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Die Ostalb - Was die Ostalb ist, kann ein Lexikon leicht erklären: Es handelt sich um den östlichen Teil und östlichsten Teil der Schwäbischen Alb bis zu den Ellwanger Bergen. Ein bisschen Ostalb ragt in den Landkreis Göppingen und in den Alb-Donau-Kreis, doch der Löwenanteil zählt zum Kreis Heidenheim und zum Ostalbkreis. Knapp 2300 Quadratkilometer ist die Ostalb groß, für rund 500 000 Menschen ist sie der Lebensmittelpunkt. Und doch liegt die Ostalb am Rand. Dass sie am Rand liegt, daran hat sich die Ostalb lange gewöhnt. Die Jurameere, deren Ablagerungen vor 180 Millionen Jahren die Alb zu bilden begannen, sie schwappten hier an ihre Ufer, sozusagen an ihren Rand. Und bis heute ist die Ostalb vom Albrand geprägt, dessen Kammlinie vom Kalten Feld über den Rosenstein bei Heubach bis ins Nördlinger Ries läuft. Man ist am Rand der Alb, und am Albrand sowieso. Die Ostalb ist keine einheitliche Landschaft. Sowohl der Albuch wie auch die Flusstäler von Fils, Rems, Jagst, Kocher und Brenz teilen unterschiedliche Landschaftsräume ab. Mal läuft die Ostalb in den Schwäbisch- Fränkischen Wald aus, mal in die Ellwanger Berge, mal mündet sie in die Albhochfläche, bricht im Albtrauf oder endet im Donaumoos und damit bereits im Alpenvorland. Die Ostalb schafft das übrigens ohne große Distanzen: Kaum eine halbe Stunde muss man mit dem Auto fahren, um bei bester Fernsicht den Blick auf den Stuttgarter Fernsehturm (vom Rosenstein oder den Kaiserbergen) mit einem Alpenpanorama (von der Gerstetter Alb) zu tauschen. In den Tälern drängten und drängen sich die Menschen: Fast zwei Drittel aller Ostälbler leben heute in den großen Siedlungsachsen, alle großen Städte liegen dort, wo es Wasser und Schutz vor dem rauen Klima gibt. Nicht nur auf dem über 780 Meter hohen Kalten Feld bei Degenfeld nämlich kann man erleben, was der Ostalb den Namen "Schwäbisch Sibirien" eingetragen hat. Auch am Albuch, auf der Stubersheimer Alb und dem Härtsfeld ist es oft rau, meistens etwas kühler und niemals lieblich. Weder große Obstplantagen noch Weinberge findet man hier, statt Rindern oder Schweinen hielt und hält man die genügsamen Schafe, die ihrerseits die Kunstlandschaft der Wacholderheiden prägten: ein durch Verbiss entstandener Wechsel zwischen Heide und Gebüsch. Fast 90 Prozent der Ostalb werden bis heute land- und forstwirtschaftlich genutzt, abseits der Ballungsräume sind die Gegenden ländlich geprägt. Und selbst eine Industriestadt wie Heidenheim hält an agrarischer Tradition fest: Der Heidenheimer Schäferlauf ist das größte Volksfest der Ostalb. Wie die Alb im Osten mit am rauesten ist, so gelten auch die Ostälbler als Älbler in Hochpotenz: Sauer wie ihr Most sei ihr Naturell, hieß es früher, kauzig und eigenbrödlerisch und zäh sei man in den kleinen Dörfern, deren Höfe mit Äckern überlebten, auf denen außer Steinen ja doch nicht viel wachse. Das ist nicht gelogen, aber lange her. Gerade die Armut sorgte für eine frühe und rege Industrialisierung, sorgte für Weltfirmen, deren Namen jedermann, deren Heimatorte aber kaum jemand kennt. Und eben diese Industrialisierung hat seit dem Zweiten Weltkrieg (den die Ostalb einmal mehr eher am Rand erlebte) für massenhaft Zuzug gesorgt. In den Städten mischt sich seither breites Ostalb-Schwäbisch, das zu Teilen schon ins Bayerische tendiert, mit Hochdeutsch oder anderen Akzenten. Ein bisschen Ostalb wirkt aber in jedem: Dass etwas "kähl", also "schrill" oder "eigenartig" sei, hört man in Heidenheim oder Schwäbisch Gmünd auch von Migranten aus der Türkei. Wie die Schwäbische Alb überhaupt ist auch die Ostalb auf Kalk gebaut, und doch hat sie einige Besonderheiten zu bieten. Auch in Zeiten der Urmeere lag die Ostalb eher am Rand, und in den Gezeiten lagerten sich andere Sedimente ab als in jenen Bereichen der Alb, die einst auf "hoher See" waren: Allen voran der Oolith, jener "Eierstein", der dank seiner Einlagerungen als stabiler Baustoff gefragt war und rund um Heidenheim auch abgebaut wurde. Stabilerer Kalk, um den herum der weniger stabile Stein erodiert, das sorgt auf der Ostalb immer wieder für bizarre Felsenlandschaften: Die "Steinernen Jungfrauen" im Eselsburger Tal bei Herbrechtingen sind zusammen mit dem Felsenmeer im Wental zwischen Steinheim und Bartholomä die bekanntesten Sehenswürdigkeiten dieser Art. Es musste und muss keineswegs von Nachteil sein, am Rand zu stehen. Seit 80 000 Jahren leben Menschen auf der Ostalb, denn bei allen vier Eiszeiten blieb das Gebiet hart am Rand - und gletscherfrei. Eine Vielzahl urzeitlicher Funde sind die Folge - mit einem kleinen Pferdchen aus Elfenbein wurde in der Vogelherdhöhle im Lonetal (Niederstotzingen) eines der ältesten Kunstwerke der Menschheit gefunden. Doch auch die Ofnethöhle am Härtsfeldrand, die Kleine Scheuer, die Irpfelhöhle bei Giengen oder die Heidenschmiede in Heidenheim, der Rosenstein über Heubach sind bedeutende Fundstellen. Und ab der Jungsteinzeit entstanden auf der Ostalb auch die ersten Städte: Der Goldberg gilt als "Troja der Ostalb" mit vielen Kulturschichten übereinander. Dort stand einst eine der größten Hallstattsiedlungen ganz Süddeutschlands. Und auch hier könnte man mit der Kocherburg weitermachen, mit dem Buigen bei Herbrechtingen und natürlich dem Bopfinger Ipf. Später geriet die Ostalb erneut an den Rand, an den Rand des Römischen Imperiums. Um 100 nach Christus wird der Alblimes errichtet, mit ihm das Kastell und die Garnisonsstadt Aquileia - das heutige Heidenheim. 50 Jahre später wurde der Limes noch ein Stück nach Osten verlegt, sodass auch Aalen auf eine reiche römische Vergangenheit zurückblicken kann. Das dortige Limesmuseum und das Römerbadmuseum in Heidenheim, Wachtürme in Lorch und Buch, die Gebäude von Utzmemmingen und das Freilichtmuseum von Rainau- Buch markieren heute Lage und Umfeld des frischgebackenen Weltkulturerbes. 259 überrannten die Alamannen den Limes. Mit der Randlage der Ostalb war es vorbei, was freilich kein Aufstieg war. Zwar zeigt das Ellwanger Alamannenmuseum die Leistungen dieses Volkes, doch vergehen über fünfhundert Jahre, ehe nach der letzten römischen Inschrift (eine Bauinschrift aus Hausen ob Lontal aus dem Jahr 257) mit einem Dokument Karls des Großen aus Herbrechtingen (774) wieder eine Urkunde vorliegt. Erst mit den Staufern gerät die Ostalb wieder ins Rampenlicht der Geschichte: Von den drei "Kaiserbergen" Hohenstaufen, Rechberg und Stuifen aus etablieren sich die Staufer als Herrscher, Schwäbisch Gmünd wird erster Verwaltungsmittelpunkt des späteren europäischen Reiches. Doch das Mittelmeerklima bekommt den Herrschern besser als die Winter auf der Ostalb. Obschon Wiege eines mittelalterlichen Großreiches gerät die Ostalb selbst schnell wieder an den Rand. Profitiert hat die Ostalb dennoch immens von ihren Staufern: Klöster wie Lorch, Neresheim und Anhausen gehen auf die Staufer zurück, Sankt Veit in Ellwangen, die Gmünder Johanniskirche