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Vorwort zur ersten Auflage Musizieren - wie geht das eigentlich, in welcher Weise sind Körper und Geist in der Lage, die staunenswerte Leistung meisterhaften Musizierens zu vollbringen? Angeregt durch Erfahrungen und Beobachtungen beim eigenen Üben und Unterrichten, beschloß ich während meines Zweitstudiums zum Diplommusiklehrer, dieser Frage auf den Grund zu gehen. Nach einem vorausgegangenen Medizinstudium und mehr als zehnjähriger ärztlicher Tätigkeit mit Schwerpunkt auf dem Gebiet der Kinderneurologie war das Ergebnis damals eine umfangreiche medizinisch-wissenschaftliche Arbeit. Für diejenigen, die eine solche Darstellungsweise nicht gewöhnt sind, war damit eine kaum lesbare Untersuchung entstanden. Bei der folgenden vollständigen Überarbeitung, die sich stärker an den Bedürfnissen der Praxis des Übens, Unterrichtens und Musizierens orientierte, habe ich mich darum bemüht, trotz des wissenschaftlichen Inhalts eine Sprache zu finden, die auch für den medizinischen Laien, wie es naturgemäß die meisten Musiker sind, verständlich und lesbar ist. Dies war keineswegs leicht, da der besseren Lesbarkeit nicht zu viele Einzelheiten und Literaturzitate geopfert werden sollten. Als Ausweg aus dem Dilemma ergab sich als Ergänzung des durchgehenden Textes eine Vielzahl von Fußnoten, denen der daran interessierte Leser Quellen und Belege für die dargestellten Meinungen und Tatsachen sowie weiterführende Einzelheiten entnehmen kann. (Wer die Fußnoten übergehen möchte, möge dies tun, das Verständnis des übrigen Textes leidet nicht darunter.) Das erste Kapitel geht einzelnen Schritten nach, die das Nervensystem vollziehen muß, damit der Musizierende seine Hände so bewegen kann, daß ein Musikstück erklingt: Wie entstehen die Bewegungen, die das Instrument zum Klingen bringen, wie werden sie überwacht, wie im Gedächtnis behalten, und wieso können sie trotz der unüberschaubar vielen Einzelheiten auch noch im hohen Tempo zuverlässig ausgeführt werden? Nicht jeder, der musiziert, ist in der Lage, die immensen Schwierigkeiten zu bewältigen, die manche Kompositionen enthalten. Zu diesem Thema zeigt das zweite Kapitel einerseits auf, welche physiologischen Faktoren bei virtuosen Musikstücken die individuelle Leistung auf dem Instrument begrenzen können. Andererseits werden Übemethoden dargestellt, die dazu dienen können, die vorhandenen Kapazitäten tatsächlich zu nutzen, denn nicht selten werden durch unzweckmäßiges Üben Grenzen aufgebaut, die an sich überwindbar wären. Im dritten Kapitel geht es um Emotionen, und zwar zunächst darum, was in körperlichseelischer Hinsicht Gefühle überhaupt sind. Der größte Teil des Kapitels ist einem unangenehmen Gefühl gewidmet, mit dem sich viele konzertierende Musiker auseinandersetzen müssen, nämlich der Angst. Wie entsteht dieses Hindernis für die volle Entfaltung des Könnens, sobald Publikum zugegen ist, welche Folgen kann Angst auf Denken, Wahrnehmung und Bewegung haben und vor allem, wie läßt sie sich überwinden? Das letzte Kapitel des Buches ist einem Thema gewidmet, das der Leser nicht selbstverständlich in einem Musikbuch erwarten würde. Es ist eine Darstellung des Nervensystems und der beim Musizieren beteiligten Sinnesorgane. Die Hirnforschung erlebt in den letzten Jahren einen wahren Boom, der sich in Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehen niederschlägt und mit dem auch viele Musiker in ihrer alltäglichen, nicht auf Musik bezogenen Lektüre konfrontiert werden. Was spielt sich im Netzwerk der Nervenzellen ab, wenn Lernen