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VORWORT Der Bedarf scheint gedeckt. Die deutsche Erinnerungskultur ist gut organisiert. An den "Jahrestagen" finden sich in fast allen Orten der Bundesrepublik "Betroffene" zusammen, die "gedenken", möglichst "still". Die meistgekauften "Spiegel"-Titel handeln von Auschwitz. Ausstellungen und Bücher zum Thema erleben einen Boom. Dies ist die eine Seite. Die andere: Archivbestände wurden bis in die jüngste Zeit vernichtet. Viele Bestände sind gesperrt. Aber gehören diese beiden Seiten nicht zusammen? Die "betroffenen" Deutschen gedenken der Opfer. Die Archive konfrontieren dagegen mit den Tätern. Beliebt sind Darstellungen einer unmittelbaren Grausamkeit. Die darin gezeigten Täter wirken fremd, "Barbaren", die mit uns nichts zu tun haben. Sie bestätigen die Gesittung der Gegenwart, eines "Rechtsstaates", der das staatliche Gewaltmonopol sichern will. In den gesperrten Akten tauchen jedoch Täter auf, die nicht gegen das Gewaltmonopol verstoßen haben, sie handelten "ordnungsgemäß", richteten sich nach den jeweiligen Gesetzen und Vorschriften. Ein Richter schrieb in das Protokoll eines der vielen Wiedergutmachungsprozesse der Nachkriegszeit, die Nationalsozialisten hätten bei ihren Maßnahmen gegen die Juden sehr genau auf die gesetzliche Grundlage geachtet, "so wurde das Ausmaß des gesetzlichen Unrechts immer größer". Beim Nachlesen hat der erschrockene Jurist das Adjektiv "gesetzlich" ausgeixt und das Wort "gesetzt" eingefügt. Mit der Formulierung "das Ausmaß des gesetzten Unrechts" wurde "immer größer"1 konnte er leben. Im anderen Fall wäre die Legitimität eines Handelns nicht mehr von seiner Legalität abhängig. Davor hatte schon Carl Schmitt vor 1945 gewarnt, und er wiederholte diese Warnungen in seinem Tagebuch nach 1945. Rechtsstaat bedeute die "Beseitigung von Widerstand", nur über staatlich geregelte Verfahren kann der Bürgerkrieg, d.h. die Auflösung der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse, verhindert werden.2 Bürgerkrieg - das war der Alptraum des Nationalsozialismus, nach 1918/19 und in der Weimarer Republik. Der Staat muß im Fall einer Schwäche dieser Legitimität auf den Ausnahmefall eines örtlich oder zeitlich begrenzten Ausnahmezustands zurückgreifen können und über die nötigen Mittel hierzu verfügen. Aber die Staatsbürger werden an das Gesetz verwiesen, auch wenn sie zu Volksgenossen mutieren und der "Führer" das "Recht schützt". Die Nationalsozialisten waren dauerhaft erfolgreich. Zunächst richtete man sich, wenn auch oft mürrisch, nach den alliierten Anordnungen, dann nach der "glücklich wiedererlangten Staatlichkeit". Trotz der Befürchtungen Carl Schmitts war also die Legalität nach 1945 nicht gefährdet. Nach den alliierten Prozessen wurde das "gesetzliche Unrecht" möglichst nicht verfolgt, das Unrecht wurde auf "Barbaren" verschoben. Beliebt ist der Sadist, dem emotionale Gründe für sein "Unrecht" nachgewiesen werden können. Er entlastet den Beamten, dessen Handeln durch seine Vorschriften bestimmt wird. Von solchen Beamten berichten die größtenteils bis heute nicht zugänglichen Archivmaterialien. Diese Akten könnten den Zusammenhang von Legalität und Legitimität gefährden. Die "betroffenen" Deutschen benutzen die Opfer ein zweites Mal, nun als Gedenkkulisse, um die Täter und ihre Normalität nicht wahrnehmen zu müssen. Erst wurde die Parteispitze vorgeschoben, dann die SS, schließlich die Wehrmacht. Hier gab es schon Proteste, denn die Soldaten handelten "nach Befehl" und zudem im Ausnahmezustand eines Krieges. Das beruhigte. Banken und Konzerne wurden als Täter genannt, wenn auch erst in den späten Jahren der Bonner Republik. Denn der Zweifel an der Legitimität bestimmter Profite rührt an den Grundbestand der bürgerlichen Gesellschaft. Über die Zwangsarbeiter bei Siemens oder Daimler und Ford wird berichtet. Aber was ist mit den vielen Zwangsarbeitern auf den Bauernhöfen oder in den kleinen Betrieben? Deutschland war übersät mit Außenlagern der KZs. Und was ist mit den deutschen Arbeitern, die in den selben Betrieben arbeiteten? Wie haben sie sich verhalten? Die großen Arisierungsgewinnler wurden nach und nach, sehr zögerlich und immer noch nicht ausreichend, bekannt. Aber