Frei predigen (eBook)
114 Seiten
SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag
978-3-417-21980-7 (ISBN)
Arndt Elmar Schnepper ist promovierter Theologe und Rhetorik-Dozent. Er leitet das Praxisinstitut Evangelisation in Witten an der Ruhr und ist Autor mehrerer Bücher im Bereich der Praktischen Theologie. Auf 'Meisterpredigt' bloggt er regelmäßig, um die Qualität von Predigten zu diskutieren.
Arndt Elmar Schnepper, 40 Jahre alt, ist promovierter Theologe und Journalist. Er arbeitet als Pressesprecher des Bundes Freier evangelischer Gemeinden.
Cover 1
Was Sie vorher wissen sollten 5
Entdeckung 6
Fünf Argumente 14
Kleine Geschichte der freien Predigt 24
Interpretieren und improvisieren 40
Die fünf Phasen der freien Predigt 48
• Phase 1: Inhalte finden 49
• Phase 2: Stoffe gliedern 69
• Phase 3: Sätze formulieren 76
• Phase 4: Gedanken meditieren 87
• Phase 5: In Aktion treten 94
Der Predigt-Prozess 103
Ein Meister der freien Predigt 110
Zusammenfassung 121
Literaturverzeichnis 122
Fünf Argumente
Wer mit anderen über das Thema freie Predigt spricht, muss sich wappnen. Erfahrungsgemäß kommen immer wieder handfeste Vorurteile zur Sprache. Zwar treffen diese meist nicht den Kern der Sache. Aber diese Meinungen müssen ernst genommen werden, lenken sie doch den Blick auf verwilderte Formen der freien Predigt, die es auch gibt. Der bekannteste Vorwurf lautet: Wer frei redet, fängt schnell an zu schwadronieren. Ohne Zettel rede man dominosteinartig. Wie ein Stein auf den nächsten folge, so gebe ein Wort das andere, es komme zur berüchtigten Gedankenflucht. Die Rede wachse ähnlich den wuchernden Korallenpolypen; man ergehe sich weitschweifig in den unterschiedlichsten Themen, lasse und breite sich unkontrolliert über Nebensächlichkeiten aus.
Ja, gedankenloses Reden ist eine latente Gefahr – wenn man sich nicht vorbereitet. Darum trifft sie aber nicht das Modell des freien Predigens. Die freie Predigt ist keine Stegreifrede, die aus dem Ärmel geschüttelt wird. Sie geschieht nicht „aus dem Stand“, ist auch nicht „aus der Luft gegriffen“, sondern setzt – wie ich an späterer Stelle zeigen werde – eine gewissenhafte Vorbereitung unbedingt voraus. Das schließt – je nach Anlage – mit ein, die Gedanken zu verschriftlichen und ein mehr oder weniger umfangreiches Manuskript zu erstellen. Die freie Predigt unterscheidet sich zu der weithin bekannten Predigt in der Art und Weise, wie sie vorgetragen wird: nämlich grundsätzlich ohne Manuskript.
Ein weiterer Vorwurf, der in dieselbe Richtung zielt, äußert sich in der Sorge, der freie Prediger bleibe immer wieder bei seinen Lieblingsgedanken hängen. Ähnlich der Nadel bei einer zerkratzten Schallplatte gerate er ständig auf das immergleiche Thema. Nun, auch diese Angst ist berechtigt. Aber sie ist wohl eher grundsätzlicher Natur und betrifft sowohl freie als auch vorgelesene Predigten.
