Kampfrhetorik - Friedensrhetorik (eBook)
416 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7412-3496-5 (ISBN)
Der Autor Peter Drescher ist Germanist und Politologe und lebt in Berlin. Er berät seit 1995 in Kommunikationsfragen sowohl öffentliche Institutionen wie den Deutschen Bundestag oder Landesministerien als auch privatwirtschaftliche Unternehmen. Er bekleidet Funktionen wie die des Kommunikationstrainers, Moderators, Mediators, Dozenten oder Einzelcoaches.
1.1.1 Rhetorisches Bewusstsein in Überzeugungsreden
Sowie wir eine Rede halten, mittels derer wir etwas erreichen wollen, gehen wir von Standpunkten aus, die unsere Meinung zum Gesprächsthema darstellen. Diese Standpunkte sind uns mehr oder minder bewusst. Der jeweilige Standpunkt hat dabei einen gedanklich-rationalen und einen emotionalen Bezug.
Diesen jeweiligen Standpunkt zu kennen und gedanklich auszuformulieren, ist die Grundlage jeden Überzeugens. Denn wie will ich davon überzeugen, wie es meiner Meinung nach sein soll, wenn ich nicht genau weiß, was für mich richtig oder falsch, sinnvoll oder abwegig ist?
Geht es zum Beispiel um die Betreuung und Förderung des eigenen Kindes, so mag die Mutter eines Dreijährigen den Standpunkt vertreten, nicht schon bei den ersten quengelnden Rufen nach Unterstützung durch die Eltern (Ich kann das nicht!), dieser Aufforderung automatisch nachzukommen. Der rationale Standpunkt der Mutter wäre etwa: Ich bin der Meinung, dass zu schnelle Hilfsangebote unseren Kleinen in seiner Entwicklung zur Selbstständigkeit behindern.
Der Vater hingegen – um im Beispiel zu bleiben – vertritt den entgegengesetzten Standpunkt. Er möchte frühzeitig eingreifen, um dem Kind das Gefühl unbedingter Unterstützung durch die Eltern zu vermitteln. Sein rationaler Standpunkt könnte lauten: Ich bin der Meinung, dass die unbedingte Unterstützung unseres Kleinen seine Entwicklung zur Selbstständigkeit fördert.
Beide Standpunkte sind dabei nicht allein "Kopf"-gesteuert. Vielmehr geht mit dem jeweiligen Standpunkt ein Gefühl einher, welches mehr oder minder stark mit dem eigenen rationalen Standpunkt verbunden ist. So könnte die Mutter sich immer dann ärgern, wenn ihr Partner gleich auf die Hilferufe des Sohnes anspringt; der Vater könnte Angst um das Wohlergehen des Sohnes bekommen, wenn er ihm nicht frühzeitig Unterstützung zukommen ließe.
Dieser emotionale Hintergrund würde sich dann auch bei der Ausdrucksweise des Standpunktes widerspiegeln, die Mutter würde wohl einen ärgerlichen Ton anschlagen (Jetzt lass ihn doch mal! …), der Vater eher hilflos reagieren (Jetzt lass mich doch mal machen! …).
Wollen wir stark in unserer Überzeugungskraft sein, so ist es unbedingt notwendig, sowohl zu wissen, was wir wollen, als auch zu empfinden, was der rationale Standpunkt für uns emotional bedeutet. Würden unsere Beispiel-Eltern rein gefühlsmäßig mit dieser Erziehungsfrage umgehen, so wäre die Gefahr groß, dass lediglich am jeweiligen Verhalten des Partners herumgenörgelt würde, ohne klar zu machen, was einen eigentlich genau stört. Würde umgekehrt versucht werden, die Emotionen zu unterdrücken, um rein rational das Problem zu behandeln, so wäre auch hier eine Gefahr zu sehen. Dann nämlich könnte sich beim Reden das Gefühl des Ärgers oder der Unsicherheit trotzdem Bahn brechen und verhindern, dass die rationale Botschaft überhaupt beim anderen ankommt.
In beiden Fällen – wenn also Kopf und Gefühl nicht gleichermaßen berücksichtigt werden – ist es schwierig oder gar unmöglich, den eigenen Standpunkt stark zu machen.
Sollten die eigenen Emotionen zu stark für eine sachliche Rede sein, so ist ein Ausweg aus dieser emotionalen Bedrängnis das direkte Ansprechen der eigenen momentanen Gefühlslage. Gerade hier sind – die im Folgekapitel noch genauer behandelten – "Ich-Botschaften" Gold wert! So könnte die Mutter in unserem Beispiel voranstellen: Ich ärgere mich immer wieder, wenn du unserem Kleinen gleich zur Seite springst, sobald er quengelt! Ich kann das dann gar nicht mit ansehen und würde am liebsten gleich dazwischen gehen! Unser Beispiel-Vater könnte seiner Rede voranstellen Ich werde ganz flattrig, wenn ich sehe, wie er sich so abmüht und sich ganz allein gelassen fühlt! Was auch immer wir über unsere Gefühlslage mitteilen, es sollte im engen zeitlichen Zusammenhang mit unserer rationalen Rede stehen. Wir entlasten uns so selbst, werden ruhiger und gelassener für unsere Rede. Falls die Gefühle zu sehr die Oberhand gewinnen, können wir zudem auf die Spontanentspannungstechnik, so wie wir sie im nächsten Kapitel noch genau erklären werden, zurückgreifen.