wie steht es um die nette Nachbarin von nebenan, die sich die Wäsche der deportierten Juden legal ersteigerte? "Wir haben nichts gewußt." "Wir haben nichts Unrechtes getan", dies stimmt und unterstreicht den Schrecken des "legalen" Handelns. Die Nachbarn wußten, daß die Wäsche aus dem Schrank der deportierten Familie stammte. Sie wußten auch, daß diese Familie nicht zurückkehren würde, um Rechenschaft zu verlangen. Alles Weitere kann vernachlässigt werden, wenn das zuständige Finanzamt seinen Gerichtsvollzieher zum Leiter der Versteigerung ernannt hat. Hierüber berichten die gesperrten Akten. Nahezu jede "ausgebombte" Familie saß an einem Tisch, der aus dem Besitz ehemaliger jüdischer Nachbarn stammte oder aus Wohnungen der Juden im besetzten Europa herangeschafft worden war. Auch in diesen Fällen wurde offen dokumentiert, daß es sich um "das Vermögen des Juden - der Jüdin" handelte, wie es in den Rechnungsvordrucken hieß. Es geht also keineswegs um einen "Rückfall in die Barbarei", inirgendeinen unzivilisierten Zustand. Die "Barbarei" liegt vielmehr in einer modernen Gesellschaft, die Legalität als ausreichenden Grund des Handelns behauptet. Deshalb trifft dieses Wort auch hier nicht zu. Die "barbari" - die "Fremden" - kannten die Regeln nicht. In Deutschland dagegen wurde jede Regel genauestens beachtet, selbst wenn sie den Tod der ehemaligen Nachbarn herbeiführte.3 Der deutsche Staat benutzte einerseits Decknamen: "Aktion 3" für die Deportation, "Aktion M" für die Überführung der "Beutemöbel" aus dem besetzten Europa. Immer wieder taucht die Ermahnung "geheim" auf den Dokumenten auf. Andererseits wird auf Rechnungsunterlagen die jüdische Herkunft der Gegenstände vermerkt; selbst die Spediteure waren genauestens informiert. Die Menschen, die an den ersteigerten Tischen saßen, wußten, daß diese zuvor Juden gehört hatten und die früheren Eigentümer deportiert waren. Das Geheimnis war kein Geheimnis, sondern stützte die Legalität. "Darüber spricht man nicht", davon sollte man nichts wissen. Die Tabugrenzen werden staatlich definiert und von jedem "anständigen" Menschen beachtet. Dieses allgemeine Wissen um das Geheimnis bleibt ein Konfliktpotential. Die ermordeten Juden kehren nur dann nicht wieder, wenn sie verwandelt werden - in "Opfer der Gewalt" oder des "nationalsozialistischen Unrechts". Auf diese Weise werden sie immer erneut beschworen, mit zunehmendem Eifer, damit uns das geheime Wissen erspart wird, daß sie unsere Opfer sind. Deshalb muß die Volksgemeinschaft ihre früheren "Führer" opfern, immer wieder. Sie übernehmen stellvertretend das Wissen, das wir nicht wahrhaben wollen. Die Nazis, das sind die "anderen". Dabei helfen uns auch die Neo-Nazis, denn welcher gebildete Mensch hat schon etwas mit "gewaltbereiten" Skinheads zu schaffen. Eine umfassende Quellensammlung zur "Aktion M" wurde bereits 1958 von der United Restitution Organization unter Leitung des verdienten Kurt May vorgelegt und dem Bundesfinanzministerium, den deutschen Gerichten und den Behörden übergeben. 4 Umfassend wurde der Enteignungsprozeß 1974 analysiert, ebenfalls von einem Opfer: H.G.Adler, "Der verwaltete Mensch. Studien zur Deportation der Juden aus Deutschland". 5 1986 erschien eine erste umfassende Dokumentation der Akten eines Oberfinanzpräsidenten. Es handelte sich um die Akten aus der Oberfinanzdirektion Berlin/Brandenburg. Mario Offenberg, der heutige Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Adass Jisroel, schilderte in der von ihm herausgegebenen Gemeindegeschichte das Schicksal der Mitglieder in der NS-Zeit. Seine Quelle waren diese Akten. Sie bezeugen eine umfassende und profitable Täterschaft. Mario Offenberg kam zu dem Schluß, "daß kein Fleckchen des alltäglichen Lebens in Deutschland Schicksal und Bestimmung der Juden ignorieren konnte". Als Kapitelüberschrift wählte er treffend: "Die Vernichtung von Menschen und die Verwaltung ihrer Sachen: Legal und korrekt".6 In den Prozessen um eine Wiedergutmachung wurde die umfassende Aneignung jüdischen Eigentums durch die "ausgebombten" Deutschen, aber auch durch die ehemaligen Nachbarn in den unversehrten Dörfern offengelegt. Trotzdem bleibt dieses Wissen ein Geheimnis, unterstützt durch die restriktiven