Ein ganz normaler Gottesdienst
Ich lade Sie zu einem kleinen Gedankenspiel ein. Versetzen Sie sich für einen Moment in einen christlichen Gottesdienst. Vielleicht stellen Sie sich den Gottesdienst vor, den Sie selber immer besuchen, oder auch einen, der typisch für Ihre Kirche oder Gemeinde ist. Lassen Sie Ihrer Fantasie freien Lauf. Verschiedene Elemente gehören zu einem solchen Gottesdienst. Wir konzentrieren uns ganz auf die Predigt. Was geschieht? Ein Mann, eine Frau oder gar Sie selbst erheben sich. Man tritt hinter die Kanzel bzw. das Pult. Es herrscht in diesen Sekunden meist eine gespannte Aufmerksamkeit. Die Leute erwarten etwas Interessantes, wollen wissen, was nun kommt. Manchmal sind es einleitende Worte, oft wird ein biblischer Text vorgelesen – unsichtbar gehen die Zuhörer auf Empfang, fahren sozusagen ihre geistigen Antennen aus. Die Predigt beginnt. Keine Frage, sie ist solide vorbereitet. Kommentare wurden bemüht, die politische Großwetterlage und der kleine Kosmos der Gemeinde sind fest im Blick. Doch nach vier, fünf Minuten passiert das Unweigerliche. Der Empfang wird gestört, der Faden reißt ab, die Sendung landet nicht mehr bei den Hörern. Sicher, wer jetzt genau hinhört, versteht schon noch, was gesagt werden will. Doch für die meisten Zuhörer ist „der Zug abgefahren“. Die Leichtigkeit ist verloren, die Predigt geht über ihre Köpfe hinweg. Und was ihren Kopf nicht erreicht, kann auch nicht mehr ihr Herz bewegen. Es ist eine bittere Erfahrung: Die Leute loggen sich aus und machen sich eigene Gedanken.
Sie erinnern sich an Ihre Sorgen oder denken an den geplanten Sofaabend mit Ihrer Frau/Ihrem Mann, bei dem Sie sich den Sonntagskrimi ansehen wollen. Übertreibe ich? Vielleicht. Wahrscheinlich aber nicht. Tatsache ist, dass viele solcher Kommunikationsstörungen zwischen Prediger und Gemeinde vorkommen. Oft, viel zu oft, sind sie leider die Regel. Sicher, Gründe kann man überall verorten. Wem gar nichts mehr einfällt, gibt ganz fromm dem „geistlichen Klima“ die Schuld oder meint sogar, das Merkmal des Evangeliums sei eben „Erfolglosigkeit“. Dass nur so wenige Menschen der Predigt zuhören und ihr folgen, sei eben nicht zu erklären. Mag sein, dass diese Antworten im Einzelfall stimmen. Nicht selten liegt das Problem aber schlicht auf der menschlichen Ebene: Es hapert an der Vermittlung. Aurelius Augustinus (354–430 n.Chr.), Bischof der nordafrikanischen Kirche, einflussreicher Theologe und glänzender Prediger seiner Zeit, meinte jedenfalls, dass mindestens zwei Merkmale einen guten Prediger kennzeichnen:
Der ist der beste Redner, der erreichen kann, dass sein Zuhörer Wahres hört und das, was er hört, versteht.
Zur Wahrheit der Predigt gehört auch die angemessene Form der Weitergabe. Im Folgenden will ich zeigen, welche konstruktive Rolle die freie Predigt hier einnehmen kann. Dabei skizziere ich fünf Argumente für die freie Predigt. Die ersten drei sind eher pragmatischer Natur, die beiden letzten fußen auf einer theologischen Überlegung.
Erstes Plus: Die freie Predigt ist kommunikativ
Die Erfahrung zeigt: Der freie Prediger wird viel stärker von seinen Zuhörern wahrgenommen. Er ist nicht gebunden an ein Blatt, sondern kann die Gemeinde mit beiden Augen anschauen. Eine gerade Haltung, ein offenes Gesicht, ein Sprechen von Gesicht zu Gesicht – das wirkt wahre Wunder. Wer dagegen ständig auf ein Blatt schaut, den Blick dazu senken muss, sich sogar deswegen vorbeugt, der vernachlässigt eine große Chance. Der Prediger spricht ja nicht nur in Worten, sondern auch durch die Zeichen seines Körpers. Keine Predigt ist lediglich auf Worte beschränkt, sie ist immer ein Mix aus hörbaren und sichtbaren Elementen. An dieser Stelle ist ein Seitenblick auf die Sprachwissenschaften interessant. Sie unterscheidet zwischen den verbalen, nonverbalen und paraverbalen Elementen in der Kommunikation.