und die Galluskirche in Brenz. Und was auf der Ostalb an Burgen stand und steht, ist ebenfalls fast immer staufisch. Das galt für die Lauterburg wie die Kochenburg, gilt für Hohenrechberg wie Staufeneck, für Hellenstein und Kaltenburg, Wäscherburg und Güssenburg, für Schloss Baldern und natürlich auch für Burg Katzenstein auf dem Härtsfeld. Viele kleine Burgen für viele kleine Herrscher? Bis in die Neuzeit hinein sorgte die Randlage vor allem dafür, dass Gebietsherren von allen Seiten die Finger nach der Ostalb ausstreckten. Zwischen Württemberg und Bayern wurde mancher Flecken hin- und hergeschoben, dazwischen sorgten Territorialherren wie die Grafen von Rechberg, die Herren auf Hellenstein oder von Adelmannsfelden, die Freiherren von Woellwarth oder die Schenken von Limpurg für einen Flickenteppich. Die bis heute präsenten Dynastien derer von Maldeghem und von Thurn und Taxis standen in nichts nach. Und dann gab es ja auch noch die Reichsstädte Gmünd, Aalen, Bopfingen und Giengen sowie die geistlichen Herrschaften, etwa des Ellwanger Fürstpropstes. Das sorgt für eine Vielzahl von Herrschaftsbauten, freilich selten in der Größe, die für internationale Bekanntheit sorgen könnte. Als Hinterbänkler ging die Ostalb in die frühe Neuzeit, doch nicht zuletzt im Dreißigjährigen Krieg bot die Randlage keinen Schutz mehr. Die großen Schlachten (wie die von Nördlingen) fanden zwar in der Nachbarschaft statt, doch zu leiden hatte die Gegend nicht minder. Die Reichsstädte brannten, die Dörfer wurden verwüstet. Seither ziehen sich klare Glaubensschranken über die Ostalb, trennen evangelische, ehemals freie Reichsstädte von den Herrschaften der Klöster und Reichsritter. Die Ostalb rappelte sich auf, zwischen 1650 und 1750 verdoppelt sich die Bevölkerung, und es wird eng auf den sowieso steinigen Äckern. Nun entdeckt die Ostalb ihre Industrie, die eigentlich schon viel länger Tradition hat: Seit 1356 verhüttet man in Königsbronn Eisenerz, der Ort darf sich als ältester deutscher Industriestandort bezeichnen. Ton und Kalk kann man auf der Ostalb abbauen, Gruben für Bohnerz werden gegraben und in Aalen Bergwerke. Schwäbisch Gmünd etabliert sich als Schmuckzentrum, in Heidenheim treibt die Wasserkraft der Brenz Papiermühlen an und legt den Grundstein für eine moderne Industriestadt. Die napoleonischen Reformen beenden den politischen Flickenteppich, doch zu einer bewussten Region wächst die Ostalb nur schwer zusammen. Nunmehr am Rand von Württemberg orientiert man sich teils in die Kernlande, teils wendet man sich aber auch Bayern zu. Die Gebietsreformen des 20. Jahrhunderts ändern daran nichts, in Stuttgart hat man seither die Region Ostwürttemberg erdacht, die kleinste des Landes und natürlich ohne ein Oberzentrum. Das bemerkt selbst der Tourist: Aalen wirbt für Aalen, Heidenheim für Heidenheim und das Stauferland sprengt sowieso die verordneten Regionalgrenzen. Dennoch liegt die Ostalb auf der Europakarte heute an einer anderen Stelle. Deutschland ist wiedervereinigt, die EU hat sich nach Osten erweitert. Neue Verkehrsanbindungen und schnellere Verbindungen haben aus der Randlage eine Position mitten zwischen den Wirtschaftszentren Stuttgart und München einerseits und Nürnberg und Ulm andererseits werden lassen. Das verschiebt manchen Schwerpunkt, und so stellt die Ostalb heute fest, dass sie eigentlich recht zentral liegt. Etwas ganz Neues für das Land am Rand. Hendrik Rupp |
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