Archivgesetze des Staates - bis heute. Die Untersuchungen über die "Arisierung" enden meist mit Kriegsbeginn und konzentrieren sich wiederum auf die "anderen": "Ausschreitungen" bierseliger SA-Horden und die Profitsucht von Banken und Konzernen. Frank Bajohr hat 1997 seine Untersuchung über ">Arisierung< in Hamburg" vorgelegt, von den über 300 Seiten widmen sich nicht einmal zehn Seiten der "Bevölkerung als Nutznießer des Judentums". Aber selbst dieses Wissen trennt der Autor sofort von uns. In seinen Erklärungsversuchen greift er auf die Ausnahmesituation des Krieges zurück: "Überlebenskampf" "in den zerbombten Großstädten", "Armut", "moralische Indifferenz". 7 Die ihm zugänglichen Akten sprechen eine andere Sprache: Darin beschweren sich zum Beispiel die Finanzbehörden darüber, daß ihr Geschäftsbetrieb wegen der vielen "Kaufliebhaber" gestört würde. Es gibt einige lokale Untersuchungen, die sich genauer mit der Problematik befassen, etwa das Buch von Alex Bruns-Wüstefeld über "Lohnende Geschäfte" in Göttingen. 8 Hervorheben möchte ich die Untersuchung Franziska Beckers über die Enteignungen in dem Dorf Baisingen. Sie schreibt über das Verhalten der Dorfbewohner gegenüber ihren ehemaligen Nachbarn: "Die Schabbeslampe" war "rechtmäßig erworben, nicht geraubt, sondern" auf der Versteigerung" "mit gutem Geld" bezahlt. Was der Staat macht, kann so ungerecht nicht sein."9 Der größte Teil der Akten ist bis heute gesperrt. Die hier vorgelegten Dokumente stammen aus der Oberfinanzdirektion Köln. Die Einsichtnahme war erst nach langen Bemühungen möglich und ist gesetzlich nicht gedeckt. Aber sie war möglich. Dafür danke ich den zuständigen Stellen in der Oberfinanzdirektion. In diesem Buch und in der Ausstellung werden die Namen der Täter nicht anonymisiert. Bei "Personen der Zeitgeschichte" ist dies nicht üblich und nicht vorgeschrieben. Niemand käme auf die Idee, statt Hitler oder Göring H. oder G. zu schreiben. Zu schützen sind nur jene, die nicht gehandelt haben und nicht verantwortlich waren. Sie sollen nicht mit Dingen in Zusammenhang gebracht werden, mit denen sie nichts zu tun hatten. Die im Buch und in der Ausstellung genannten Personen hatten mit der "Verwertung der jüdischen Nachbarn" sehr viel zu tun: vom Beamten über die Immobilienkäufer bis zu den "kleinen Leuten", die sich die Kartoffeln ersteigerten. Sie sind "Personen der Zeitgeschichte". Eine andere Interpretation verschiebt die Täterschaft auf wenige "da oben" und entlastet alle anderen. Alex Bruns-Wüstefeld hat in seiner Untersuchung über die "Entjudung" in Göttingen ebenfalls eine Anonymisierung abgelehnt: Dies bedeute "letztlich, die Interessen der damals Beteiligten zu schützen, wenn nicht gar unterschwellig Nachsicht für ihr Verhaltenzu offenbaren". 10 Diese Dokumentation erschließt der Öffentlichkeit bisher nicht zugängliche Quellen. In den Texten des Bandes kann die Entwicklung von 1933 bis in die Gegenwart nur skizziert werden. Wichtige Details werden zum Teil durch die abgedruckten Dokumente ergänzt, die den Schwerpunkt der Publikation bilden. Die Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR und ihr Umgang mit der Vergangenheit werden in diesem Buch nicht thematisiert. In ihrem "Antifaschismus" erscheinen als Täter gerade nicht die ehemaligen Nachbarn. Die Akten der Finanzbehörden wurden in der DDR nicht analysiert. Die breite Beteiligung der Bevölkerung an der "Verwertung" hätte einen behaupteten ideologischen Konsens gestört. Die auf dem Gebiet der früheren DDR lagernden Archivbestände sind nun wiederum gesperrt - aufgrund von Gesetzen der Bundesrepublik." Die Ausstellung und dieses Buch wären nicht möglich gewesen ohne den Einsatz einiger weniger Menschen, die sich nicht an Arbeitszeiten oder Vorschriften gehalten haben. Ich danke Gabriele Frank, Wieland König, Gert Monheim, Elisabeth Strauss und Peter Friederici und Maria Matschuk vom Aufbau-Verlag. Ohne die Ermutigung durch Doreet Le Vitté-Harten hätte ich die Arbeit nicht begonnen. Ich hoffe, daß die Ausstellung und das Buch dazu auffordern, die versteckten und verbotenen Erinnerungen in den deutschen Archiven aufzuspüren. Wolfgang Dreßen 1 Archiv Oberfinanzdirektion Köln. |
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