stattfindet? Welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für das absolute Gehör und warum kann man es als Erwachsener, wenn überhaupt, nur äußerst unvollkommen erwerben? Worauf beruht das Bewegungsgefühl und welche organischen Grundlagen hat es? Diese Fragen haben durchaus einen Bezug zur Praxis des Musizierens. Bislang gab es in der neueren Literatur keine genaue musikbezogene Darstellung dieser Themen, obwohl in der musikpädagogischen Literatur immer wieder anatomische Begriffe wie limbisches System oder Großhirnrinde auftauchen, in der Regel allerdings ohne hinreichende Erklärung. Der rasche Fortschritt der Hirnforschung bringt es mit sich, daß zu dem umfangreichen vorhandenen Wissen ständig neues hinzugefügt wird. Vieles, was vor wenigen Jahren nur hypothetisch war, ist mittlerweile bewiesen worden, manches hingegen, was früher einmal für richtig gehalten wurde, hat sich als falsch erwiesen. Ich habe mich im wesentlichen darauf beschränkt, das darzustellen, was vorausichtlich auch in den kommenden Jahren Bestand haben wird. Wenn bei manchen angeführten Einzelheiten die letzten Beweise noch ausstehen, ist dies im Text deutlich gemacht. Man mag unterschiedlicher Meinung darüber sein, ob es sinnvoll ist, sich in der Form, wie es hier geschieht, mit dem Musizieren auseinanderzusetzen, ja es mag manchem Musiker sogar ein Ärgernis sein. Ob verstandesmäßige Kontrolle und Wissen über die Musizierbewegungen überhaupt nötig und sinnvoll sind oder ob der Intuition und der musikalischen Begabung - was auch immer damit gemeint sei - die entscheidende Rolle zufällt, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Viele sind geneigt, ihre eigene Erfahrung zu verallgemeinern und stehen einer entgegengesetzten Ansicht unversöhnlich gegenüber. Meiner Meinung nach haben beide Seiten ihre Berechtigung. Glücklich schätzen mögen sich diejenigen, die in der Lage sind, intuitiv, dank ihrer musikalischen Vorstellung, ihrem Gehör und ihren wie selbstverständlich eingesetzten zweckmäßigen und ökonomischen Musizierbewegungen mit Musik umzugehen wie mit ihrer Muttersprache. Eins wie das andere steht ihnen jederzeit zur Verfügung, ohne daß sie Einzelheiten überdenken müssen. Beides haben sie in großer Vollkommenheit und im natürlichen Umgang mit der Materie erlernt, und ein Nachdenken über das Wie hemmt sie eher, als daß es ihnen förderlich ist. Ich halte es aber für ausgeschlossen, all den verschiedenen Persönlichkeiten, die Musizieren wollen, mit ihren unterschiedlichen Zielen, Ansprüchen und Vorerfahrungen gerecht zu werden, wenn man nur diesen einen Weg sieht. Vielen ist schon deswegen der erste Weg versperrt, weil sie sich erst spät der Musik gewidmet haben, anderen, weil es ihrer Persönlichkeit nicht entspricht, sich einer Sache ganz zu verschreiben, ohne sie verstandesmäßig zu erfassen. Diese letzteren müssen deswegen nicht die schlechteren Musiker sein. Es ist ein verbreitetes Mißverständnis, daß das vorübergehende Bewußtmachen einzelner Lernschritte zu unmusikalischem Spiel oder zu Verwirrung und Blockierungen führe. Verstandesmäßiges Erfassen des Musizierens bedeutet keineswegs, daß beim geübten Stück der Verstand die dominierende Rolle spielen muß, sondern im Stadium des Könnens kann das Bewußtsein wieder frei werden für die musikalische Gestaltung. Dieses Buch wäre nicht in der nun vorliegenden Form entstanden ohne die Unterstützung und Mithilfe derer, denen ich hiermit danken möchte: Besonders verpflichtet fühle ich mich meinem langjährigen Lehrer Reinhard Becker, dem ich nicht nur den größten Teil meiner eigenen Klavierausbildung verdanke, sondern dessen Wissen und Erfahrungen den Anstoß gaben, auf der Grundlage meiner medizinischen Vorbildung sowie eigener klavierpädagogischer und konzertpraktischer Erfahrung diesen überaus nützlichen Kenntnissen weiter nachzugehen und deren wissenschaftliche Hintergründe zu suchen. Ihm danke ich außerdem für die sorgfältige und kritische Durchsicht des Manuskriptes, ebenso wie Herrn Johannes Klehr und Herrn Dr. med. Berthold Graf, die mir viele gute Anregungen gegeben haben. Ich möchte auch den beiden Dipl.