks. Träger des Journalistenpreises der Pall-Mall-Foundation.

Über Griechen, Türken, Deutsche


Einführung


Es sind schemenhafte Erinnerungen, die blitzartig auftauchen und wieder verschwinden: ein Kampfflugzeug, das den blauen Himmel über der Ägäis mit einem Knall zerreißt. Ein Fluch, den meine Großmutter ausstößt, in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Die Legende von meiner Großtante, die als todkrankes Kind ein Feuer prophezeit und damit die ganze Stadt in Schrecken versetzt. Mein Onkel, der von Konstantinopel schwärmt, einer Stadt, die es nicht mehr gibt. Das Schild an der Landstraße mit dem Umriss einer Insel, darunter die Aufschrift: »Cyprus – we never forget.« Rote Farbe, die Blut darstellen soll, tropft an ihr herunter.

Immer war es »der Türke«, dessen Schatten über diesen Szenen lag. »Der Türke« bedrohte die Idylle, in der ich meine Sommerferien verbrachte. Von der westdeutschen Stadt, in der ich aufwuchs, fuhr ich jedes Jahr mit meiner griechischen Mutter und meinem deutschen Vater in die griechische Hafenstadt Kavala im Norden der Ägäis, wo uns meine Großmutter, Onkel und Tanten und viele andere, die ich Onkel und Tante nannte, erwarteten.

»Der Türke« will Krieg, so hörte ich es von Verwandten, Freunden und aus dem Fernsehen. Er provoziert mit Grenzverletzungen, er bohrt in griechischem Territorium nach Öl und trägt überhaupt die Schuld am »Kaimos«, dem Leiden des griechischen Volkes. Außerdem ist er Urheber der Tragödie, die meine Familie die Heimat gekostet hat, die einst am Schwarzen Meer lag.

Bevor die Republik Türkei im Oktober 1923 ausgerufen wurde, vereinbarten die Türkei und Griechenland mit der Zustimmung der Siegermächte des Ersten Weltkriegs einen sogenannten Bevölkerungsaustausch: 1,2 Millionen orthodoxe Christen, also »Griechen«, die bisher als Bürger des Osmanischen Reichs auf dem Gebiet der Türkei gelebt hatten, mussten ihre Heimat verlassen und nach Griechenland umsiedeln. Im Gegenzug verloren 400 000 Muslime, also »Türken«, ihre Heimat im heutigen Griechenland und mussten in die Türkei. So etwas hatte es bis dahin nicht gegeben: Ein internationaler Vertrag zwischen den Großmächten, der Friedensvertrag von Lausanne, legalisierte die Vertreibung von 1,6 Millionen Menschen.

Meine Großeltern bestiegen im Winter 1922/23 das Schiff, das sie nach Europa brachte. Die Griechen vom Schwarzen Meer – dem Pontos Euxeinos oder kurz Pontos, wie die Hellenen sagen – stießen in Griechenland auf noch mehr Abneigung als etwa die griechischen Flüchtlinge von der kleinasiatischen Ägäisküste.

Die Heimat der Pontier lag weit entfernt vom griechischen Mutterland, die kulturelle Kluft war tief. Viele Pontier waren einfache Bauern gewesen, sprachen nicht einmal richtiges Griechisch, sondern nur Türkisch und ihren pontisch-griechischen Dialekt. Völlig mittellos kamen sie in das arme Griechenland, wo sie versuchten, sich als Tagelöhner über Wasser zu halten. Viele ihrer Nachkommen verdingten sich in den 1960er-Jahren als Gastarbeiter in der Bundesrepublik.

Unter Griechen hat man sich bis in die jüngste Zeit Witze über die Hinterwäldler aus Anatolien erzählt. Der Vergleich mit den Ostfriesen, den in Deutschland lebende Griechen gern ziehen, hinkt. Bei den Pontiern handelte es sich um Deportierte, die oftmals Familienangehörige verloren hatten und selbst vielleicht gerade noch mit dem Leben davongekommen waren. Viele von ihnen schämten sich ihrer Herkunft, wie auch ihres Status als Flüchtling. Umso mehr bemühten sie sich, zu den besten Griechen überhaupt zu werden. Meine Großmutter war stets bestrebt, Hochgriechisch zu sprechen. Sie arbeitete hart im Geschäft meines Großvaters mit. Ihre Schwermut überspielte sie, wie ich erst viel später verstand, mit Zurückhaltung und Bescheidenheit.

Ich weiß noch genau, wie das Zimmer in Kavala aussah, in dem meine Großmutter starb: ein rechteckiger Raum mit vielleicht zehn Quadratmetern Grundfläche, aber hohen Decken. Neben der einzigen Tür stand ein kleiner Kanonenofen. Die Tür führte in die offene Küche, an die sich wiederum die Diele anschloss. Von dort aus gelangte man in zwei weitere Räume. Der eine hatte einen Balkon zur Straße. In beiden Räumen standen Betten. Sie wurden nur genutzt, wenn Gäste oder Familienmitglieder zu Besuch kamen. Von der Diele aus ging es über eine Treppe hinunter und durch einen schmalen Gang zur belebten Straße hinaus. Das Ladengeschäft neben der Haustür gehörte einem Fleischer. Der hatte es über viele Jahre an einen Fischhändler vermietet, danach an einen Bäcker. Dann stand es leer. Keinem Passanten würde das Haus besonders ins Auge fallen, nur der Balkon mit der geschmiedeten Brüstung im ersten Stockwerk gab der Fassade einen Hauch Noblesse.