• Verbale Faktoren: der eigentliche Inhalt
• Nonverbale Faktoren: Mimik, Gestik, Kleidung, Haltung und körperliche Distanz
• Paraverbale Faktoren: Stimme, Lautstärke, Sprechgeschwindigkeit, Betonung und Pausen
Untersuchungen machen deutlich: Was wir als Zuhörer aufnehmen und verstehen, hängt nur zu zehn Prozent davon ab, was eine Person sagt. 90 Prozent werden durch die non- und paraverbalen Faktoren beeinflusst. Ist die Person bekannt, verringert sich die Bedeutung der nonverbalen Signale, aber sie liegen meistens noch bei 60 Prozent. Diese Spannung kann in einer freien Predigt oft viel besser aufgefangen werden, denn hier kann der Prediger auf der nonverbalen Ebene stärker mitwirken. Natürlich ist die Körpersprache nicht von gleicher Bedeutung wie die wörtliche Rede. Sie hat wohl eher einen begleitenden Charakter, kann aber manchmal sehr aussagekräftig und laut werden. Um es an einem extremen Beispiel zu verdeutlichen: Stellen Sie sich bitte einen Prediger vor, der Ihnen zwanzig Minuten lang erklärt, dass Gott uns Menschen sieht und wertschätzt. Er selbst aber schaut Sie eigentlich nicht an, würdigt Sie – wie wir sagen – keines Blickes. Seine Augen sind auf das Manuskript fixiert. Er hält sich unbewusst an die ironisch gemeinten „Ratschläge für einen schlechten Redner“ von Kurt Tucholsky (1890–1935):
Sprich nicht frei – das macht einen so unruhigen Eindruck.
Am besten ist es: Du liest deine Rede ab.
Das ist sicher, zuverlässig, auch freut es jedermann,
wenn der lesende Redner nach jedem Viertel Satz
misstrauisch hochblickt,
ob auch noch alle da sind.
Es kommt beim Hörer zwangsläufig zu einer empfundenen Differenz zwischen der wörtlichen und der körperlichen Sprache. Und das führt dann auch zu der beschriebenen Störung in der Kommunikation. Eine freie Predigt kann sich dagegen in einem viel größeren Maße die doppelte Sprachebene nutzbar machen: Freundliches Lächeln unterstreicht positive Aussagen, grimmige Blicke betonen die Verwerfung, fragende Augen verstärken das Ringen mit dem Thema, das persönliche Ansehen hebt den Wunsch nach dem echten Kontakt hervor.
Zweites Plus: Freie Predigten sind hörerfreundlich
Wer frei predigt, wird zwangsläufig zu einer anderen Sprache greifen als derjenige, der abliest. Den Grund hat Friedrich Theodor Fischer (1807–1887) einmal markant formuliert:
Eine Rede ist keine Schreibe.
Rede und Schreibe sind ausgesprochen unterschiedliche Sprachformen. Zwischen beiden liegt ein himmelweiter Unterschied. Wer schreibt, wendet sich an den Lesenden, wer spricht, an den Hörenden und Schauenden. Beide Sprachstile haben ihre Vorzüge und Schwachstellen. Die geschriebene Form vermag eine größere Dichte und Reflexion der Gedanken aufzunehmen. Der Schreiber hat meist viel mehr Zeit, wenn er seinen Text abfasst. Wer ein Buch zur Hand nimmt, kann immer wieder eine Seite nachschlagen und etwas nachlesen. Doch was einerseits ein Vorteil ist, gerät gleichzeitig auch zum Nachteil. Zwar ist das gesprochene Wort ausgesprochen flüchtig. Doch ist die Rede frei von der kühlen Distanz, die den geschriebenen Text umhüllt. Sie kann viel unmittelbarer wirken, weil...
Erscheint lt. Verlag | 8.12.2010 |
---|---|
Verlagsort | Holzgerlingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Religion / Theologie ► Christentum ► Liturgik / Homiletik |
Schlagworte | eBook • eBook; Reden; Predigen; Motivation • Gottesdienst • Motivation • Predigen • Reden |
ISBN-10 | 3-417-21980-9 / 3417219809 |
ISBN-13 | 978-3-417-21980-7 / 9783417219807 |
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