-Bibliothekaren Herrn Richard Grimm für die geduldige und sorgfältige Unterstützung bei der Beschaffung der umfangreichen Literatur und Herrn Christoph Deblon für sachkundige Auskünfte und Anregungen danken. Ein wichtiger Teil des Buches sind die Abbildungen, wobei mein Dank Herrn Prof. Dr. med. Reinhard Pabst gilt, der die Fotografien des menschlichen Gehirns beigesteuert und Herrn Dr. med. Wolfgang Brüderl, der mir die kernspintomographischen Aufnahmen zur Verfügung gestellt hat; ebenso Frau Bettina Stieber, von der die Karikaturen stammen und Frau Gisela Hauser, die den größten Teil der übrigen Abbildungen für den Druck überarbeitet hat. Außer den hier namentlich genannten möchte ich den Freunden sowie den Kollegen und Studenten der Musikhochschule Trossingen danken, die mich in Gesprächen zu neuen Gedanken angeregt haben. Last but not least gilt mein Dank meiner Familie, ohne deren Unterstützung und Akzeptanz die Arbeit nicht hätte fertiggestellt werden können. Insbesondere danke ich meiner Tochter Susanne, die immer wieder die durch die Arbeit am Manuskript entstandene Lücke im Haushalt ausgefüllt hat, und meinem Sohn Stefan, der nicht nur Schreibarbeiten übernommen, sondern der auch als stets erreichbarer Computerexperte mir den steinigen Weg zur elektronischen Datenverarbeitung geebnet hat und bei manchen "Programmabstürzen" der Retter in der Not war. Ebenfalls danke ich meiner Schwester Christiane Kayser, die mit großer Sorgfalt die Satzarbeiten der ersten Manuskriptfassung durchgeführt hat.
Vorwort zur dritten Auflage Der beeindruckende Aufschwung der Hirnforschung in den vergangenen Jahrzehnten hat sich auch in den letzten Jahren noch fortgesetzt. Neue Untersuchungstechniken, vor allem die bildgebenden Verfahren, erlauben Einblicke ins arbeitende Gehirn und lassen Neurobiologie und kognitive Psychologie noch enger ineinander greifen. Lernen und Gedächtnis sind zwei der Bereiche, in denen die neurobiologische Forschung immer neue Erklärungen liefert für das, was die Psychologie durch Verhaltensbeobachtung festgestellt hat. Die nun vorliegende dritte Auflage des Buches wurde gegenüber den vorhergehenden gründlich überarbeitet. Dennoch konnten viele Abschnitte in der ursprünglichen Form belassen werden, weil sie nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben. In anderen Teilen konnten geänderte Sichtweisen eingefügt werden, so - um nur ein Beispiel zu nennen - eine neue neurobiologisch und psychologisch begründete Auffassung von zwei gänzlich unterschiedlichen Formen des Gedächtnisses, aus der sich auch Konsequenzen für das Üben ergeben. Ich bin dem Verlag Schott Musik International sehr dankbar, daß mir diese Überarbeitung und Aktualisierung ermöglicht wurde. Herzlich danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Eckart Altenmüller, der den überarbeiteten Text kritisch gelesen hat und mir darüber hinaus wertvolle Hinweise auf weitere aktuelle Forschungsergebnisse gegeben hat. Für ihre Anregungen danken möchte ich außerdem Herrn Philippe Ohl und Herrn Reinhard Kopiez.
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