Das Zimmer meiner Großmutter lag im hinteren, im ruhigen Teil der Wohnung. Man hörte das laute Ticken der Standuhr in der Diele, aus dem alten Kleiderschrank duftete es streng. Ihr schmales Bett, auf dem eine dicke Matratze lag, stand an der Stirnwand gegenüber der Tür, es füllte beinahe die gesamte Breite des Raumes aus. An der Wand daneben hing das Familienfoto in Schwarz-Weiß, darauf war sie Mitte 30. Eine untersetzte, magere, aber entschlossen wirkende Frau mit markanten Wangenknochen und einer altertümlichen, runden Brille, die sie auch als alte Dame noch trug. Da war sie eine elegante Person, stets im Schwarz der Witwen gekleidet, das silbergraue Haar zu einem Dutt hochgesteckt. Ihr Name war Alexandra Markopoulou, geborene Tatsou.

Zwei Fenster hatte das Zimmer, die beide auf den engen Hinterhof führten. Das kleinere war mit Draht vergittert und diente zugleich als Durchstieg auf eine kleine, überdachte Terrasse; seine Flügel wurden mit einem Klemmbügel verschlossen. Von der Terrasse aus führte wiederum eine Treppe zu der Wohnung meiner Tante eine Etage darüber. Der normale Weg zu meiner Tante hätte eine Etage hinuntergeführt, durch den Hof und über die Außentreppe zwei Etagen hinauf. Stieg man durch das kleine Fenster, konnte man diesen Weg abkürzen.

Mein kleiner Bruder und ich fanden das Fenster großartig, wie auch die verschlungene und völlig unpraktische Verbindung zur oberen Wohnung. Meine Großmutter zwängte sich aber nicht mehr hindurch. Lieber blieb sie auf einem Hocker neben dem Fenster sitzen, während meine Tante sich auf der anderen Seite auf die Terrasse hockte. So sprachen sie miteinander durch das kleine, vergitterte Fenster wie zwei Delinquentinnen in einem bizarren Beichtstuhl, jede in ihrer eigenen Welt. Sie redeten und redeten, Stunde um Stunde, so kam es mir jedenfalls als Kind vor. Meine Mutter gab ab und zu ihre Kommentare aus der Küche dazu. Worüber sprachen sie?

Es waren Geschichten, die mich damals nicht interessierten und die ich auch nicht verstand. Meine Tante nickte zustimmend, und meine Mutter hatte mehr mit uns Kindern zu tun. Die Erzählungen schienen von etwas Fernem, lange Vergangenem zu handeln, durchsetzt mit vielen Klagelauten, »Ach« und »Aman«. Sie spielten in einer Zeit, in der das Haus meiner Großmutter woanders stand und die Welt eine andere war. Von all dem ahnten wir Kinder nichts. Über ihre frühere Heimat sprach meine Großmutter selten mit uns – und wenn wir sie fragten, klang es, als ginge es um eine andere Person in einem fremden Land.

Das war es nun ja auch geworden: Ihre Heimatstadt Ordu lag fern im Osten, an der Küste des Schwarzen Meeres auf dem Staatsgebiet der Türkei, für griechische Staatsbürger unerreichbar und für immer verloren. An die alte Zeit erinnern in Griechenland heute noch die gelb unterlegten Straßenschilder mit dem byzantinischen Doppeladler, auf denen »Konstantinoupolis« neben einer Kilometerangabe steht. Dort, im heutigen Istanbul, residiert noch immer der oberste Patriarch der griechischorthodoxen Kirche, seit nunmehr 1500 Jahren.

Die Beziehungen zwischen der Türkei und Griechenland sind immer noch unterkühlt. Die Grenze wurde und wird mit martialischen Zäunen, finster aussehenden Grenzsoldaten und schwerem Kriegsgerät abgesichert. Wie zwei bis aufs Blut zerstrittene Nachbarn liegen sich die beiden NATO-Mitglieder gegenüber. »Ein aggressives Volk mit barbarischen Sitten«, pflegte einer meiner Onkel über die Türken zu sagen. Ich erinnere mich an die überschnappende Stimme der Reporter im Fernsehen, wenn es wieder Provokationen an der Grenze zu vermelden gab. Dann war ein türkisches Kampfflugzeug in den griechischen Luftraum eingedrungen, eine türkische Flagge war auf einem unbewohnten Eiland gehisst worden, oder ein türkisches Ölbohrschiff hatte in einem umstrittenen Meeresgebiet operiert.

Die Griechen, so wurde mir eingeimpft, seien während der 400 Jahre, in denen ihr Land Teil des Osmanischen Reichs war, von den »Türken« unterdrückt worden. Noch heute umspanne Griechenland ein »muslimischer Gürtel«, der von Albanien über die Siedlungsgebiete der muslimischen Volksgruppen...

Erscheint lt. Verlag 10.4.2019
Reihe/Serie Politik & Zeitgeschichte
Zusatzinfo 27 s/w-Abbildungen und 2 Karten/Tabellen
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik 20. Jahrhundert bis 1945
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Geisteswissenschaften Geschichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Abdülhamid II. • Deportationen • Eleftherios Venizelos • Genozid • Jungtürken • Kavala • Konstantinopel • Lazen • Megali Idea • Mustafa Kemal Pascha Atatürk • Ordu • Osmanisches Reich • Pontische Republik • Pontos Euxinos • Pontosgriechen • Pontos-Griechen • Republik Pontos • Rhömäer • Samsun • Schwarzes Meer • Smyrna • Thessaloniki • Topal Osman • Trabzon • Trapezunt • Türkei • Vertrag von Lausanne
ISBN-10 3-86284-448-X / 386284448X
ISBN-13 978-3-86284-448-7 / 9783862844487
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