Sind wir emotional hinreichend stabil und gelassen, dann können wir unseren jeweiligen Standpunkt vertreten. Der feste Standpunkt drückt sich als Behauptung aus und wird durch entsprechende Argumente begründet. Und die Argumente sollen bewirken, dass das Gegenüber das akzeptiert, was am Ende der Rede vom ihm gefordert wird.
So könnte etwa die Mutter ihren Standpunkt wie folgt begründen und daraus eine entsprechende Forderung an ihren Partner ableiten:
Ich bin der Meinung, dass deine voreilige Unterstützung Sascha in seiner Entwicklung zur Selbstständigkeit hemmt.
Erstens ist es nämlich so, dass du dadurch den Kleinen auf uns als Eltern fixierst, was die Entfaltung seiner eigenen Persönlichkeit behindert.
Zweitens verhinderst du durch zu schnelle Hilfe, dass er lernt, seine Probleme selbst zu lösen.
Und schließlich drittens, wird er sich so auch als Erwachsener ständig nach anderen Leuten richten, statt selbstbewusst seinen eigenen Weg zu gehen.
Deshalb verlange ich von dir, ihn erst dann zu unterstützen, wenn er sich tatsächlich nicht mehr zu helfen weiß!
Eine mögliche Rede des Vaters könnte hingegen lauten:
Ich bin mir sicher, dass die unbedingte Unterstützung unseren Sascha selbstständiger macht.
Die Argumente hierfür liegen für mich auf der Hand:
Zum einen stärkt unsere unbedingte Unterstützung das Urvertrauen Saschas in die Welt, in dem Sinne: Ich bin niemals allein und verlassen!
Des Weiteren lernt er durch uns schneller, wie er sich beim nächsten Mal gleich selbst helfen kann.
Und schließlich werden dieses Urvertrauen und die erlernte Selbsthilfe ihn in seiner Unabhängigkeit stärken, wenn er erwachsen ist.
Deshalb ist für mich klar, wir müssen ihn sogleich bei seinen Problemen unterstützen!
Die Redebeispiele zeigen, dass sich auch konträre Standpunkte in sich schlüssig begründen lassen und man daraus seine (unterschiedlichen) Forderungen oder konkreten, selbstbewussten Wünsche ableiten kann. Vorausgesetzt, der jeweilige Standpunkt wird mitsamt seinem emotionalen Hintergrund klar und deutlich.
Der eigene Standpunkt muss insbesondere an zwei Stellen des Redebeitrags deutlich werden:
- in der Behauptung, das heißt durch Aussagen über den Ist-Zustand am Anfang der Rede (Ich bin der Meinung…/ Ich bin mir sicher…) und
- in der Forderung, das heißt durch Ausdruck des gewünschten Soll-Zustands am Ende der Rede (Deshalb verlange ich…/ Deshalb ist für mich klar…)
Die Argumente (Erstens…, Zweitens…, Drittens…), welche die Behauptung des Ist-Zustands absichern und zum Soll-Zustand führen sollen, stellen die Begründung der Behauptung dar. Argumente stärken dann eine Rede, wenn sie logisch, nachvollziehbar oder allgemein anerkannt sind.
Der Standfestigkeit der eigenen Rede können wir auch durch unsere Ausdrucksweise eine besondere Stärke verleihen. Oftmals werden Reden wirkungsmindernd zu vage oder zu unsicher formuliert. Dieserart Reden sind dann geprägt von "Hätten-täten"-Formulierungen im Konjunktiv II (der Möglichkeitsform) wie Ich würde ja meinen, dass Sascha nicht gleich so viel Zuwendung bräuchte… oder Deshalb wäre es vielleicht gar nicht schlecht, wenn du ihn nicht gleich unterstützen würdest, nur weil er vielleicht mal quengelt.
Der Indikativ (die Wirklichkeitsform) hingegen drückt den Wirklichkeitsanspruch der eigenen Behauptung aus und ist dem Konjunktiv II vorzuziehen, da dieser die Behauptung in den Dunstkreis der bloßen Möglichkeit verlagert.
Wirkungsvolle Formulierungen (im Indikativ) sind zum Beispiel:
- Ich behaupte,…
- Ich vertrete den Standpunkt...
- Ich meine…
- Ich bin der Meinung... / …der festen Überzeugung…
- Deshalb fordere ich… / …sehe ich es als notwendig an… / …ist es dringlich…
Wirkungsarme Formulierungen (im Konjunktiv II) sind zum Beispiel:
- Könnte es nicht auch so sein, dass...
- Ich würde ja meinen...
- Ich würde behaupten…
- Deshalb sollten wir vielleicht…
- Deshalb hätte ich folgenden Vorschlag…
Die in diesem Kapitel vorgestellten rhetorischen Techniken und Systeme wirken dann besonders überzeugend, wenn sie von dieser Selbstakzeptanz des eigenen gedanklichen Standpunktes, des eigenen Willens und der eigenen emotionalen Verfassung getragen sind.
Und auch, wenn das Gegenüber eine andere Meinung...
Erscheint lt. Verlag | 7.6.2016 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Sprach- / Literaturwissenschaft |
ISBN-10 | 3-7412-3496-6 / 3741234966 |
ISBN-13 | 978-3-7412-3496-5 / 9783741234965 |
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Größe: 3,1 MB
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